Nikolaus Buschmann: Einkreisung und Waffenbruderschaft. Die öffentliche Deutung von Krieg und Nation in Deutschland 1850-1871 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 161), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003, 378 S., ISBN 978-3-525-35142-0, EUR 44,90
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Die Forschungen der letzten Jahrzehnte haben eindrucksvoll belegt, dass der Nationalismus nicht nur durch sein Homogenitäts- und Partizipationsversprechen attraktiv war, sondern auch von Anfang an eine Gewaltbereitschaft nach innen wie nach außen zeigte. Inklusion und Exklusion im Inneren gehören ebenso zum Nationalismus wie die Definition externer Feinde. Die vorliegende Tübinger Dissertation, die im Kontext des dortigen Sonderforschungsbereichs "Kriegserfahrungen" entstanden ist , belegt eindrucksvoll die Eingangsbehauptung des Autors, dass "wer von der Nation spricht", über "den Krieg nicht schweigen" (9) könne.
Buschmann betrachtet die zwei Jahrzehnte zwischen der Niederschlagung der 48er-Revolution und der Reichsgründung, denn in diesem Zeitraum wurde der "Geist der Gewalt" zur Signatur der Epoche. Der Blick richtet sich dabei nicht nur auf die Staaten des späteren Deutschen Reiches, sondern auch auf Österreich. Daher steht neben den drei "Einigungskriegen" auch der oberitalienische Krieg Österreichs von 1859 im Zentrum der Betrachtung. Ebenso analysiert werden Ereignisse wie die "Novemberkrise" von 1850 oder der ganz Europa aufwühlende Krimkrieg. Gefragt wird dabei nach den zeitgenössischen Kriegsbildern, nach den Bedrohungsängsten und Feindbildern, der Selbstwahrnehmung und den nationalpolitischen Zukunftsvorstellungen. Der heuristische Wert der Erforschung dieser öffentlich formulierten Deutungsangebote ergibt sich für Buschmann nicht aus ihrer "Realitätsnähe", sondern daraus, "wie sie die politischen Diskurse einer Gesellschaft steuern - und was für eine Wirklichkeit sie dabei erzeugen" (31).
Um diese Wirklichkeitserzeugung zu rekonstruieren, ist die Arbeit in neun Kapitel unterteilt, die - nach einführenden Erörterungen zu Forschungsstand, Theorie und Mediengeschichte - acht zentrale Themenfelder der Publizistik in den 1850er- und 1860er-Jahren behandeln. Die "Ansichten vom modernen Krieg" zeigten eine Ambivalenz aus patriotischer Kriegsbejahung und Angst vor den Schrecknissen eines entgrenzten Krieges, wobei insbesondere der Dreißigjährige Krieg als Menetekel galt. Spannungsreich war auch das Verhältnis von Kriegslegitimation und Friedensgebot, denn sowohl christliches Denken als auch der liberale Zivilisationsoptimismus machten Kriege zwischen den europäischen Völkern hochgradig begründungsbedürftig. Auf konservativer Seite dominierte hier die kulturpessimistische Deutung vom Krieg als göttliches Strafgericht für eine Gesellschaft auf dem liberalen "Irrweg". Der Liberalismus gab sich jedoch eher noch kriegerischer, weil das Friedensgebot in dem Konfliktfeld von Recht, Moral und Gewalt den konservativen Kräften der Beharrung in die Hände zu spielen schien.
Die gegenseitige Durchdringung von Religion, Konfession und Nationalismus zeigt, so Buschmann, eine langsame Verschiebung der Fronten. Der preußisch-österreichische Antagonismus ließ die Konfliktlinien zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen Nord- und Süddeutschland immer wieder hervortreten. Dagegen diente die Auseinandersetzung mit Dänemark um Schleswig-Holstein als Katalysator für das Vordringen der Deutungsmacht des Nationalen ins konservative Lager. Das war angesichts der Frontstellung zwischen konservativem Legitimitätsdenken und liberal-nationalem Erweckungspathos keineswegs selbstverständlich. Der Krieg gegen Frankreich schließlich versöhnte die preußischen Konservativen endgültig mit dem "Nationalitätsschwindel". Auch das Bild vom "Vaterlandsverteidiger" bewegte sich in dem Spannungsfeld von monarchischer Beharrung und bürgerlicher Selbstmobilisierung.
Einen wesentlichen Beitrag zur Homogenisierung der disparaten Kulturnation lieferte die imaginierte "Einkreisung" durch äußere Feinde, vor allem Russland und Frankreich. So konnte der mit französischer Unterstützung gegen Österreich geführte Krieg Sardinien-Piemonts als Teil einer gegen ganz Deutschland gerichteten "Einkreisungsstrategie" plausibel gemacht werden. Doch war die Feinddefinition keineswegs für alle politischen oder konfessionellen Lager verbindlich. Nicht nur, dass Russland und Frankreich als jeweiliges Schreckbild der Liberalen oder Konservativen dienten: im "Kampf gegen das Slawentum" eroberte sich das rassistische Denken endgültig seinen Platz im Nationalismus. Die zunehmende Gleichsetzung Österreichs mit diesem "Slawentum" ermöglichte auch die Umdefinierung des preußisch-österreichischen "Bruderkampfes" zum "Racenkampf". Von da aus war es auch nicht mehr weit zu einem territorialen Eroberungsprogramm, das mit einem "Zivilisationsvorsprung" gegenüber "minderwertigen" Nachbarn legitimiert wurde.
Alle diese verworrenen und miteinander verwobenen Entwicklungen werden von Buschmann detailgetreu und quellennah nachgezeichnet, wobei er manches Klischee wie das von einer scharfen Polarität zwischen "protestantischem Nationalismus" und "katholischem Universalismus" berichtigen kann. Nur der Rekurs auf den Krieg, so Buschmanns plausible These, schien es den Zeitgenossen zu ermöglichen, der tief zerklüfteten Nation die für notwendig erachtete Kohäsion zu stiften. Das funktionierte jedoch, wenn überhaupt, immer nur auf Zeit, hinterließ aber eine Spur der Verheerung in der politischen Kultur des frisch gegründeten Kaiserreichs, das ohne innere Feindmarkierungen auch zukünftig nicht auskam. Der Krieg wurde so zu einer zentralen Projektionsfläche des deutschen Nationalismus.
So differenzierend Buschmanns Studie ist, so mühsam ist leider ihre Lektüre. Das liegt zunächst an dem wenig imaginativen Schreibstil. Die beständige Berufung auf Autoritäten der Forschung erweckt den Eindruck begrenzter Eigenständigkeit, zumal die Studie auch methodisch konventionell ist. Die ausgiebige Quellenparaphrase steht im Vordergrund, während das analytische Element zu kurz kommt, obwohl die Arbeit thematisch und nicht chronologisch strukturiert ist. Dadurch wird die Lektüre ermüdender, als es Thema und Autor verdient haben. Auch inhaltlich bleibt der große "Aha-Effekt" aus, denn Buschmann gelingen zwar zahlreiche Differenzierungen, kaum jedoch wirklich neue Erkenntnisse. Die Rückbindung der Ergebnisse an die Politik- und Sozialgeschichte unterbleibt völlig. Gewiss ist die Kategorie der "Realitätsnähe" für die Bewertung der zeitgenössischen Debatten um Krieg und Nation problematisch. Aber völlig darauf zu verzichten führt zu einem kriterienlosen Relativismus. Doch wer vom Nationalismus sprechen will, sollte von Interessen nicht schweigen. Unverständlich ist vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Debatten um ihre Nationszugehörigkeit und der späteren Entwicklung, dass die Perspektive der Juden und der Blick auf sie unterrepräsentiert sind. Schließlich wäre ein Ausblick wünschenswert gewesen, der die Ergebnisse klarer in die Perspektive der Jahrzehnte bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs gerückt hätte.
Christoph Jahr