Markus Meumann / Ralf Pröve (Hgg.): Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 2), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, 251 S., ISBN 978-3-8258-6000-4, EUR 25,90
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Die Autoren und Autorinnen des vorliegenden Sammelbandes haben sich das Ziel gesetzt, frühneuzeitliche Staatsbildungsprozesse und Herrschaftsstrukturen in einer dezidiert neuen Perspektive zu betrachten. Sie verwerfen, wie manch andere Historiker vor ihnen, die Vorstellung von einem Zeitalter des Absolutismus, sind aber auch skeptisch gegenüber dem Staatsbegriff an sich, den sie vor 1800 eigentlich nur für die Beziehungen zwischen autonomen Herrschaftszentren auf der außenpolitischen Ebene gelten lassen wollen. Für die inneren Machtverhältnissen scheint ihnen, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung deutlich machen, die Vorstellung von einem Netzwerk multipolarer Herrschaftsbeziehungen, in denen sich unterschiedliche Akteure mit jeweils eigenen Ressourcen gegenüberstehen, zutreffender zu sein. Herrschaft ist demnach nicht die Umsetzung eines klaren und einheitlichen Willens einer zentralen Instanz in eine Sequenz von Befehl und Gehorsam - dies würde voraussetzen, dass es einen solchen einheitlichen Willen überhaupt gab. Nach Ansicht von Meumann und Pröve fehlte dieser jedoch schon deshalb, weil Räte, Minister und sonstige Amtsinhaber sich oft von eigenen Interessen leiten ließen und überdies vielfältige Patronagestrukturen einem rein bürokratischen Entscheidungsprozess entgegenwirkten. Umgekehrt waren, so Meumann und Pröve, auf der regionalen und lokalen Ebene die "Befehlsempfänger" oft zugleich selbst Träger von Herrschaftsrechten, oder sie waren in personeller Identität Beauftragte der Herrschaftszentren und Vertrauenspersonen der lokalen Gemeinschaften, wie etwa die preußischen Landräte oder andere lokale Amtsträger. Herrschaft soll daher primär als "soziale Praxis" und als "kommunikativer Prozess" (44 f.) verstanden werden. Daher sollen die Methoden einer modernen Kulturgeschichte, die sich an Diskursen, Sinnstrukturen und Symbolen als Mittel der Kommunikation orientiert, angewandt werden und nicht herkömmliche Forschungsansätze, die auf Institutionen, Normsetzungen und die Nutzung fiskalischer Ressourcen blicken. Dieser Ansatz, der stärker als ältere Modelle - sei es nun das des Absolutismus oder das der Sozialdisziplinierung - den Blick dafür öffnet, dass Gehorsam in der Frühen Neuzeit vielfach ausgehandelt werden musste und nicht einfach vorausgesetzt werden konnte, hat sicherlich einiges für sich und zieht gewissermaßen die Konsequenzen aus den langjährigen Zweifeln am Absolutismuskonzept, die sich mit dem bloßen Verweis auf das "Nichtabsolutistische" im Absolutismus nicht neutralisieren lassen. Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, dass auch dem Staat des 20. Jahrhunderts Klientelbeziehungen oder Amtsträger respektive Parlamentarier, die in starkem Maße Eigeninteressen oder Anliegen von Verbänden oder zahlungskräftigen Unternehmen vertreten, nicht unbedingt fremd sind. Das hindert diesen Staat freilich nicht daran, dennoch eine erhebliche Macht zu entfalten und bestimmte Normen trotz allem flächendeckend durchzusetzen, von der Mobilisierung und Umverteilung von Ressourcen ganz abgesehen, mögen hier seit einiger Zeit auch gewisse Auflösungstendenzen feststellbar sein. Würde man für die Frühe Neuzeit (vor dem ausgehenden 18. Jahrhundert) weitgehend auf den Staatsbegriff bei der Beschreibung politischer Herrschaftsverhältnisse verzichten - was Meumann und Pröve zumindest erwägen, auch wenn sie sich am Ende nicht ganz zu einem so radikalen Schritt entscheiden können (35) -, so müsste man ihn auch für die Gegenwart aufgeben, was ein Verständnis der politischen Realität wohl doch allzu sehr einengen würde. Überdies stellt sich die Frage, ob der sehr allgemeine Begriff "Herrschaft", der hier weitgehend an die Stelle des Staates tritt, nicht doch die zumindest seit dem 17. Jahrhundert deutlich sichtbaren Unterschiede zwischen Adelsherrschaft auf der einen Seite und Landeshoheit respektive monarchischer Autorität auf der anderen Seite zu sehr verschwimmen lässt.
Die insgesamt acht Einzelbeiträge des vorliegenden Bandes sind dann auch insgesamt weniger radikal als manche Überlegungen, die in der Einleitung angestellt werden. Oft konzentrieren sie sich auf die lokale, mikrohistorisch analysierte Ebene. Beispielhaft hierfür ist der Beitrag von Ursula Löffler über Herrschaftsverhältnisse im Herzogtum Magdeburg nach 1648. Löffler geht hier vom Theorieangebot aus, das die Schriften des englischen Soziologen Anthony Giddens bieten. Nach Giddens besitzen Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen nur in dem Maße Realität, wie sie im Handeln der Betroffenen reproduziert werden. Verhaltensregeln und Normen, die nicht angewandt werden, sind faktisch irrelevant. Von diesem Ansatz ausgehend zeigt Löffler, wie auch die ländliche Bevölkerung durchaus die Möglichkeit hatte, Herrschaftsstrukturen zu relativieren oder im Einzelfall sogar außer Kraft zu setzen, indem sie sie im Alltag nicht durch ihr Verhalten reproduzierte. Etwas anders argumentiert der Beitrag von Thomas Fuchs über die "Befragung von Beamten und Untertanen zur Landesverbesserung in Hessen-Kassel 1731". In diesem Territorium stand dem überhöhten Anspruch der Dynastie auf absolute Herrschaft in der Realität eine erhebliche Beharrungskraft der ständischen Kräfte gegenüber, die seit dem Tode des Landgrafen Karl (1730) und besonders seit dem Regierungsantritt Friedrichs II. (1754), der zum Katholizismus konvertiert war, immer mehr die Oberhand gewannen. Wie Fuchs an diesem Beispiel zeigen kann, hatte sich freilich der landesherrliche "Absolutismus" schon vorher oft darauf beschränkt, landesherrliche Machtansprüche nur in dem Maße durchzusetzen, wie dies zur Steuererhebung notwendig war. Eine vollständige Durchdringung des ländlichen Raumes lohnte sich dafür nicht. Herrschaft war lediglich "Abschöpfungsherrschaft" (159). Es war bei der Untertanenbefragung von 1731 eher die Bevölkerung, die auf stärkere Zentralisierung drang, um namentlich in wirtschaftlichen Notlagen durch regulierende Eingriffe in das Marktgeschehen von Seiten des Landesherren und seiner Behörden Hilfe zu erhalten; also ein Beispiel für eine "Staatsbildung von unten" oder zumindest für Ansätze zu einer solchen.
Dominieren in den Beiträgen von Löffler und Fuchs "zivile" Herrschaftsverhältnisse, so ist eine größere Zahl von Aufsätzen der besonderen Bedeutung des Militärs für Herrschaftsprozesse gewidmet. Dies gilt etwa für die Ausführungen von Stefan Kroll ("Aushandeln von Herrschaft am Beispiel der Landrekrutenstellung in Kursachsen im 18. Jahrhundert"), aber auch für die von Martin Winter ("Zum Besten der Invaliden Casse. Der Zugriff auf das Vermögen kantonpflichtiger Untertanen aus Brandenburg im 18. Jahrhundert") und Jutta Nowosadtko. Nowosadtko setzt sich mit der "'Verstaatlichung' stehender Heere in systemtheoretischer Perspektive" auseinander. Die Autorin, eine gute Kennerin der Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, entscheidet sich für die Systemtheorie als Interpretationsmodell, weil sie einerseits den Blick für die Eigendynamik des gesellschaftlichen Subsystems Militär öffne, andererseits aber den Historiker oder die Historikerin nicht so stark wie die lange Zeit dominierende Soziologie Max Webers auf eine Modernisierungstheorie festlege, die Rationalisierung und Fortschritt auch im Sinne eines sich ständig intensivierenden Staatsbildungsprozesses immer schon voraussetze. Hier sind allerdings Fragezeichen angebracht, denn die für die Systemtheorie charakteristische Annahme, die historische Entwicklung habe zu immer stärkerer funktionaler Differenzierung geführt - die im Übrigen frühen gesellschaftlichen Entwicklungsstadien, die sich eher durch stratifikatorische Differenzierung ausgezeichnet hätten, gefehlt habe -, basiert natürlich auch auf einer ausgeprägten und von Einseitigkeiten nicht freien Teleologie der Modernität. Nowosadtko bemerkt denn auch selbstkritisch: "Angesichts der doch recht sperrigen Konstruktion der Luhmannschen Systemtheorie stellt sich damit unweigerlich die Frage, welchen Vorteil der systemtheoretische Ansatz überhaupt gegenüber konventionelleren Darstellungen bietet." (131). Trotz oder vielleicht wegen solcher Einwände gegen eigene theoretische Perspektiven an dieser und anderer Stelle ist dies insgesamt ein sehr anregender Sammelband, der in überzeugender Weise "work in progress" präsentiert. Wichtig sind nicht zuletzt auch die militärgeschichtlichen Aspekte. Die Annahme, die Entwicklung stehender Heere sei ein entscheidender Motor des Staatsbildungsprozesses gewesen, wird dezidiert einschränkt. Es wird vielmehr unter anderem erneut deutlich, dass die Heere des Ancien Régime lange Zeit einen milizartigen Charakter behielten, der sie in die politischen Kräfteverhältnisse der zivilen Gesellschaft einband. Wenn man eine Kritik an diesem Band anbringen kann, dann mag sie vielleicht dahin gehen, dass die Perspektive manchmal zu sehr auf Deutschland beschränkt ist und neuere Ansätze, zum Beispiel der angelsächsischen Forschung, etwa von Steve Hindle und Michael Braddick, stärker hätten einbezogen werden können; doch dies mag eine weitere Veröffentlichung zu diesem Themenkomplex nachholen.
Ronald G. Asch