Rezension über:

Stephen Colvin (ed.): The Greco-Roman East. Politics, Culture, Society (= Yale Classical Studies; 31), Cambridge: Cambridge University Press 2004, XIV + 278 S., 9 plates, 5 fig., 2 maps, 1 table, ISBN 978-0-521-82875-8, GBP 50,00
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Rezension von:
Christina Kokkinia
Institute of Greek and Roman Antiquity, Athen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Christina Kokkinia: Rezension von: Stephen Colvin (ed.): The Greco-Roman East. Politics, Culture, Society, Cambridge: Cambridge University Press 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/6881.html


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Stephen Colvin (ed.): The Greco-Roman East

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Wer einen Band mit Beiträgen zum "Griechisch-Römischen Osten" bereitstellt, hat es nicht auf Originalität abgesehen und verfolgt dennoch ein lohnendes Ziel. Diese Gebiete liefern nach wie vor einzigartige epigrafische Funde, sie sind vielerorts Gegenstand intensiver archäologischer Forschungen sowie Herkunftsort einer reichen literarischen Überlieferung. Sie verdienen die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wird, in vollem Maße. Neue Arbeiten, die Licht auf die Beziehungen griechischer Polisgründungen zu indigenen Kulten und lokalen Mächten werfen (Riet van Bremen), die unterschiedliche Formen politischer Zusammenschlüsse in diesem Raum analysieren (Gary L. Reger) oder schließlich die Rolle von Kultzentren im Leben umliegender Gemeinden aufzeigen (Angelos Chaniotis), sind deshalb sehr willkommen.

In einer eindringlichen Untersuchung der Beichtinschriften und verwandter Dokumente argumentiert Angelos Chaniotis ("Under the watchful eyes of the gods: divine justice in Hellenistic and Roman Asia Minor", 1-43) gegen das Vorhandensein einer Tempeljustiz im hellenistischen und römischen Kleinasien. Besonders die Rolle von außerurbanen und ländlichen Heiligtümern war komplex und vielseitig, doch fungierten die Priester zu keiner Zeit als Richter, wie Chaniotis überzeugend darlegt. Vielmehr wurden sie von den Landbewohnern in einem nicht institutionalisierten Rahmen als Schlichter eingesetzt.

Aus M. Christols und Th. Drew-Bears Auswertung der epigraphischen Zeugnisse zur Karriere des Arztes von Caracalla, Lucius Gellius Maximus ("Caracalla et son médecin L. Gellius Maximus à Antioche de Pisidie", 85-118), ergibt sich unter anderem, dass Gellius Maximus tatsächlich aus dem Pisidischen Antiochien stammte und nicht aus Sagalassos, wie eine 1996 bekannt gewordene Inschrift nahe zu legen schien. [1] Die Autoren zeigen außerdem, dass der von diesem Mann geführte Titel apo tou Museiou "Mitglied des Museums" bedeutete. Dabei handelte es sich höchstwahrscheinlich um das Museum von Alexandreia.

Das von Stephen Colvin ("Names in Hellenistic and Roman Lycia", 44-84) untersuchte onomastische Material aus dem hellenistischen und römischen Lykien vor der Provinzialisierung (4. Jahrhundert vor Christus bis 43 nach Christus) vermag nur den bestehenden Eindruck zu bestätigen, dass die Lykier offenbar keinen Widerspruch zwischen lykischer und griechischer Identität sahen (69). Im Appendix findet man eine ausführliche Namensliste.

Anhand der Keramik, der Münzen und der Bad-Architektur von Dura-Europos stellt Nigel Pollard fest ("Roman material culture across imperial frontiers? Three case studies from Parthian Dura-Europos", 119-144), dass kein zwingender Beweis für einen nennenswerten Einfluss Roms jenseits der Reichsgrenzen besteht, jedenfalls nicht im Bereich der materiellen Kultur.

Gary L. Regers Beitrag ("Sympoliteiai in Hellenistic Asia Minor", 145-180) zu sympoliteiai im hellenistischen Kleinasien liefert zunächst eine interessante Besprechung der oft schwer zu treffenden Unterscheidung zwischen den Begriffen sympoliteia, isopoliteia und synoikismos (148-149). Reger unterstreicht die Rolle von Königen bei der Gründung von sympoliteiai und diskutiert Beispiele von hellenistischen Monarchen, die Sympolitie-Gründungen aus machtpolitischem Kalkül bewirkten (150-155). Reger diskutiert außerdem wirtschaftliche Faktoren, die zum Beispiel im Fall des Zusammenschlusses von Milet und Pidasa eine Rolle gespielt haben könnten (158-160). Anhand dieses und anderer Beispiele bespricht Reger die Frage, inwiefern die Bewohner kleinerer Gemeinden ihre Eigenidentität beibehielten, wenn sie sich größeren Poleis anschlossen (160f.).

In einem erkenntnisreichen Beitrag unternimmt es Giovanni Salmeri ("Hellenism on the periphery: the case of Cilicia and an etymology of soloikismos", 181-206), die Kontakte Kilikiens zur griechischen Welt und besonders seine Einbeziehung in die griechische Kultursphäre zu untersuchen. Salmeri liefert keine neue Etymologie des Wortes soloikismos (wie der Titel suggeriert), dafür aber eine plausible Datierung und Lokalisierung der Entstehung jener Etymologie, die den schlechten Gebrauch der griechischen Sprache mit dem kilikischen Soloi verband. Wie Salmeri darlegt, könnte es sich dabei um ein Produkt der geistigen Atmosphäre im Athen des 3. Jahrhunderts vor Christus und der dortigen Anwesenheit des Philosophen Chrysippus von Soloi handeln.

Riet van Bremens Studie ("Leon son of Chrysaor and the religious identity of Stratonikeia in Caria", 207-244) ist von großer Bedeutung für unser Verständnis der Beziehungen hellenistischer Polisgründungen zu lokalen Heiligtümern und Kulten. Sie liefert gleichzeitig Erkenntnisse über die Territorialpolitik einer karischen Stadt gegenüber der Inselmacht Rhodos.

Hellenistische Gründungen werden von der Forschung stets als Verbreitungszentren griechischer Lebensformen angesehen. Wie van Bremen jedoch zurecht betont, dürfen besonders Städte, die auf einen Zusammenschluss existierender Gemeinden zurückgehen, nicht als katalytischer Faktor in einem Hellenisierungsprozess gesehen werden. Diese neuen politischen Einheiten mussten keine grundsätzlich veränderte Einstellung zu lokalen Kulten aufweisen. Der Prozess, in dem die indigenen Kulte in das Polis-System integriert wurden, verlief keinesfalls linear, und die Kulte wurden dabei nicht unbedingt grundlegend verändert (223). Vielmehr waren die Kontakte und die Abhängigkeitsbeziehungen auf beiden Seiten bedeutend komplexer. Zum Beispiel dürfte der zur Zeit der Gründung Stratonikeias bereits vorhandene Kult des Zeus von Panamara ein wichtiges Instrument in der Politik dieser Stadt gegenüber Rhodos gewesen sein. Indem Stratonikeia nämlich entfernte Gemeinden (Kallipolis) zur Beteiligung am Kult des Zeus von Panamara einlud, stieß es in den rhodischen Machtbereich vor.

Zum Anlass für van Bremens Untersuchung wird ein Dossier dreier im Heiligtum des Zeus von Panamara aufgestellter hellenistischer Ehrendekrete für den Zeuspriester Leon, Sohn des Chrysaor aus Stratonikeia: I.Stratonikeia 7, SEG 45 1556 und 1557. Ersteres Dokument ist seit längerem bekannt, die beiden letzten sind erst 1995 publiziert worden. [2] Darin ehren das "koinon der Panamareis", die Stadt Kallipolis am Golf von Keramos und das "koinon der Laodikeis" (einer noch nicht lokalisierten Gemeinde) Leon dafür, dass er sich aktiv für die Ausweitung des Kultes eingesetzt hat. Er habe sowohl den so genannten sympas demos (von van Bremen mit dem Rat und dem Volk von Stratonikeia gleichgesetzt) als auch andere Poleis überzeugen können, sich aktiver am Kult zu beteiligen.

Van Bremen schließt sich jenen Gelehrten an, die eine Datierung der Dekrete um 150 vor Christus favorisieren, das heißt circa zwei Jahrzehnte nach der Befreiung Stratonikeias' von rhodischer Herrschaft. Stratonikeia ist wahrscheinlich um 260 oder 250 vor Christus gegründet worden; es war also zum Zeitpunkt dieser Ehrungen erst ein Jahrhundert 'alt'. Das Heiligtum dürfte nach Einschätzung der Autorin dagegen älter gewesen sein. Es scheint seine Vorrechte vor der Gründung Stratonikeias erhalten zu haben. Aber auch die Neugründung Stratonikeia war nicht wirklich 'neu'. Ihr lag ein Zusammenschluss existierender karischer Gemeinden zu Grunde. Van Bremen hält es für wahrscheinlich, wenn auch nicht erwiesen, dass auch die Bewohner von Panamara der Stadt (als einer seiner Demen) einverleibt wurden (231).

Die Stadt Stratonikeia befand sich zeitweise selbst in einer Abhängigkeitsbeziehung, und zwar zur Inselmacht Rhodos. Stratonikeia dürfte beträchtlich früher als 197 vor Christus, wahrscheinlich sogar kurz nach seiner Gründung, unter die Herrschaft Rhodos' gekommen sein. Dadurch wäre den Expansionsabsichten Stratonikeias in Richtung Panamara zunächst ein Riegel vorgeschoben worden. Wahrscheinlich hat dann Philipp V., der zwischen 201 und 197 sowohl die Stadt als auch das Heiligtum kontrollierte, mit einem für die makedonische Monarchie charakteristischen Administrations- und Rationalisierungsakt Stratonikeias' Territorium um Panamara erweitert - eine Situation, die vermutlich sowohl unter rhodischer Kontrolle als auch noch danach beibehalten worden ist.

Eine wichtige Erkenntnis, die durch die neuen Dokumente gewonnen wurde, betrifft den Zeuspriester: Leon wurde durch die Stadt Stratonikeia, nicht etwa durch das koinon der Panamareis, eingesetzt (211, 212). Van Bremen weist im Übrigen eine Interpretation der Rolle Leons im Sinne eines Schlichters zwischen Kallipolis und dem nicht lokalisierten Laodikeia zurück (236). Leons Aktivitäten gehören vielmehr in den Kontext der Erweiterung des Einflusses von Stratonikeia in Gebiete, die nun von Rhodos kontrolliert wurden. Rhodos' Einstellung zu Stratonikeia in jener Zeit wird in einer Inschrift als Hass - apechtheia - wiedergegeben (I.Iasos 612). Dass sich die in der Inschrift aus Stratonikeia (I.Stratonikeia 7, Z. 9-10) erwähnten Gefahren für Leon auf eben diese feindliche Einstellung des mächtigen Nachbarn (nicht etwa auf die gewöhnlichen Gefahren einer Reise) beziehen, scheint allerdings schwer beweisbar. Wie dem auch sei: Angesichts der entfernten Orte, die Leons Aktivität berührte, scheint van Bremens Schlussfolgerung berechtigt: Stratonikeia beabsichtigte nicht bloß, die Kontrolle über ein altes Heiligtum zu gewinnen, das sich am Rande der Rhodischen Peraia befand, sondern versuchte offenbar, tief in das von Rhodos kontrollierte Gebiet einzudringen.

Der Untertitel dieses Sammelbands verspricht keine große Kohärenz der Beiträge. Man kann das Ergebnis dementsprechend vielseitig oder zusammenhanglos nennen, der Wert der einzelnen Beiträge wird dadurch aber keineswegs beeinträchtigt. Es handelt sich um eine nützliche, in vielerlei Hinsicht lesenswerte Sammlung.


Anmerkungen:

[1] H. Devijver: Social elite, equestrians and senators: a social history of Roman Sagalassos, in: Ancient Society 27 (1996), 140-143 (= Supplementum Epigraphicum Graecum 46, Nr. 1680 = L'Année épigraphique 1996, Nr. 1514).

[2] M. Cetin Sahin: Two new Hellenistic decrees from Panamara, in: Epigraphica Anatolia 25 (1995), 83-85 Nr. 1 und 85-86 Nr. 2.

Christina Kokkinia