Rezension über:

Olga Palagia / Stephen V. Tracy (eds.): The Macedonians in Athens 322-229 B.C. Proceedings of an International Conference held at the University of Athens, May 24-26, 2001, Oxford: Oxbow Books 2003, XII + 266 S., ISBN 978-1-84217-092-2, GBP 75,00
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Rezension von:
Matthias Haake
Seminar für Alte Geschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Klaus Freitag
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Haake: Rezension von: Olga Palagia / Stephen V. Tracy (eds.): The Macedonians in Athens 322-229 B.C. Proceedings of an International Conference held at the University of Athens, May 24-26, 2001, Oxford: Oxbow Books 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/04/6288.html


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Olga Palagia / Stephen V. Tracy (eds.): The Macedonians in Athens 322-229 B.C.

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Das hellenistische Athen hat in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten seitens der althistorischen Forschung große Aufmerksamkeit genossen - ein Verdienst, das insbesondere Christian Habicht zukommt. [1] Zahlreiche epigrafische Neufunde [2], Erkenntnisse zur Chronologie [3], die Analyse innenpolitischer Verhältnisse und außenpolitischer Beziehungen [4], Forschungen zur Numismatik und Prosopografie sowie zur Romanisierung dieser polis [5] haben ein Bild des hellenistischen Athen entstehen lassen, das von dem lange Zeit gültigen, auf den fundamentalen Studien von William Scott Ferguson basierenden "Hellenistic Athens" sehr verschieden ist. [6]

Olga Palagia und Stephen Victor Tracy haben nun einen Sammelband vorgelegt, der unter dem Titel "The Macedonians in Athens. 322-229 B.C." dem ersten Jahrhundert des hellenistischen Athen gewidmet ist. Dieses Jahrhundert ist gekennzeichnet durch die nahezu ununterbrochene Präsenz makedonischer Truppen auf athenischem Territorium, die mit der Niederlage Athens im Lamischen Krieg im Jahre 322 begann und erst mit dem Abzug der makedonischen Garnisonen im Jahre 229 im Zusammenhang mit den unklaren Verhältnissen beim Tode des antigonidischen Königs Demetrios II. endete. Der Sammelband vereint althistorische, archäologische, numismatische und epigrafische Beiträge zu einer Gesamtschau auf dieses 'makedonische Jahrhundert' Athens, um den makedonischen 'impact' auf ganz unterschiedlichen Gebieten der Politik und Kunst zu bestimmen.

Der Band ist in zwei große Blöcke gegliedert - in einen ersten, der aus historischen Beiträgen zusammengesetzt ist, und in einen zweiten, der archäologischen Themen gewidmet ist. Der Schwerpunkt dieser Rezension wird auf den stärker historisch geprägten Artikeln liegen. Der erste Beitrag von Peter Green (1-7) gibt - nach einem kurzen Rückblick auf die Zeit nach der Schlacht von Chaironeia bis zum Tode Alexanders des Großen - einen knappen Überblick über die Geschichte Athens zwischen der Niederlage der Stadt im Lamischen Krieg 322 und der Belagerung Athens im Jahre 307 durch Demetrios Poliorketes. Während Robert Lamberton (8-13) eine literarische Analyse von Plutarchs Phokion-Biografie vorlegt, geht Brian Bosworth in seinem Beitrag der Frage nach, warum die Athener den Lamischen Krieg verloren (14-22), und hebt hervor, dass trotz der Niederlage der Athener in der Schlacht von Krannon die Unterlegenheit der Athener im Seekrieg entscheidend war. Elizabeth Baynham (23-29) analysiert die Politik Antipaters gegenüber Athen: Aber nicht seine Oktroyierung einer neuen Verfassung ist der zentrale Gegenstand von Baynham's Beitrag, sondern Antipaters Gründung einer Kolonie in Thrakien, in der er Athener ansiedelte, die unter dem Begriff atimoi zusammenzufassen sind. Patrick Wheatley analysiert die literarischen Quellen über das Verhältnis der athenischen Hetäre Lamia mit Demetrios Poliorketes (30-36), und Emmanuel Microyannakis setzt sich mit dem Verhältnis von Aristoteles und Alexander (37-39) auseinander. Graham J. Oliver hat sich in seinem grundlegenden Beitrag mit den epigrafischen Belegen für die Institutionen der boule und ekklesia in der Zeit der Oligarchie von 322/321 bis 318/317 befasst (40-51).

In den folgenden Aufsätzen rückt das dritte Jahrhundert in den Mittelpunkt der Betrachtungen, die mit dem Beitrag von Christian Habicht (52-55) eröffnet werden. Wie stark die Forschungen zu Athen in hellenistischer Zeit im Schwung sind, verdeutlicht Habichts Aufsatz in besonderer Weise, revidiert er doch aufgrund neuer Erkenntnisse eigene, zuvor vertretene Positionen zum Status der Befestigungen in Athen und Attika nach der Niederlage im Chremonideischen Krieg sowie zur Stellung des Demetrios von Phaleron des Jüngeren. [7]

Die beiden folgenden Beiträge sind dem antigonidischen König Antigonos Gonatas gewidmet: Stephen V. Tracy (56-60) analysiert die Machtstellung des antigonidischen Königs in Athen zwischen der Kapitulation der polis am Ende des Chremonideischen Krieges im Jahre 262 und seinem Tode 239: Nachdem Antigonos zunächst nicht nur Athen und Attika militärisch kontrollierte, sondern auch massiv in die inneren politischen Verhältnisse eingriff, ging das direkte Einwirken auf die innenpolitischen Prozesse nach 255 zurück, wohingegen die militärische Kontrolle bis zu seinem Tod bestehen blieb. Ioanna Kralli (61-66) setzt sich mit der Datierung eines Aufsehen erregenden epigrafischen Fundes aus dem Jahre 1989 aus dem Nemesis-Tempel im attischen Rhamnous auseinander. [8] Lange Zeit ging die Forschung davon aus, dass Antigonos Gonatas im Gegensatz zu zahlreichen anderen hellenistischen Königen wegen seiner vermeintlichen philosophischen - insbesondere stoischen - Prägung keine kultischen Ehrungen seitens griechischer poleis erhalten wollte. [9] Die genannte Inschrift aus dem Nemesis-Tempel zeigt nun jedoch, dass diese Vorstellung zu revidieren ist, da Antigonos gemeinsam mit der Göttin Nemesis in Rhamnous kultische Ehren von den Athenern erhielt.

Michael J. Osborne - bereits seit vielen Jahren mit der Erforschung der Datierung der athenischen Archonten in der Mitte des dritten Jahrhunderts befasst - legt seine neuesten Ergebnisse zur Archontenchronologie vor (67-75). Den Makedonen in Eleusis ist der Beitrag von Kevin Clinton (76-81) gewidmet. Im letzten originär historisch geprägten Artikel des Bandes befasst sich Manuela Mari mit dem asebeia-Vorwurf als politischem Kampfmittel in den innerpolitischen Auseinandersetzungen in Athen zwischen 330 und 287/286 (82-92).

Bedauerlich ist, dass der Beitrag von Theodoros Mavrogiannis zum Ende der makedonischen 'Herrschaft' ("The end of Macedonian domination in 229 B.C.") keinen Eingang in den Band gefunden hat [10], wodurch den historischen Untersuchungen ein gewisser Abschluss fehlt.

Die archäologischen Beiträge, die den zweiten Teil des vorliegenden Bandes ausmachen, zeichnet eine große Bandbreite aus, die von Studien zu einzelnen Bauten über Untersuchungen zum makedonischen 'impact' auf die athenische Skulptur sowie zu einzelnen Bildhauern bis hin zu Abhandlungen über athenische Münzen sowie Vasen und Schmuck reichen. [11] In dieser Rezension seien aber allein diejenigen Arbeiten ausführlicher in den Blick genommen, die von besonderem historischen Interesse sind.

Carol L. Lawton zeigt in ihrem Artikel (117-127) auf, wie in den attischen Urkundenreliefs der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts die demokratische und anti-makedonische Ideologie der polis Athen zum Ausdruck gebracht werden konnte. Den Blick von der Stadt Athen hin zu einem der markantesten Punkte Attikas wendet Hans R. Goette in seinem Beitrag zu Kap Sounion (152-161). Er beschäftigt sich mit den fortifikatorischen Anlagen an der Südostspitze Attikas, der Frage ihrer Besatzung sowie ihres Ausbaus. Die zwei folgenden Beiträge sind Dedikationen und Porträts auf der Akropolis gewidmet: Während Petros Themelis makedonische Weihungen in einem der ideologischen wie auch urbanistischen Zentren der Stadt Athen in den Blick nimmt (162-172) und dabei Votive von Alexander dem Großen, dessen Mutter Olympias, Alexanders Frau Roxane, Polyperchons Sohn Alexander und des seleukidischen Königs Antiochos IV. Epiphanes untersucht, gilt das Interesse von Ralph von den Hoff der Akropolis als Ort der Konstruktion athenischer Identität im frühen Hellenismus (173-185). Thomas M. Brogan (194-205) beschäftigt sich mit athenischen Ehrungen für Antigonos Monophthalmos und Demetrios Poliorketes aus der Zeit zwischen 307 und 302 und ihrem Nachleben. Abgeschlossen wird der Band durch die beiden Beiträge von Stephi Korti-Konti (243-256) und Judith M. Barringer (243-257).

Die Beiträge des angezeigten, in jeder Hinsicht gelungenen Sammelbandes - dazu gehören auch die zahlreichen Fotos und Pläne ebenso wie das abschließende Register - eröffnen ein vielfältiges und um neue Erkenntnisse erweitertes Bild des 'makedonischen Jahrhunderts' Athens.


Anmerkungen:

[1] Vgl. allein die Monografien von C. Habicht: Untersuchungen zur politischen Geschichte Athens im 3. Jahrhundert v.Chr., München 1979; ders.: Studien zur Geschichte Athens in hellenistischer Zeit, Göttingen 1982; ders.: Athen. Die Geschichte der Stadt in hellenistischer Zeit, München 1995 (u.a. engl.: 1997; franz.: 2000) sowie ders.: Athen in hellenistischer Zeit. Gesammelte Aufsätze, München 1994; S. V. Tracy: Attic Letter-Cutters of 229 to 86 B.C., Berkeley u.a. 1990; S. V. Tracy: Athenian Democracy in Transition: Attic Letter-Cutters of 340 to 290 B.C., Berkeley u.a. 1995; S. V. Tracy: Athens and Macedon. Attic Letter-Cutters of 300 to 229, Berkeley u.a. 2003; J. D. Mikalson: Religion in Hellenistic Athens, Berkeley u.a. 1998; B. Dreyer: Untersuchungen zur Geschichte des spätklassischen Athen (322 - ca. 230 v.Chr.), Stuttgart 1999.

[2] Verwiesen sei hier lediglich auf das Ehrendekret für Kallias von Sphettos; T. L. Shear, Jr.: Kallias of Sphettos and the Revolt of Athens in 286 B.C. (= Supplementum Epigraphicum Graecum XXVIII 60), Princeton 1978, und auf eine Inschrift aus dem Nemesis-Tempel von Rhamnous (I.Rhamnous [= V.C. Petrakos: O demos tou Rhamnountos II. Oi epigraphes, Athenai 1999] 7) - zu Letzterer s. unten.

[3] Man vergleiche nur die Archontenliste von B. D. Meritt: Athenian Archons 347/6 - 48/7, in: Historia 26 (1977), 161-191, und B. D. Meritt: Mid-Third Century Athenian Archons, in: Hesperia 50 (1981), 78-99, mit den jüngsten Forschungsergebnissen, die M. J. Osborne in seinem Artikel "Shadowland: Athens under Antigonos Gonatas and his Successor" (67-75, hier 73-74) für die Jahre 268/7-228/7 in dem hier zu besprechenden Sammelband vorgelegt hat; von zentraler Bedeutung sind hier die Forschungen von J. D. Morgan, deren Ergebnisse er in seinem Artikel "Polyeuktos, the Soteria, and the Chronology of Athens and Delphi in the Mid-Third Century B.C.", in: American Journal of Archaeology 102 (1998), 389, angezeigt hat. Für die Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christus s. C. Habicht: The Eponymous Archons of Athens from 159/8 to 141/0 B.C., in: Hesperia 57 (1988), 237-247.

[4] Vgl. dazu C. Habicht: Athen und die Seleukiden, in: Chiron 19 (1989), 7-26; C. Habicht: Athens and the Attalids in the Second Century B.C., in: Hesperia 59 (1990), 561-577; C. Habicht: Athens and the Ptolemies, in: Classical Antiquity 11 (1992), 66-88; C. Habicht: The Role of Athens in the Reorganization of the Delphic Amphictiony after 189 B.C., in: Hesperia 56 (1987), 59-71; S. V. Tracy: IG II\2 937: Athens and the Seleucids, in: Greek, Roman & Byzantine Studies 29 (1988), 383-388; É. Perrin-Saminadayar: Les success de la diplomatie athénienne de 229 à 168 av. J.-C., in: Revue des Études Grecques 112 (1999), 444-462.

[5] Vgl. T. L. Shear, Jr.: Athens: From City-state to Provincial Town, in: Hesperia 50 (1981), 356-377, und M. C. Hoff - S. Rotroff (eds.): The Romanization of Athens. Proceedings of an International Conference Held at Lincoln, Nebraska (April 1996), Oxford 1997.

[6] Vgl. W. S. Ferguson: Hellenistic Athens: An Historical Essay, London 1911; s. ferner auch W. S. Ferguson: The Athenian Secretaries, Ithaca / NY 1898; W. S. Ferguson: The Athenian Archons of the Third and Second Centuries before Christ, Ithaca / NY 1899; W. S. Ferguson: Athenian Tribal Cycles in the Hellenistic Age, Cambridge / MA 1932.

[7] Zu letzterem Aspekt s. Roland Oetjen: War Demetrios von Phaleron, der Jüngere, Kommissar des Königs Antigonos II. Gonatas in Athen?, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 131 (2000), 111-117.

[8] Vasilios C. Petrakos: Anaskaphe Rhamnountos, Praktika 1989, 31-34 Nr. 15 = Supplentum Epigraphicum Graecum XLI 75; die grundlegende Edition ist I.Rhamnous 7. Vgl. zu dieser Inschrift P. Gauthier: Bulletin Épigraphique 1994, no. 299, sowie C. Habicht: Divine honors for King Antigonos Gonatas in Athens, in: Scripta Classica Israelica 15 (1996), 131-134.

[9] S. beispielsweise W. W. Tarn: Antigonos Gonatas, Oxford 1913, 250. Vgl. aber C. Habicht: Gottmenschentum und griechische Städte, 2. Auflage, München 1970, 79-81, 241 mit Anm. 59 und 256-257.

[10] Vgl. das Programm Seite xi.

[11] Vgl. Rhys F. Townsend: The Philippeion and fourth-century Athenian architecture (93-101); Olga Palagia: The impact of Ares Macedon on Athenian Scuplture (140-151); P. Schultz: Kephisiodotos the Younger (186-193); John H. Kroll: The evidence of Athenian coins (206-212); Susan I. Rotroff: Minima macedonica (213-225) und Dyfri Williams: Gilded pottery and golden jewellery (226-235).

Matthias Haake