Rezension über:

Wolfgang Krieger (Hg.): Geheimdienste in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart, München: C.H.Beck 2003, 379 S., ISBN 978-3-406-50248-4, EUR 24,90
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Rezension von:
Matthias Uhl
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Uhl: Rezension von: Wolfgang Krieger (Hg.): Geheimdienste in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart, München: C.H.Beck 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 1 [15.01.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/01/5217.html


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Wolfgang Krieger (Hg.): Geheimdienste in der Weltgeschichte

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In Deutschland führt die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte der Geheim- und Nachrichtendienste bislang ein ähnliches Schattendasein wie die entsprechenden Dienste selbst. Wolfgang Krieger, Professor für Neuere Geschichte an der Philipps-Universität Marburg, versucht mit diesem Sammelband für die Erforschung einer politischen Einrichtung zu werben zu deren Charakteristika gehört, dass die Informationen "sich oft nur durch Diebstahl, Vertrauensbruch, durch Verrat" beschaffen lassen (7). Die Informationsgewinnung macht jedoch nur einen Teil der Arbeit der Nachrichtendienste aus, mindestens genauso wichtig ist die Interpretation der beschafften Daten. Diese Analyse erfordert "einen großen Fundus von Kontextwissen, das überwiegend aus 'offenen Quellen' bezogen werden kann". Damit beschreibt der Herausgeber nicht nur ziemlich genau die Vorgehensweise von Geheimdiensten, sondern auch den Ansatz seiner 19 Autoren. Diese konnten, da die Arbeit der Nachrichtendienste zumeist im Verborgenen stattfindet, ebenfalls kaum auf zuverlässige Aktenbestände der Dienste zurückgreifen, sondern mussten zumeist die so genannten "offenen Quellen" nutzen. Dennoch geben die meisten Autoren eine gelungene Einführung in wichtige Teilbereiche der Geschichte der Spionage und verdeckten Operationen.

Der Herausgeber wählte für seinen "Streifzug" durch rund 3000 Jahre Nachrichtendienstgeschichte einen konsequent historischen Ansatz. Über die Geheimdienste von Alexander dem Großen und Hannibal spannt er den Bogen bis zum 11. September 2001 und der US-Intelligence Community. Im Vordergrund stehen deshalb zumeist Staaten, Personen und Operationen. Eine Ausnahme bilden die Aufsätze von Wolfgang Kuhoff und Jürgen Rohwer, die sich der für Geheimdienste unentbehrlichen Kryptographie, das heißt der Wissenschaft der Ver- und Entschlüsselung von Informationen, in Antike und Zweitem Weltkrieg widmen.

Kuhoff untersucht die Anfänge der Kryptographie im Altertum. Hatte man zunächst versucht, sensible Informationen auf die kahl geschorenen Köpfe von Sklaven zu notieren, so zeigte sich bald, dass diese Methode relativ zeitraubend war, musste mit der Nachrichtenübermittlung doch gewartet werden, bis das Haupthaar nachgewachsen war. In Sparta wurde deshalb die "Skytale" entwickelt. Dabei handelte es sich um einen Holzstab, der im Besitz des Übermittelnden und des Empfängers war. Man umwickelte den Stab mit einem Lederband, das mit der Geheimbotschaft beschriftet wurde. Fiel die Mitteilung in die Hand des Gegners, so ergab sich für diesen nur sprichwörtlicher "Buchstabensalat". Denn erst, wenn die Nachricht auf das gleiche Gegenstück der "Skytale" aufgewickelt wurde, gab sie ihren Inhalt für den Empfänger frei.

Auch 2500 Jahre später konnte, wie der Beitrag von Rohwer zeigt, die Ver- beziehungsweise Entschlüsselung geheimer Informationen entscheidend für den Verlauf der Geschichte sein. Während des Zweiten Weltkrieges gelang dem britischen Nachrichtendienst mit der Hilfe polnischer Kryptographen der Einbruch in das deutsche Codesystem der Verschlüsselungsmaschine Enigma. Im Rahmen der Operation Ultra entschlüsselten alliierte Dechiffrierexperten in Bletchley Park bei London ab 1940 Funksprüche der Führungsebenen von Luftwaffe und Kriegsmarine. Die so gewonnenen nachrichtendienstlichen Informationen nutzten die Briten erstmals während der Luftschlacht um England. Mittels Ultra erzielte Erkenntnisse trugen entscheidend dazu bei, dass die geplante deutsche Landung auf der Insel verhindert werden konnte. Als noch kriegswichtiger erwies sich die Entzifferung des deutschen Marinefunkcodes. Seit dem Frühjahr 1941 konnten die britischen Kryptographen den Funkverkehr zwischen den deutschen U-Booten im Atlantik und ihren Führungsstellen faktisch zeitgleich mitlesen. Damit erhielt die operative Führung genaue Kenntnis der deutschen U-Bootaufstellungen und rettete allein im 2. Halbjahr 1941 rund 300 Schiffe vor der Versenkung. Im Sommer 1943 ermöglichten weitere Dechiffriererfolge die endgültige Wende in der Zufuhrschlacht im Atlantik, als in nur drei Monaten 95 deutsche U-Boote versenkt werden konnten. Insgesamt kam der Enigma-Entschlüsselung, zwar keine "den Krieg allein entscheidende Bedeutung zu", doch hatte sie "den Krieg sicher ganz wesentlich verkürzt." (200)

Die historisch angelegten Beiträge über das Wirken von Nachrichtendiensten von der Antike bis zur Gegenwart fallen zum Teil unterschiedlich aus. Alle zeigen aber, dass Nachrichtendienste beziehungsweise entsprechende Strukturen aus der politischen Geschichte nicht wegzudenken sind. Gelungen in dem von Krieger zur Überschreitung nationaler und europäischer Begrenzungen global angelegten Handbuch ist vor allem der Aufsatz von Helwig Schmidt-Glintzer über Spionage im alten China. Besonders erwähnenswert daran ist, dass im Reich der Mitte der Erfolg allein nicht die Mittel heiligte: "Ohne die Weisheit eines Heiligen vermag man keine Spione einzusetzen; ohne die Eigenschaften von Menschlichkeit und Rechtlichkeit kann man keine Spione einstellen; ohne Sensibilität und Scharfsinn vermag man den Inhalt der Agentenberichte nicht erfassen" (61). Grundsätze, die auch heute noch für die Arbeit jedes Nachrichtendienstes gelten sollten.

Andere Beiträge räumen mit Mythen aus der Geschichte der Nachrichtendienste auf. Albert Pethö zeigt in seinem Aufsatz, dass der österreichische Spion Oberst Redl nicht, wie immer wieder behauptet wird, wegen seiner Homosexualität vom russischen Militärgeheimdienst erpresst wurde. Vielmehr lieferte der Generalstabsoffizier als Selbstanbieter geheime Unterlagen gegen Barzahlung an die Russen. Diese, so zeigen neue russische Forschungen, kannten die Identität ihrer sprudelnden Quelle nicht. [1] Der Nutzen der von Redl übergebenen Dokumente, darunter ein Aufmarschplan aus dem Jahr 1911, erwies sich auf Grund mangelhafter Analyse als gering. Blind vertrauend auf seine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, schätzte der Generalstab des Zaren die militärische Situation in seinen eigenen Planungen falsch ein. Bei Kriegsbeginn 1914 stieß die russische Offensive gegen Österreich ins Leere, "Redls Informationen erwiesen sich schließlich 'eher hinderlich als hilfreich'" (150).

Gerhard Hirschfeld gelingt die Entzauberung Mata Haris als größte Spionin des 20. Jahrhunderts. Die alternde, permanent in Geldschwierigkeiten steckende Tänzerin hatte sich 1916 vom deutschen Geheimdienst als Agentin anwerben lassen. Die von ihr gelieferten Informationen waren allerdings nur von zweifelhaftem Wert. Das hinderte die französische Militärführung jedoch nicht daran, am 15. Oktober 1917 die verhaftete Mata Hari als Spionin hinrichten zu lassen. Ihren Tod instrumentalisierten beide Seiten für propagandistische Zwecke. Das Schicksal des überbewerteten Agenten trifft, wie Hubertus Knabe zeigt, auch für Günter Guillaume zu. Der im Dienst des Ministeriums für Staatssicherheit stehende persönliche Referent Willy Brandts verwandelte dessen Dienstsitz keinesfalls in ein "gläsernes Kanzleramt" (223). Von 1969 bis 1974 lieferte Hansen, so Guillaumes Deckname, gerade einmal 24 Berichte nach Ost-Berlin, von denen nur einer als "besonders wertvoll" eingestuft wurde.

Doch nicht nur Agenten, sondern auch Geheimdienstchefs erlagen der Versuchung der mythischen Überhöhung ihres Wirkens. Überzeugend zeigt Krieger, dass sich der erste Chef des Bundesnachrichtendienstes, Reinhard Gehlen, schon frühzeitig mit dem Nimbus des unfehlbaren Nachrichtendienstlers umgab. Schon als Leiter der Abteilung "Fremde Heere Ost" stilisierte sich Gehlen, obwohl er weder Russisch noch eine andere Fremdsprache beherrschte und über keinerlei Landeskenntnisse verfügte, als Sowjetunion-Experte. Dessen Expertise galt nach 1945 auch bei den Amerikanern und Kanzler Adenauer als unverzichtbar. Den von ihm 1956 geschaffenen BND hinterließ Dr. Schneider - Gehlens Tarnname - als er 1968 in Pension ging, als einen in seinen Strukturen verkrusteten Nachrichtendienst, der so Krieger erst 2001 mit dem Umzug seiner Auswertungsabteilung von Pullach nach Berlin das ihm lange anhaftende Image als Schmuddelkind der Bonner Außenpolitik verlor.

Insgesamt hat der Herausgeber einen Sammelband vorgelegt, der kenntnisreich und überzeugend in die Geschichte der Nachrichtendienste einführt. Krieger und seine Autoren zeigen dank ihrer historischen Analyse, dass bis heute als Kernproblem der politischen Instrumentalisierung von Geheimdiensten gilt: "Das durch Spionage gewonnene Wissen löste vor allem einen Bedarf nach mehr Spionage aus. Sicherheit über die erhaltenen Informationen stellt sich nur kurzzeitig ein" (215). Geheimdienste - so Anthony Blunt - sind unersättliche Auftraggeber, und ihre Agenten zumeist naive Sisyphose.


Anmerkung:

[1] Vgl. Michail Aleksejew, Woennaja raswedka Rossii ot Rjurika do Nikolaja II. Kniga II [Die Militäraufklärung Rußlands von Rjurik bis Nikolai II. Buch 2], Moskwa 1999, 189-199.

Matthias Uhl