Dieter Flach (Hg.): Das Zwölftafelgesetz - Leges XII tabularum (= Texte zur Forschung; Bd. 83), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, 253 S., ISBN 978-3-534-15983-3, EUR 39,90
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In der Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christus kam es in Rom zu einer ersten umfangreichen Verschriftlichung von Normen. Laut Livius einigten sich Patrizier und Plebejer, nachdem Letztere über viele Jahre hinweg versucht hatten, die Willkür der Konsuln durch Gesetze zu beschränken, darauf, zunächst drei Gesandte nach Athen zu schicken, die dort die Gesetze Solons studieren sollten. Nach deren Rückkehr wurden dann zehn Männer aus den Reihen der Patrizier bestimmt, die Gesetze niederschreiben sollten. Am Ende ihrer Amtszeit wurde zunächst über zehn Tafeln mit den Ergebnissen ihrer Arbeit in den comitia centuriata abgestimmt; wenig später wurden zwei weitere Tafeln hinzugefügt. [1] Diese Bestimmungen blieben bis zu den großen Gesetzeskodifikationen der Spätantike, trotz aller Veränderungen des gesellschaftlichen Kontextes, Grundlage des römischen Rechts.
Bei dem vorliegenden Band handelt es sich nun um eine zweisprachige Neuausgabe der Zwölftafeln, in welcher nicht nur die Überreste des Textbestandes, sondern alle einschlägigen Zeugnisse enthalten sind. Dabei folgt deren Anordnung, "damit sie möglichst bequem zu benutzen" sei (VII), der Ausgabe, die Crawford 1996 besorgt hat, wobei Flach auf die Probleme der Zuordnung der Fragmente verweist. [2] In der kurzen Einleitung (3-33) geht Flach zunächst auf die Überlieferung der annalistischen Geschichtsschreibung zur Entstehung des Gesetzes ein und gleicht diese im Folgenden mit einer modernen Rekonstruktion der Geschichte der frühen römischen Republik ab. Dabei vertritt Flach ein Modell, bei dem nach der Vertreibung der Könige zunächst der praetor maximus die höchste "Staatsgewalt" ausgeübt habe; die Einrichtung des Konsulats verlegt er ins 2. Drittel des 4. Jahrhunderts vor Christus (8). Auch wird bei ihm die Entstehung der Zwölftafeln aus dem Kontext der Ständekämpfe herausgelöst. In der Mitte des 5. Jahrhunderts wäre es - so Flach - weder für die Plebs notwendig gewesen, den Patriziern Rechtsgleichheit abzuringen, noch hätten diese sie der Plebs gewähren müssen. Der Rahmen, den Livius für die Entstehung der Zwölftafeln biete, setze vielmehr einen Stand der Verfassungsentwicklung des 2. Drittels des 4. Jahrhunderts voraus (6). Den historischen Kontext der Entstehung des Gesetzeswerkes rekonstruiert Flach dagegen folgendermaßen: "je vielgestaltiger sich das Rechtsleben auffächerte, desto nachdrücklicher drängte die Bevölkerung darauf, die gewohnheitsrechtlichen Regelungen zu verschriften und zu einer Gesetzessammlung zu bündeln" (14 f.). Auf diese Einführung folgen die Zeugnisse und ihre Übersetzung (37-168). Der vorgelegte Text sowie die beigefügten Übersetzungen lassen dabei keine Wünsche offen. Der Kommentar (171-230) bietet eine solide Einführung sowohl in die philologischen Probleme, die mit Rekonstruktion und Verständnis des Textes verbunden sind, als auch eine gründliche rechtshistorische Erklärung der einzelnen Bestimmungen. Ein Quellen- (233-236) und Literaturverzeichnis (237-242) sowie ein Quellenstellenregister (245-250) und ein Verzeichnis lateinischer Stichwörter (251-253) runden das Buch ab.
Handelt es sich bei dem Buch auch insgesamt um eine gelungene Ausgabe der Zwölftafeln, so sind doch einige Punkte kritisch zu erwähnen: Zum Ersten ist auf die Anordnung der Fragmente hinzuweisen, die - wie erwähnt - der Gliederung Crawfords folgt. Dies ist nun nicht grundsätzlich zu beanstanden, da zum einen eine sichere Zuordnung ohnehin nicht möglich ist und zum anderen es gute Gründe für diese gibt. [3] "Bequem" ist diese Entscheidung für die Anordnung von Crawford und gegen die übliche Zählung in den Fontes Iuris Romani Antiqui aber nicht, und dies gilt insbesondere deshalb, weil Flach bei den Fragmenten auf eine Angabe anderer Zählungen verzichtet und vor allem seiner Ausgabe keine Konkordanz beigegeben ist.
Irritierend ist die Darstellung der Geschichte der frühen römischen Republik: Nicht, weil die Rekonstruktion in sich nicht schlüssig wäre oder überhaupt überraschend; sie entspricht im Wesentlichen derjenigen, die Flach auch schon in seiner Ausgabe der Gesetze der frühen Republik geboten hat. [4] Erstaunlich ist aber die Sicherheit, mit der diese Rekonstruktion dargeboten wird. Dass es sich lediglich um eine mögliche Rekonstruktion dieser Epoche handelt, wird nicht deutlich. Verweise auf die Forschungskontroversen, die es zu den Ständekämpfen und der Entwicklung der römischen 'Verfassung' doch in reichem Maße gibt, fehlen.
An Text, Übersetzung und Kommentar lässt sich kaum begründete Kritik üben; höchstens in Bezug auf Letzteren würde man sich manchmal wünschen, dass die Ausführungen über die behandelten Fragen hinausgingen und sich nicht allein auf philologische und rechtsgeschichtliche Erläuterungen beschränkten. So bietet Flach zwar zu XII-tab. 4,2 Erläuterungen zum Verkauf des Sohnes durch den pater familias und zum Ausscheiden des Sohnes aus dessen patria potestas bei dreimaligem Verkauf; Überlegungen zur Stellung des Hausvaters und zur Entwicklung der patria potestas gibt es jedoch nicht und das, obwohl doch auffällig ist, dass in der genannten Bestimmung der terminus technicus noch fehlt. Auch ansonsten geht Flach selten auf die familiale Ordnung und deren Entwicklung ein. So vermisst man beispielsweise auch Überlegungen zur Stellung der gentes im 5. Jahrhundert, was für das Verständnis der 5. Tafel hilfreich gewesen wäre.
Unbefriedigend ist schließlich die Gestaltung der Anhänge. Dies beginnt bei dem Quellenverzeichnis: Dies enthält zum einen nicht alle im Kommentar benutzten Autoren - so fehlen unter anderem die 'Noctes Atticae' des Gellius oder Dionysios von Halikarnassos -, zum anderen werden Übersetzungen zu den aufgeführten Titeln nach keinem erkennbaren Muster angegeben. Beim Quellenstellenregister werden lediglich die im ersten Teil verwendeten Quellen aufgeführt, während diejenigen, die im Kommentarteil auftauchen, keine Erwähnung finden. Und schließlich lässt auch das Stichwortverzeichnis durchaus Wünsche offen: Zum einen beinhaltet es lediglich lateinische Begriffe, zum anderen stimmen die angegebenen Seitenzahlen für die Begriffe innerhalb des Kommentars nicht. Offensichtlich wurden nachträglich Leerseiten (170 f.) eingefügt und das Verzeichnis anschließend nicht mehr geändert, sodass zu den dort zu findenden Angaben zwischen ein und zwei Seiten hinzuaddiert werden müssen, um die gesuchte Stelle zu finden (zum Beispiel: mancipatio statt 195 196; manus conserere statt 178 179 oder bei membrum ruptum statt 178 180). Auch ein zusätzliches Schlagwortregister wäre sicherlich hilfreich gewesen.
Diese Kritik soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der vorliegenden Ausgabe der Zwölftafeln um ein nützliches Buch handelt. Es bietet den Text und alle einschlägigen Zeugnisse zusammen mit einer guten Übersetzung sowie einen Kommentar, der sowohl philologische Fragen beantwortet als auch eine solide rechtsgeschichtliche Einordnung bietet.
Anmerkungen:
[1] Livius 3,31ff.
[2] M.H. Crawford (Hg.): Roman Statutes, Bd. 2, Oxford 1996, 555-721.
[3] M.H. Crawford (Hg.): Roman Statutes, Bd. 2, Oxford 1996, 564-569.
[4] D. Flach (Hg.): Die Gesetze der frühen römischen Republik. In Zusammenarbeit mit St. von der Lahr, Darmstadt 1994, 1-42.
Jan Timmer