Lorraine Daston (ed.): Things that talk. Object Lessons from Art and Science, New York: Zone Books 2004, 447 S., ISBN 978-1-890951-43-6, GBP 22,95
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Dies ist ein schönes Buch, und es ist ein Weichen stellendes Buch. Schön ist der herrlich gestaltete Schutzumschlag; schön sind die sorgfältig ausgewählten Fotos, die nicht nur illustrierenden Charakter haben, sondern die Argumentation der Autoren unterstreichen, ja notwendig sind für das Verständnis der Interpretation der beschriebenen Dinge; schön ist die Sprache der Autoren; schön ist die Choreografie dieses bemerkenswert homogenen Sammelbands, der deutlich erkennen lässt, dass ihm eine längere Arbeitsphase des gemeinsamen Ringens um thematische Abstimmung, übergreifende Leitfragen und analytische Kohärenz vorangegangen ist. Weichen stellt das Buch, indem es auf überaus überzeugende Weise vorführt, wie sprachfähige Dinge - um den Buchtitel aufzunehmen - zum Sprechen gebracht werden können, mit welchen Methoden es gelingen kann, die kulturelle Bedeutung wieder herauszulesen, die in die uns umgebenden Dinge eingeschrieben ist; es manifestiert eindrucksvoll, wie wissenschaftliche und künstlerische Objekte historiografisch sinnvoll genutzt werden können, als mächtige heuristische und analytische Werkzeuge gleichermaßen; es stößt die Tür auf zu einer breit kontextualisierten, methodisch integrativen Objektforschung, die das Ding in den Mittelpunkt historischer und kulturwissenschaftlicher Erkenntnis stellt.
Wissenschaftliche Instrumente, technische Artefakte, Gemälde, Skulpturen, Plastiken, Sammlungen und Modelle, kurzum die materielle Kultur von Kunst und Wissenschaft ist in der traditionellen Arbeitsteilung geisteswissenschaftlicher Forschung Sache der Museen. Dinge werden von den Kuratoren der Museen gesammelt, bewahrt und erforscht, um als Krönung der musealen Aufgabenstellung im interpretatorischen Rahmen der Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden. Der Ort der kultur- und geisteswissenschaftlichen Forschung ist üblicherweise nicht die museale Sammlung, sondern sind die Bibliothek und das Archiv. Die Gegenstände der Betrachtung sind nicht dreidimensionale Dinge, sondern zweidimensionale Bilder und Texte - auch wenn sich diese Dichotomie nicht immer durchhalten lässt, denn auch Bilder und Texte können Dingcharakter haben.
Freilich löst sich die sterile Arbeitsteilung zwischen Museums- und akademischer Forschung allmählich auf. Auf der einen Seite beginnen Kulturwissenschaftler und Museologen, die spezifische Aussagefähigkeit und kulturelle Prägekraft von Museumsdingen, auch jenseits des Kontexts von "deponieren und exponieren", zu entdecken. 1) Museale Dinge werden als Artefakte verstanden, in denen sich säkulare historische Entwicklungen wie etwa der Verlauf von Innovationsprozessen, das Herausbilden einer neuen Moderne an der langen Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, Verschiebungen im Verhältnis von Wissenschaft und Technik, die Produktion von symbolischem Kapital oder die Koppelung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit konkret manifestieren. 2) Auf der anderen Seite rückt eine für die Praxisdimension wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung sensibilisierte Wissenschaftsgeschichte die "epistischen Dinge" von der Peripherie in das Zentrum ihrer Forschungsagenda. 3) Dieser konjunkturelle Aufschwung objektbezogener Forschung geht über die etablierten Ansätze zur Erforschung der materiellen Kultur unserer technisch-industriellen Welt ebenso hinaus wie über die eng geführte Diskussion der Entstehung und Entwicklung musealer Sammlungen.
Gemeinsam ist den untersuchten Dingen, wie Herausgeberin Lorraine Daston in einer brillanten Gegenüberstellung von sprachlosen und sprachfähigen Dingen einleitend herausarbeitet, dass sie Individualität besitzen und sich in ihrer jeweiligen Eigenheit dem Versuch zur Einordnung in enge Klassifikationsschemata entziehen. Ihre Beredsamkeit, ihre Fähigkeit, sich der Gesellschaft mitzuteilen, beruht darauf, so die übergreifende These des Buches, dass ihnen ein vergleichsweise hoher Grad an kultureller Bedeutung eingeschrieben ist, die sie im buchstäblichen Sinne als bedeutungsvoll, als voll von Bedeutung, erscheinen lässt. Bedeutungsvolle Dinge in diesem Sinne sind Dinge, die sprechen können. Ihnen intensiv zuzuhören ist Aufgabe der Kulturwissenschaften, die im Dialog mit bedeutungsvollen Dingen vieles Neue darüber erfahren können, wie sich Wissenschaft und Kunst konstituieren.
Die Sprachfähigkeit von Dingen - und hier setzt sich das Buch gezielt von der mythos-fokussierten Semiologie eines Roland Barthes ab - hängt nicht ausschließlich am Interpreten; sie ist nicht allein soziale Projektion oder kulturelle Konstruktion. Sie ist weder völlig willkürlich noch determiniert. Vielmehr hängt sie auch von den materiellen Eigenschaften der Dinge selbst ab und von den kulturellen Zwecken, für die die Dinge jeweils geschaffen worden sind. Caroline A. Jones weicht in ihrem Beitrag über Jackson Pollocks Gemälde aus der Perspektive des Kunstkritikers Clement Greenberg von diesem Thesenangebot leicht ab, wenn sie darauf hinweist, dass ein Kunstwerk als Ding andere Dinge benötigt, um als semiotische Einheit zu funktionieren. Erst Kunstwerk und Interpret gemeinsam bilden ein sprechendes Ding.
Hier könnte man einhaken und kritisch anmerken, dass die einzelnen Beiträge die einleitend von Daston essayistisch und thesenstark formulierte Forschungsagenda nicht durchgängig einlösen, ihr bisweilen gar entgegen treten. Doch hieße eine solche Kritik den Charakter des Buches als ergebnisoffenes wissenschaftliches Experiment, als methodisch innovative Exploration eines weitgehend unbekannten Forschungsfeldes zu verkennen. Vielmehr zeichnet es das Buch aus, dass die einzelnen Beiträge als Explorationsstudien von der in der Einleitung umrissenen Thesenbasis ausgehen, um mit durchaus unterschiedlichem methodischem Gepäck auf dem Rücken in ganz verschiedene Richtungen loszumarschieren.
Welches sind die Dinge, die in den Artikeln des Buches als sprachmächtig identifiziert werden: Der Baummensch in Hieronymus Boschs Gemälde "Der Garten der Lüste" (Joseph L. Koerner), die frei stehende Säule in der religiösen Architektur des 18. Jahrhunderts (Antoine Picon), die Pfaueninsel in der Havel bei Potsdam als Repräsentation des preußischen Staates (M. Norton Wise und Elaine M. Wise), Seifenblasen als Ware in der klassischen Physik des 19. Jahrhunderts (Simon Schaffer), frühe Fotografien als juristische Beweismittel (Joel Snyder), die Glasblumensammlung der Harvard University (Lorraine Daston), die symmetrischen Tintenklecks-Gebilde des Rorschach-Tests als psychologisches Standardverfahren (Peter Galison), Zeitungsausschnittsammlungen in Wissenschaft und Kunst um 1920 (Anke te Heesen) und Jackson Pollocks Gemälde in der Sicht des Kunstkritikers Clement Greenberg (Caroline A. Jones).
Die Ergebnisse dieser explorativen Vorstöße in weitgehend unbekanntes Terrain fallen ebenso zahlreich wie überzeugend aus. Alexander von Humboldt hätte seine Freude daran, und Humboldt ist als Akteur auch beteiligt an der ersten der beiden Fallstudien, die ich - recht willkürlich - herausgreife, um die Leistungsfähigkeit des Ansatzes vorzuführen, über die dichte Beschreibung von bedeutungsvollen Dingen historischen Wandel zu analysieren. Norton und Elaine Wise erzählen die Geschichte der Pfaueninsel von der Wende zum 19. Jahrhundert bis in die 1830er-Jahre. Mit der repräsentatives Ausgestaltung der Pfaueninsel als botanisches und technisches Kunstwerk versuchte sich das nach der Niederlage gegen Napoleon in die Krise geratene Hohenzollernreich als reformfähiger Staat neu ins Szene zu setzen. Die Pfaueninsel ist die Bühne für diese Neuinszenierung des preußischen Königreichs als moderner Staat im Rückgriff auf das Wissenssystem der Botanik, das Instrumentarium zeitgenössischer Garten- und Landschaftsgestaltung und die Anwendung innovativer Technik, nach englischem Vorbild und unter Nutzung von britischem Expertenwissen. Englischer Garten und Menagerie, tropisches Palmenhaus und Dampfmaschinen-getriebener Springbrunnen repräsentierten das Ideal naturalistischer Freiheit der preußischen Reformer um Hardenberg, Altenstein und die Brüder Humboldt - letztlich auch das Gegenbild zur herrschenden politischen Restauration. Als sprachmächtiges Ding verstehen die beiden Autoren die Pfaueninsel in toto. Sie interpretieren sie als Palimpsest zeitlicher Schichten der Inszenierung des preußischen Machtstaates, das sich als Ding in physischen Objekten materialisiert: in Pflanzen und Tieren, Gebäuden und Springbrunnen, Maschinen und Menschen. Diese Komponenten und ihre Verknüpfungen fügen sich zu einem Ding zusammen, das kulturelle Bedeutung und damit Sprachfähigkeit erst durch diejenigen erlangt, die es zu je unterschiedlichen Zeiten besucht haben.
Die Botanik als Wissenssystem steht auch im Mittelpunkt des Artikels von Lorraine Daston über die weltweit einzigartige Sammlung von 847 Glasmodellen von 750 Pflanzenarten in natürlicher Größe aus der Werkstatt der Dresdener Glasmacherfamilie Blaschka. Als der Botanist George Lincoln Goodale von der Harvard University einen Monopolvertrag mit der Dresdener Werkstatt abschloss, konnte er noch nicht wissen, dass es schließlich rund 50 Jahre unendlich mühsamer Arbeit benötigte, ehe der Auftrag vollendet werden konnte. Auftraggeber und Produzent stellten die Glasblumen in die Tradition der Lehrmittelsammlungen und verstanden sie als wissenschaftliche Modelle zur Instruktion von Studierenden. Ihre Naturtreue entsprach dem wissenschaftlichen Konzept der Anschaulichkeit, das der Botanik des 19. Jahrhunderts entstammte, in den 1930er-Jahren aber längst zu einem wissenschaftlichen Anachronismus geworden war. Worin besteht nun der Dingcharakter der Sammlung als dingliche Entität, worauf beruht deren Fähigkeit zur Kommunikation? Die Antwort von Daston auf diese übergreifende Leitfrage des Bandes rekurriert darauf, dass die im Botanischen Museum der Harvard University ausgestellte Sammlung einen weltweiten Kreis von Freunden und Verehrern zu mobilisieren versteht. Jahr für Jahr aufs Neue pilgern tausende nach Cambridge, um diese Meisterwerke kunsthandwerklichen Schaffens in ihrer stupenden Detail- und Naturtreue zu bewundern. Es ist dieser Freundeskreis, der in Kommunikation mit den sprachfähigen Glasmodellen steht und sie im kulturellen Gedächtnis unserer Gesellschaft bleibend verankert. Wie aber lässt sich diese faszinierende Kraft der Modelle erklären? Daston antwortet: durch den Charakter der Modelle als perfekte Kopien, die ihrerseits nicht mehr kopierbar sind und damit gleichsam authentischer als die Originale.
Diese Argumentation wirkt etwas bemüht und vermag nicht völlig zu überzeugen. Hier hätte der Rückgriff auf die Erklärungsansätze der museologischen Forschungsliteratur weitergeführt. Dinge im Museum sind per se sprachfähige Dinge, die im semiöffentlichen Raum des Museums mit den Besuchern in einen Dialog treten. Wie intensiv dieser Dialog jeweils ausfällt, hängt von einem Bündel von Einflussfaktoren ab: von seiner räumlichen Platzierung und konzeptionellen Kontextualisierung ebenso wie von seiner Materialität und der Intensität seiner kulturellen Aufladung, von seiner "holding power" und seiner Ikonisierung ebenso wie von seiner (vermeintlichen) Authentizität.
Dieser Hinweis auf die Relevanz der vorliegenden Forschungsliteratur zu Museumsdingen unterstreicht noch einmal die weichenstellende Bedeutung dieses Buches. Es stellt Weichen für eine Erweiterung der Agenda historisch-kulturwissenschaftlicher Forschung, die das Ding, das Objekt, das Artefakt in den Fokus ihrer Betrachtung stellt und als epistemischen Schlüssel für ein vertieftes Verständnis einer Gesellschaft versteht, die zutiefst von Dingen geprägt ist.
Helmuth Trischler