Roy Strong: Painting the past. The Victorian Painter and British History, New York: Random House 2004, 197 S., 74 s/w-Abb., ISBN 978-1-84413-083-2, GBP 12,50
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In welchen Fällen wird man ein kunsthistorisches Buch erneut auflegen? Vor allem dann, wenn es ein Klassiker ist. Ist das vorliegende Buch ein Klassiker? Soweit es dies nach Ablauf eines Vierteljahrhunderts sein kann: ja.
Sir Roy Strong, flamboyanter Historiker mit echt britischem Habitus (auch daran erkennbar, dass er mit The Laskett einen ganz und gar unenglischen Garten angelegt hat), ehemaliger Direktor der National Portrait Gallery und des Victoria and Albert Museums und bis heute eine bedeutende Figur des englischen Kulturlebens, ist mit dem hier erneut anzuzeigenden Buch auch in der internationalen Kunsthistorikergemeinde und weit darüber hinaus sehr bekannt geworden. Allerdings erschien es 1978 unter einem anderen Titel: "And when did you last see your father? The Victorian Painter and British History", mit einem Obertitel, der das einstmals berühmte Geschichtsbild aus der Zeit des englischen Bürgerkrieges von William Frederick Yeames aufnahm. Eigentlich schade, dass der Titel geändert wurde, zumal Strong selber dafür gesorgt hat, dass dieses Bild seit seiner "Wiederentdeckung" geradezu emblematisch für die versunkene Epoche der viktorianischen Historienmalerei stand. Aber wie dem auch sei: Außer ihm hat sich in der Neuauflage so schrecklich viel nicht verändert. Abgesehen vom hier weggefallenen beziehungsweise in das Abschlusskapitel eingearbeiteten 2. Teil mit seinen wenigen Einzelanalysen zu West, Bonington und Frith, beschränken sich die Änderungen auf Marginalia. Das ist insbesondere im Hinblick auf die nicht ajournierte Bibliografie bedauernswert. Seit Strongs bahnbrechender Studie, der man auf deutscher Seite wohl nur das - allerdings noch fast zwei Jahrzehnte früher veröffentlichte und im Erkenntnisinteresse weiter ausholende - Irdische Paradies Werner Hofmanns gegenüber stellen könnte, ist eben doch ziemlich viel zu dem Thema geforscht worden.
Ausgangspunkt der Studie ist die Rekonstruktion einer im 18. Jahrhundert verstärkt betriebenen Erforschung der eigenen, das heißt der englischen Geschichte, die parallel läuft zu deren Thematisierung im Historienbild. Mit aller wünschenswerten Deutlichkeit weist Strong darauf hin, dass die künstlerischen Matadore dieser säkularen Ausbildung einer aufklärerisch inspirierten Frühform des Historismus weitgehend identisch waren mit den antikenorientierten Klassizisten vom Schlage eines Gavin Hamilton oder Benjamin West. Mehr noch als ihre deutschen und französischen Kollegen zeichneten sie sich sowohl in der Antiken- als in der Mittelalter- und Frühneuzeitrekonstruktion durch eine entschieden auf Authentizität zielende Auffassung aus. Insbesondere durch die romantischen Geschichtsromane eines Walter Scott erhielt diese Bewegung dann im frühen 19. Jahrhundert massive Förderung, mentalitätsgeschichtlich gestützt durch den Bruch mit der Vergangenheit, als den man auch in England das revolutionäre Zeitalter und insbesondere die Herrschaft Napoleons empfand. Die vergangenen Zeiten eines merry old England wurden damit kompensatorisch zur Projektionsfläche einer Epoche, welche die Industrialisierung häufig nur als eine um den Preis eines radikalen Werteverlustes errungene Entwicklung begriff. Es liegt auf der Hand, dass damit jegliche Evokation der Vergangenheit immer auch und in erster Linie eine Reflexion auf die Probleme und Sehnsüchte der Gegenwart darstellte. Vor allem der angelsächsische König Alfred, aber auch die Heroen des englischen Bürgerkrieges avancierten zu moralischen Vorbildern eines freiheitlichen Gestaltungswillens, den man gerne auch der eigenen Politikergemeinde vor Augen hielt.
Flankiert werden diese Betrachtungen von ausführlichen Einführungen in das Werk der englischen Antiquare des 18. und 19. Jahrhunderts. Joseph Strutt, James Planché, Frederick William Fairholt und Henry Shaw gelten als die bedeutendsten Vertreter einer Realienkunde, die sich nicht nur als Erforschung, sondern auch als Bewahrung historischer Kleidung, Möbel und Hausausstattung verstand. Der heutige Kunstbegriff verwirft das noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts brennende Interesse der Maler an solchen Vorgaben als unkünstlerisch. Dass sie solche in monumentalen Bänden zusammengestellte Vorlagenblätter dankbar für ihre Geschichtsbilder verwandten, hat sie zu Opfern einer damnatio memoriae werden lassen. Genau umgekehrt gilt dies nicht für Vertreter wie Whistler, die sich von der historisierenden Kunst abwandten und ihr Heil in der Ausbildung rein-malerischer Werte suchten. Insbesondere nach Lektüre des abschließenden Kapitels über "Themes and Obsessions" wird man aber eines nicht tun dürfen: den vergessenen Historienmalern vorwerfen, sie seien nicht aufs Engste mit dem Leben ihrer Zeit verbunden gewesen.
Insgesamt also: Die Neuauflage eines wichtigen Buches, die durch den geänderten Titel suggeriert, etwas anderes zu sein, als sie tatsächlich ist.
Hubertus Kohle