Rezension über:

Mirjam Litten: Bürgerrecht und Bekenntnis. Städtische Optionen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung in Münster, Hildesheim und Hamburg (= Historische Texte und Studien; Bd. 22), Hildesheim: Olms 2003, 372 S., ISBN 978-3-487-11885-7, EUR 29,80
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Rezension von:
Susanne Rau
Institut für Geschichte, Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Rau: Rezension von: Mirjam Litten: Bürgerrecht und Bekenntnis. Städtische Optionen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung in Münster, Hildesheim und Hamburg, Hildesheim: Olms 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/6689.html


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Mirjam Litten: Bürgerrecht und Bekenntnis

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Bekanntermaßen war das mittelalterliche und frühneuzeitliche Bürgerrecht - ursprünglich meist ein vom mittelalterlichen Stadtherrn verliehenes Recht auf Selbstverwaltung und Selbstergänzung - ein rechtliches Medium zur Herstellung eines Gemeinwesens, das eben oft nach dem Muster der Integration nach innen und der Abgrenzung nach außen verlief. Diesem Integrationsinstrument ist die von Mirjam Litten vorgelegte Studie gewidmet, die im Wintersemester 2000/2001 von der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen als Dissertation angenommen wurde. Als städtische Untersuchungsfelder wurden Münster, Hildesheim und Hamburg ausgewählt und entsprechend gliedert sich die Arbeit. Nach einer Annäherung an das frühneuzeitliche Bürgerrecht, Entwicklung der Fragestellung und Vorstellung der Quellen (insbesondere rechtshistorischer Art) wird von der katholischen Bürgergemeinde mit protestantischer Minderheit in Münster gehandelt (Kapitel II). In Kapitel III werden die Hildesheimer Verhältnisse einer lutherischen Bürgergemeinde mit katholischer Minderheit und in Kapitel IV das Hamburger Modell der lutherischen Bürgergemeinde mit reformierter Minderheit vorgestellt. Abschließend wird die Bürgerrechtspolitik der drei Städte einem Vergleich unterzogen, dem sich ein Kapitel über die Entkonfessionalisierung des Bürgerrechts anschließt. Das Buch endet mit einem Quellen- und Literaturverzeichnis; ein Register gibt es keines, dafür eine Übersicht der regierenden Fürstbischöfe von Münster und Hildesheim (1532-1802).

Wenn auch die einzelnen Regelungen hinsichtlich des Bürgerrechtserwerbs lokal unterschiedlich ausfallen konnten oder gar verhandelbar waren, so zeigen die ausgeführten Bestimmungen doch, welche Rechtsautorität die spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Bürgergemeinde darstellte. Bestimmte Gruppen (wie Adlige, Soldaten, nichtzünftische Handwerker, oftmals auch Angehörige fremder Nationen) waren von vornherein ausgeschlossen. Voraussetzung war nicht selten Grundbesitz oder soziale und wirtschaftliche Selbstständigkeit. Frauen genossen die bürgerlichen Privilegien ebenso wie die Bürgerkinder meist nur mittelbar. Zu den wichtigsten Rechten gehörten der Rechtsschutz der Stadt sowie die politische Partizipation, zu den Pflichten die Anerkennung von Magistrat und Stadtgerichten, Wach-, Befestigungs- und Kriegsdienste sowie Abgaben und Steuern. Seit der Reformation trat zu den Zugangsvoraussetzungen vielfach die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession hinzu - meines Erachtens ein Ausdruck dessen, dass sich die Bürgergemeinde nicht nur als rechtliche und soziale, sondern immer noch als sakrale Gemeinschaft verstand. [1]

Der unterschiedliche Umgang mit dem konfessionellen Element in Bezug auf die bürgerrechtliche Integration ist nun das eigentliche Thema der Studie Littens. Die Bedeutung des Zusammenhangs von Bürgerrecht und Bekenntnis und damit die Relevanz der Fragestellung Littens ist vor dem Hintergrund einleuchtend, dass dann, wenn das Bürgerrecht konfessionell gebunden war, dies automatisch eine politische Benachteiligung der konfessionellen Minderheiten nach sich zog. Dies war insbesondere dort der Fall, wo die Gemeindereformation auch zu einer Verfassungsänderung führte. Im Vergleich ergibt sich für Litten, dass Münster - nach einer vorübergehenden Radikalisierung der Gemeindeidee im Täuferreich - zwar von landesherrlicher Seite auf das katholische Bekenntnis festgelegt wurde, faktisch aber bikonfessionelle Verhältnisse herrschten, die einher gingen mit einer überkonfessionell geprägten Einheit der Bürgergemeinde auf der Basis des vorkonfessionellen Gewohnheitsrechts. Im 17. Jahrhundert erfuhr die Stadt - nicht zuletzt aufgrund der erfolgreichen Mediatisierungsstrategien der Fürstbischöfe - eine zunehmend katholische Prägung, die ihre Integration immer mehr in der Orientierung an Landesherrschaft und katholischer Landesverwaltungselite erfuhr.

Hildesheim und Hamburg dagegen erhielten mit Einführung der Reformation auch eine neue Verfassung, die den Bürgern neue politische Mitwirkungsrechte brachten. Aufgrund der Verzahnung von kirchlicher und weltlicher Administration konnten Bürger und Geistliche Druck auf den Rat und seine politischen Tagesgeschäfte ausüben, so auch auf den Umgang mit den konfessionellen Minderheiten in den Städten. In Hildesheim war zwar noch ein mächtiger katholischer Landesherr im Hintergrund, mit dem sich die Stadt ständig auseinander zu setzen hatte, sodass Mitte des 17. Jahrhunderts das Bürgerrecht zwar nicht mehr konfessionell abgeschlossen sein durfte, die Katholiken aber lange vom aktiven wie passiven Wahlrecht ausgeschlossen blieben. In Hamburg war kein katholischer Landesherr im Hintergrund, und da auch die wenigen katholischen Geistlichen in der Stadt keine wirkliche Macht ausüben konnten, herrschte dort das (zumindest normativ gesehen) konfessionell am weitesten abgeschlossene Modell.

Die zweifellos wichtigen (und hier nicht alle erwähnbaren) Teilergebnisse der Untersuchung sowie der Fleiß der Autorin sollten nicht ohne die Benennung einiger Schwächen hervorgehoben werden. Zunächst führt eine mangelnde Sach- und Literaturkenntnis immer wieder zu falschen Behauptungen. So hat Hamburg die Reformation nicht 1522 angenommen (233), sondern 1528. Nicht der Rezess von 1603, sondern der von 1529 heißt "Langer Rezess" (247), und die Reichsstadtwerdung war doch etwas komplizierter, als es die Feststellung, dies sei 1618 geschehen (22), vermuten lässt. Auch die Rezeption neuerer Studien könnte zu manch differenzierterem Urteil führen. [2] Auf der konzeptionellen Ebene überzeugt meines Erachtens die gewählte Chronologie (Konfessionalisierung - Übergang - Aufklärung) nicht, zumal ja am Ende der Arbeit (334-336) zugestanden wird, dass letztlich nicht die Aufklärungsbewegung die konfessionelle Öffnung bewirkte, sondern äußerer politischer Druck oder wirtschaftliche Depression. Außerdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier vielfach vom Ergebnis her gedacht wird: "Toleranz" und "konfessionelle Öffnung" ist gut, "Abgrenzung" ist schlecht - Folge wohl des Anschlusses an das Konfessionalisierungsparadigma in einer allzu modernisierungstheoretischen Ausrichtung.

Abschließend möchte die Rezensentin einen erweiternden Vorschlag für die Betrachtung des Zusammenhangs von Bürgerrecht und Bekenntnis machen. Wenn man institutionentheoretisch ansetzt, so war das spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Bürgerrecht ein Mittel, um die Zugehörigkeit eines Einzelnen (beziehungsweise seines Haushalts) zu einer Gemeinschaft auszudrücken, ja ihn geradezu an die Gemeinschaft zu binden. Aber daneben war eben auch die Religion beziehungsweise Konfession ein integratives Moment vormoderner Gesellschaften, was sie ohne den Konkurrenzgedanken nicht oder weniger effektvoll gewesen wäre. Kämpfe und Abgrenzungsmechanismen auf diesem Feld ergeben sich wie von selbst. Die Protagonisten der Macht aber sind gewiss nicht auf Staat und Kirche beschränkt. Wenn also das Bürgerrecht konfessionell gebunden ist, dann muss dies nicht automatisch bedeuten, dass die konfessionelle Minderheit gleich eine gesellschaftliche Minderheit ist (345), denn es gab auch in der Frühen Neuzeit andere Möglichkeiten, sich gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen und damit Zugehörigkeit zur Gemeinschaft zu demonstrieren: durch treuhänderischen Hauskauf, Demonstration von Reichtum, Einheiratsstrategien oder Mitwirkung am allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstand der Stadt. De facto macht es gerade das Zusammenspiel vieler Ebenen und sozialer Mechanismen möglich, dass die Akteure kreativ werden und ins Verhandeln kommen.

Mithilfe eines eher handlungsorientierten Gesellschaftsmodells hätte Litten zeigen können, dass konfessionelle Minderheiten auch in als abgeschlossen geltenden Städten das Bürgerrecht erwerben konnten oder dass umgekehrt für manche Typen von Fremden gerade die Konfession die Aufnahme in den bürgerlichen Nexus ermöglichte. Auch durch die Aufarbeitung weiterer Quellenbestände - Suppliken, Prozessakten oder Policey-Akten (wie etwa den Bestand der Hamburger Wedde) - wird man den Praxen der Einbürgerungsprozesse noch anders und weiter auf die Spur kommen. Im Grunde genommen war der bürgerliche Gleichheitsgedanke wie auch die konfessionelle Einheitsidee eine Fiktion. Die städtischen Bürgergemeinden konnten sich - ob als Schwurgemeinschaft oder als "Jerusalem auf Erden" - nach innen und außen immer wieder als vereinten Stadtkörper inszenieren und dem Einzelnen seinen Platz zuweisen. Dass sich die Kriterien der Zugehörigkeit de facto immer wieder wandelten, sollte freilich verborgen bleiben.


Anmerkungen:

[1] Die Autorin sieht in der Konfessionalisierung des Bürgerrechts dagegen ein Zeichen der "Resakralisierung" (19).

[2] Frank Hatje: Auf der Suche nach den Flüchtlingen und Exulanten des Dreißigjährigen Krieges in Hamburg, in: Martin Knauer / Sven Tode (Hg.): Der Krieg vor den Toren. Hamburg im Dreißigjährigen Krieg 1618-1648 (= Beiträge zur Geschichte Hamburgs; 16), Hamburg 2000, 181-211; Jutta Braden: Hamburger Judenpolitik im Zeitalter lutherischer Orthodoxie 1590-1710 (= Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden; 23), Hamburg 2001; vgl. auch Claudia Thorn: Zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und gesellschaftlicher Integration. Zur Bedeutung des Bürgerrechts für Frauen in Hamburg im 19. Jahrhundert bis zu seiner Aufhebung 1864, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 83 (1997), 51-93. Zu Hildesheim sollten ab sofort die Arbeiten von Renate Dürr einbezogen werden.

Susanne Rau