Paul Trebilco: The Early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius (= Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament; 166), Tübingen: Mohr Siebeck 2004, XXIII + 826 S., ISBN 978-3-16-148271-7, EUR 149,00
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Kaum eine andere Stadt ist auf so vielfältige Weise mit dem Neuen Testament und dem Urchristentum verbunden wie Ephesos. Das Leben der dortigen Christen, von der Gründung der Gemeinde bis in das frühe zweite Jahrhundert, untersucht nun Paul Trebilco, Professor für Theologie an der University of Otago, Dunedin (Neuseeland), der bereits mit Arbeiten zum jüdischen und griechisch-römischen Umfeld des Neuen Testamentes hervortrat. [1] Initiiert durch die Feststellung James Dunns, dass die Bearbeitung Ephesos' in neutestamentlichen Untersuchungen übersehen worden war, begann er bereits 1994 vorliegendes Werk ("preface"). Etwa zur selben Zeit entstanden - besonders im deutschsprachigen Raum - weitere Arbeiten zur Geschichte der ephesischen Christen, nicht zuletzt angeregt durch die allgemeine Beachtung, die die Stadt aufgrund des hundertsten Jahrestages der dortigen österreichischen Grabungen erfuhr. [2] Paul Trebilco analysiert in seinem umfangreichen Werk die Paulusbriefe, Apostelgeschichte, Pastoralbriefe, Johannesbriefe, die Offenbarung und die Schriften des Ignatius. Er verfolgt dabei zwei Ziele: "The first is the descriptive task of attempting to outline what our sources tell us about the life and activity of the early Christians in Ephesus" (4). "The second aim of the book is to present the argument that, apart from the very earliest period, there was never a single 'Christian community in Ephesus'" (5).
Nach einer knappen Einleitung, stellt der Autor im ersten Kapitel die Umwelt der frühen Christen dar. Er beschreibt in aller Kürze die Geschichte, Einwohnerzahl und Lage der Stadt, die dortige jüdische Gemeinde und als "the two major examples of its multi-faceted cultic life" (52) den Artemis- und den Kaiserkult. An diese Vorbemerkungen schließt sich die eigentliche Untersuchung an. Der Aufbau orientiert sich dabei an den Quellengruppen, denen er jeweils einen eigenen Hauptteil widmet. Nur der dritte Hauptteil unterscheidet sich insofern, als hier die Quellen vergleichend auf die Frage nach der Gruppenidentität hin untersucht werden.
Den frühesten literarischen Belegen für das ephesische Christentum widmet sich Paul Trebilco im ersten Hauptteil. Wichtigstes Ergebnis der Untersuchung der Paulusbriefe (53-103) und der Apostelgeschichte (104-196) ist, dass die Organisation in Hauskirchen eher die Vielfalt als die Einheit förderte und dass es bereits in der Mitte des ersten Jahrhunderts verschiedene christliche Gruppen gab, so eine vorpaulinische, eine paulinische und eine judenchristliche.
Im zweiten Hauptteil werden in drei Kapiteln Zeugnisse für die zweite und dritte Generation der frühen Christen bearbeitet. Die Pastoralbriefe (197-236), Johannesbriefe (237-292) und die Offenbarung des Johannes (293-350) zeigen, dass es noch gegen Ende des ersten Jahrhunderts eine starke paulinische Gemeinde gab, zu der jedoch eine Gruppe in Opposition stand, die ebenfalls aus der paulinischen Tradition hervorgegangen ist. Zudem existierte eine johanneische Gemeinde, von denen sich ebenfalls eine Gruppe ("the secessionists"), die eine andere Christologie vertrat, abgespalten hatte. Die Offenbarung des Johannes wendet sich zudem gegen die Nikolaiten, die, ähnlich den "Starken" in Korinth, zwar eine christliche Gruppe bildeten, aber in einer für die traditionelle griechisch-römische Umwelt kompatibleren Form.
Der umfangreichste ist der dritte Hauptteil. Hier analysiert Paul Trebilco in den Kapiteln 8-13 Aspekte der verschiedenen Gruppen, die er aufgrund der Quellen identifizieren konnte. Er vergleicht die Adressaten der Pastoralbriefe, der Johannesbriefe und der Offenbarung im Hinblick auf ihre Gruppenidentität, die sich in die Bereiche Akkulturation, Assimilation und Übereinstimmung (351-403), Besitz (404-445), Führungsposition und Autorität (446-506), Rolle der Frau (507-552), Selbstbezeichnung (553-588) und das Verhältnis von Tradition und Gemeinde (589-627) aufgliedert. Der Autor versucht damit zu zeigen, dass es sich bei den Adressaten tatsächlich um verschiedene Gemeinden und nicht um ein und dieselbe handele, die von den verschiedenen Autoren der Quellen nacheinander "übernommen" worden sei.
Im letzten Hauptteil wendet Paul Trebilco sich den Adressaten der Ignatiusbriefe (628-683) und zusätzlichen Informationen über das Leben der Christen in Ephesos (684-711) zu. Ignatius schreibt in einer Periode der Transformation der kirchlichen Strukturen an die christlichen Gruppen innerhalb der Stadt, die sich zum Teil noch separat in Hauskirchen zusammenschlossen und somit unabhängig vom Bischof waren. Gegen diese Tendenz wendet sich Ignatius und propagiert eine Einigung der ephesischen Christen unter Onesimos.
Bei der Beschreibung der Quellenaussagen zum frühen Christentum - das erste Ziel, das Paul Trebilco sich steckte - erweist es sich als defizitär, dass es zum einen keinen Paulusbrief an die Gemeinde von Ephesos (im Gegensatz etwa zu Korinth) gibt und dass wir zum anderen vor dem dritten Jahrhundert über keine epigrafischen und archäologischen Zeugnisse verfügen, die sich direkt mit dem dortigen Christentum in Verbindung bringen lassen. Paul Trebilco beklagt zwar die "paucity of information" (99, ähnlich auch 152, 443 und öfters), reflektiert jedoch nicht das Fehlen von Quellen und versucht auch nicht außerhalb der direkten Belege, Erkenntnisse aus wenig beachtetem Material zu ziehen. Aus dem Mangel erklärt sich schließlich auch, weshalb er allzu oft in der reinen Quellenkritik verharrt, die teilweise langatmig ist und häufig zu absehbaren Ergebnissen führt. [3] So benötigt er beispielsweise für die Frage, ob Paulus in ephesischer Gefangenschaft war, fünf Seiten (83-87), um schließlich zu dem Schluss zu kommen, dass es zwar wahrscheinlich ist, jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass Paulus die Gefängnisbriefe von Ephesos aus schrieb, nicht ausreiche, um diese Briefe als Quellenbelege für den Aufenthalt Paulus in Ephesos heranzuziehen.
Sein zweites Ziel, den Nachweis zu erbringen, dass die Christen innerhalb einer Stadt keine Einheit bildeten, verfolgt Paul Trebilco konsequent und nachvollziehbar. Nicht problematisiert wird jedoch die Möglichkeit, dass es noch weitere christliche Gruppierungen in Ephesos gab, die nicht literarisch belegt sind, und die Frage, ob die Überlieferung nur suggeriert, dass es sich bei den genannten Gruppen um organisatorische Einheiten handelt.
Nichtsdestotrotz ist der Wert der Untersuchung nicht zu gering zu veranschlagen: Paul Trebilco liefert eine detaillierte, lokalgeschichtliche Fortführung der Arbeiten von Meeks und Dunn. [4] Er setzt sich dabei ausführlich mit dem Quellenwert und der modernen Forschung auseinander. Das Buch richtet sich daher eher an einen Leser, der einen Einblick in das Urchristentum gewinnen möchte und dem der Blick für die Vielfalt der christlichen Gruppen innerhalb einer Stadt geschärft werden soll. Dem unkomplizierten Nachschlagen dienen dabei das detaillierte Inhaltverzeichnis, sowie das Stellen-, Autoren-, Sach- und Ortsregister. Auch die Gliederung der Arbeit, die sich an den Quellengruppen sogar in den Unterkapiteln orientiert, und die Zusammenfassungen der einzelnen (Unter-)Kapitel erleichtern den Zugriff auf einzelne Themen und Passagen.
Anmerkungen:
[1] Insbesondere in Kleinasien: P.R. Trebilco: Jewish Communities in Asia Minor, Society for New Testament Studies (= Monograph Series; 69), Cambridge 1991; ders.: Asia, in: D.W.J. Gill / C. Gempf (Hg.): The Book of Acts and Its Graeco-Roman Setting, Vol. 2: The Book of Acts in Its First-Century Setting, Exeter 1994, 291-362; ders.: Jews, Christians, and the Associations in Ephesos. A Comparative Study of Group Structures, in: H. Friesinger / F. Krinzinger (Hg.): 100 Jahre österreichische Forschungen in Ephesos, Akten des Symposions Wien 1995 (= Archäologische Forschungen; 1), Wien 1999, 325-334.
[2] Siehe zusammenfassend E.J. Schnabel: Die ersten Christen in Ephesus: Neuerscheinungen zur frühchristlichen Missionsgeschichte, in: NT 41 (1999), 349-382 sowie G. Lüdemann: Das Urchristentum. Eine kritische Bilanz seiner Erforschung (= Arbeiten zur Religion und Geschichte des Urchristentums; Bd. 12), Frankfurt a.M. u.a 2002, 130-136. Darüberhinaus ist noch zu nennen: S.H. Gritz: Paul, Women Teachers, and the Mother Goddess at Ephesus. A Study of 1 Timothy 2:9-15 in Light of The Religious and Cultural Milieu of The First Century, Lanham u.a. 1991.
[3] Siehe dazu die Rezension von P. Metzger http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-006.
[4] W.A. Meeks: The First Urban Christians, New Haven 1983; J.D.G. Dunn: Unity and Diversity in the New Testament, London 1977.
Dorothea Rohde