Eduard Kubů / Gudrun Exner: Tschechen und Tschechinnen, Vermögensentzug und Restitution (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historiker-Kommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich; Bd. 23/3), München: Oldenbourg 2004, 162 S., ISBN 978-3-486-56795-3, EUR 28,80
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Außer den Juden Österreichs gehörten Tschechinnen und Tschechen zu den dort lebenden Bevölkerungsgruppen, die am meisten unter der NS-Herrschaft zu leiden hatten - so eine der zentralen Arbeitshypothesen des von Eduard Kubů und Gudrun Exner vorgelegten Band 23/3 der Berichte der Österreichischen Historikerkommission. Bürgerinnen und Bürger tschechischer und slowakischer Nationalität zählten sicherlich zu den größten nationalen Minderheiten in der Ersten Republik Österreich. Während der Habsburger Monarchie hatten sich viele von ihnen in Wien oder anderen größeren Städten Österreichs niedergelassen und hier eine eigene "tschechische" beziehungsweise "slowakische" Wirtschaft aufgebaut und ein eigenständiges kulturelles Leben entfalten können. Träger der kulturellen Identität waren dabei vor allem die tschechischen beziehungsweise slowakischen Vereine. Das Miteinander verschiedener Kulturen gehörte während der Habsburger Monarchie ja gerade zum Kennzeichen der größeren Städte, vor allem aber Wiens, wo auch nach dem Ersten Weltkrieg der mit Abstand größte Teil von Tschechen und Slowaken in Österreich lebte.
Dieser Teil der Bevölkerung wurde unmittelbar nach dem "Anschluss" Österreichs ebenfalls zum Ziel von weit greifenden Repressionsmaßnahmen des neuen Herrschaftsapparates. Politische Organisationen der tschechoslowakischen Minderheit, vor allem aber ihre Vereine, wie etwa der Schulverein Komenský oder der Turnverein Sokol (Falke) mussten ihre Tätigkeit Schritt für Schritt einstellen. Ihr Vermögen wurde schon bald eingezogen und von einem Stillhaltekommissar verwaltet. Wie die beiden Autoren nachweisen können, war es seit dem "Anschluss" das erklärte Ziel der neuen Machthaber in Wien, auch das tschechische und slowakische Wirtschafts- und Kulturleben systematisch zu eliminieren beziehungsweise Vereine und andere Korporationen zu "germanisieren". Vor allem die tschechische Sektion der KPÖ sah sich rasch mit harten Repressionen konfrontiert, ihre Mitglieder wurden inhaftiert, viele von ihnen wurden ermordet. Dass Kommunisten tschechischer Nationalität auch in Österreich verfolgt wurden, ist angesichts der schnellen Zerschlagung der KPD im "Altreich" nicht überraschend. Erstaunlich ist vielmehr, dass die Mitglieder der eher spiritistisch orientierten Widerstandsgruppe Libuše zwar verhaftet wurden und sich vor Gericht verantworten mussten, dass sie aber nur zu kurzen Haftstrafen oder gar nicht verurteilt wurden. Sie stellten aus der Sicht des NS-Regimes in Österreich keine größere Gefahr dar. Waren ihre Mitglieder entrechtet und die Organisationsstruktur der Widerstandsgruppe zerschlagen, so hielt der Herrschaftsapparat in Wien sie für nicht mehr so gefährlich.
Wie Kubů und Exner detailliert zeigen, waren von den Repressionen der Machthaber vor allem die tschechisch-slowakischen Vereine betroffen. Ihr Vermögen wurde restlos eingezogen, ihre Strukturen fast vollständig zerstört. Das Regime sah in diesen Trägern von Bildung und Geselligkeit vor allem die Keimzelle zum Widerstand und zur Verbreitung eines "tschechischen" Gedankenguts. Zudem dürften rein materielle Gründe für die Zerschlagung verantwortlich gewesen sein: Einige Vereine, wie etwa der lange Zeit von der tschechischen Regierung in Prag alimentierte Schulverein Komenský, waren durchaus vermögend, besaßen viele Immobilien oder größere Bankguthaben. Auf diese Vermögenswerte wollte der Herrschaftsapparat zugreifen und sie für seine Zwecke einsetzen. Immerhin: Der Schulverein erhielt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seine Bibliothek, einen großen Teil seiner Immobilien und einen Teil seines Barguthabens vom österreichischen Staat zurück und wurde damit nach österreichischer Rechtsprechung "zurück gestellt."
Der umfangreichste Abschnitt in der Studie von Kubů und Exner behandelt die Liquidation der Wiener Filiale der Živnostenská banka, des größten Bankinstituts der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Wie die beiden Autoren selbst einräumen, ist der Verzicht der Prager Zentrale auf eine Marktpräsenz in Wien nur schwer erklärbar, war dessen dortige Niederlassung doch während der Monarchie und der Ersten Österreichischen Republik ein "Stützpfeiler" der "tschechischen Wirtschaft". Die beiden Autoren versuchen nachzuweisen, dass der Verzicht auf die Wiener Niederlassung nur die Folge von gezielten Repressionen des NS-Herrschaftsapparates war. Nur aufgrund dieser Umstände konnte die Mercurbank in Wien - eine Tochtergesellschaft der Dresdner Bank - die Wiener Živno-Filiale auf der Grundlage eines privatrechtlichen Vertrags übernehmen. Trotz aller vorgelegten Dokumente, trotz aller Plausibilitätsschlüsse - eine wirklich überzeugende Argumentation gelingt den beiden Autoren nicht. Dies ändert nichts an der Einschätzung, dass man wahrscheinlich sowohl im Vorstand der Živnostenská banka in Prag als auch in der Filialleitung richtig antizipierte, dass ein störungsfreies operatives Geschäft mit einer unter Repressionen leidenden tschechischen Kundschaft in Zukunft nicht mehr möglich war. Unbestritten ist daher, dass die neuen politischen Rahmenbedingungen samt den daraus resultierenden Repressionen dafür verantwortlich waren, dass sich die Leitung des Prager Instituts entschloss, die Wiener Filiale aufzugeben, selbst wenn dies einen erheblichen Substanzverlust bedeutete.
Die letzten Abschnitte in der Studie von Kubů und Exner behandeln die Umgestaltung beziehungsweise die Liquidation weiterer tschechischer Kreditinstitute sowie anderer Unternehmen nach 1938. Hier legen sie einen differenzierten Befund vor: Zum Teil wurden tschechische Unternehmen und Institute beschlagnahmt und liquidiert, zum Teil aber auch unter Verzicht auf ihren alten Namen und unter Hinzuziehung von deutschen oder österreichischen Anteilseignern "germanisiert". Sie verloren damit zwar ihre ursprüngliche Identität, konnte aber dadurch ihr Fortbestehen - teilweise bis über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus - sichern.
Im Ergebnis legen die beiden Autoren eine Studie vor, die gut die Facetten und Dimensionen des Vermögensentzugs von Tschechinnen und Tschechen in Österreich dokumentiert. Dies ist wichtig, da die wirtschaftliche Vernichtung und Marginalisierung der unterschiedlichen Nationalitäten in Österreich bisher kaum thematisiert wurde. Kubů und Exner weisen jedoch zurecht darauf hin, wie unterschiedlich der Vermögensentzug einerseits verlaufen konnte, welche Handlungsspielräume zur Sicherung des Vermögens andererseits bestanden. Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Tschechinnen und Tschechen in Österreich zu den Opfern der NS-Herrschaft in Österreich zählten, dass auch ihr Vermögen zu einem großen Teil geraubt und ihre Existenz vernichtet wurde.
Harald Wixforth