Benjamin Isaac: The Invention of Racism in Classical Antiquity, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2004, XIV + 563 S., 10 fig., ISBN 978-0-691-11691-4, GBP 29,95
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Bei diesem sensiblen Thema sind terminologische Vorklärungen zu den Zentralbegriffen Rasse, Rassismus, Vorurteil beziehungsweise Stereotyp unverzichtbar. Isaac diskutiert diese Fragen ausführlich in seiner Einleitung, die über die Altertumskunde hinaus von Interesse ist (1-51). Viele Historiker trennen nämlich den pseudobiologisch-naturwissenschaftlich begründeten Rassebegriff und die Ideologie des Rassismus des späten 19.-20. Jahrhunderts deutlich von älteren Formen der Abwertung, Ausgrenzung und aggressiven Unterdrückung 'minderwertiger' Gruppen. [1] Rasse blieb lange ein "naturgeschichtlicher, dann naturwissenschaftlich-anthropologischer Begriff deskriptiver Art". Erst sekundär "drangen Wort und Begriff Rasse in die politisch-soziale Sprache ein und machten darin eine Begriffsgeschichte durch, die bis zum 'Rassismus' führte". [2] Für die Begriffe Rasse und Rassismus gibt es kein exaktes Äquivalent in der griechischen oder lateinischen Sprache, obwohl in der Antike Überlegenheitsgefühle eines Stammes oder Volkes über andere Gruppen und ethnische, religiöse oder kulturelle Stereotype verbreitet waren. Yves Albert Dauge bestritt nachdrücklich, dass es in der römischen Welt Rassismus gegeben habe [3], und Christopher Tuplin sah keine Veranlassung, von Rassismus in der griechischen Welt zu sprechen. [4] Benjamin Isaac bezieht hierzu in seinem Buch über "die Erfindung des Rassismus im klassischen Altertum" eine Gegenposition.
Isaac spricht im Buch selbst statt von antikem Rassismus allerdings vorsichtiger von Proto-Rassismus oder Vorformen des modernen Rassismus. "The question to be considered is what are the explanations given in ancient literature for the presumed superiority or inferiority of specific groups. If these consist of theories regarding heredity or unalterable exterior influences, it is possible to speak of proto-racism. If the assumed causes of qualitative differences are human actions or social relations within people's own control, then we should speak of ethnic or group prejudice" (37). Einige Stereotype wurden bereits in der Antike zur Legitimierung imperialistischer Aggressionen gegenüber 'minderwertigen' Völkern benutzt. Antike Elemente des Proto-Rassismus seien ferner zu grundlegenden Bausteinen des modernen Rassismus geworden. Sie seien über Autoren des 18. Jahrhunderts den Begründern der modernen rassistischen Ideologie übermittelt worden. Isaac dokumentiert Einflüsse antiker Lehren über die Ausformung überlegener und unterlegener Völker auf prominente Denker des 18.-20. Jahrhunderts mit zahlreichen Zitaten. Daher ist diese gelehrte altertumskundliche Studie auch für Neuhistoriker eine empfehlenswerte Lektüre.
Isaacs Buch zerfällt in zwei große Teile. Teil 1 untersucht allgemein Stereotype und proto-rassistische Einstellungen und Werthaltungen (53-251). Das Klima und andere Umweltfaktoren (in Verbund mit spezifischen Institutionen und ihrer Lebensweise) determinieren bestimmte Völker bereits zu überlegenen, andere zu minderwertigen Völkern (55-168). Proto-rassistische Auffassungen findet Isaac unter griechischen und römischen Autoren in der Theorie, dass "characteristics acquired through environmental influences become stable and are inherited" (108-109, auch 74-82), im Mythos von der Autochthonie und der Hochschätzung der reinen Abstammung (109-124), in der antiken Physiognomie und Charaktertypenlehre (149-163) oder in Thesen von einer Degeneration bestimmter Völker als Folge ihrer Migration und Vermischung untereinander. Auch in der metaphorischen Herabsetzung von Fremden, Barbaren und Minderheiten zu Tieren oder Geschöpfen zwischen Menschen und Tieren sieht Isaac zu Recht ein Element des antiken Proto-Rassismus (194-207). Xenophobie und Ängste vor schädlichen Einflüssen ausländischer Minderheiten führten zur Verhärtung von Vorurteilen und zu Gewalt gegen Fremde in der römischen Welt (225-247). Kontakte mit anderen Völkern auf verschiedenen Ebenen wurden äußerst ambivalent bewertet (239-247).
Im Teil 2 des Werkes (253-500) untersucht Isaac typische Einstellungen zu spezifischen Gruppen von Personen, Völkern und Regionen in heidnischen griechischen und lateinischen literarischen Quellen vom 5. Jahrhundert vor Christus bis zum 3. Jahrhundert nach Christus. Er gibt seiner Studie zwar einige Abbildungen bei (nach 251), wertet aber das reiche archäologisch-kunstgeschichtliche Quellenmaterial nicht systematisch aus. Darstellungen von Fremden und Randvölkern der Oikumene sind seit Langem als eine Schlüsselquelle für kollektive Mentalitäten und die Definition der griechischen oder römischen Identität im Spiegel des Fremden erkannt worden (Vasenmalerei, Reliefs, Friese, Kleinkunst). Papyri, Münzen oder Inschriften werden ebenfalls nur in Ausnahmefällen von Isaac berücksichtigt.
Die Einzelkapitel des zweiten Teiles umfassen geografische Regionen und dort lebende Völker, aber auch über die griechisch-römische Oikumene verstreute Gruppen. Man vermisst einen eigenen Abschnitt über Äthioper beziehungsweise Afri. Isaac verweist hierzu auf Forschungen von Frank M. Snowden, Lloyd A. Thompson sowie Gay L. Byron. [5] Da sich die Historien Herodots als ein frühes Schlüsselwerk für Isaacs Untersuchung erweisen, hätte man sich außer kurzen Notizen (zum Beispiel 50, 66-67) auch ein Kapitel über die Skythen gewünscht, um Vorurteile von sesshaften Ackerbauern und Polisbürgern gegen Nomadenvölker zu diskutieren. Ethnische Stereotypen und proto-rassistische kulturelle Einstellungen gegenüber dem asiatischen Osten werden auffälligerweise in der griechischen Literatur des 5. Jahrhunderts zuerst im medizinischen und philosophischen Schrifttum erkennbar, erst danach in der Rhetorik und Historiografie. Diese Entwicklung lässt sich paradigmatisch an der Entwicklung der Beschreibung des Achamenidenreiches und der Perser als "Barbaren" zuerst bei Aischylos und Herodot, später dann bei Isokrates verfolgen (257-303).
Die drei östlichen Völker der Phöniker, Karthager und Syrer werden mit vielen abwertenden Vorurteilen und Stereotypen belegt. Doch anders als die Syrer werden Karthager nicht als verweichlicht beschimpft (324-351). Isaac untersucht ausschließlich Vorurteile von Römern über einheimische Ägypter. Verschlagenheit und Hinterlist im Geschäftsleben, Lüsternheit, Dekadenz, seltsame Riten und theriomorphe Göttervorstellungen werden kritisiert. Durch lange Jahrhunderte unter monarchischer Herrschaft seien die Ägypter bereits "geborene Sklaven" (352-370). Obwohl die Parther in der späten Republik und im frühen Kaiserreich mit den Römern als Weltmacht konkurrierten, widmet Isaac ihnen nur ein kurzes Kapitel (371-380). Einige Stereotype, die bereits die Griechen über die Perser entwickelt hatten, wurden von den Römern auf die Parther übertragen. Bestimmte Klischees über Karthager, Phöniker oder Syrer fehlen aber über die Parther. Weil sich in Rom und Italien nur wenige Parther aufhielten, entstanden vermutlich weniger partherfeindliche Stereotype als gegenüber Syrern, Ägyptern, Phönikern oder Juden. Isaac (374, Anm. 25) nimmt an, dass Livius mit einer abfälligen Bemerkung über levissimi ex Graecis (Liv. 9,18,6), die mit den Parthern sympathisierten, auch den Universalhistoriker und Oikumenegeograf Strabon gemeint habe. Dies scheint mir nach dessen zugleich rom- und prinzipatsfreundlicher Tendenz unwahrscheinlich. Eher darf man einen Hinweis auf das rom- und prinzipatskritische Werk des Timagenes aus Alexandreia vermuten. [6] Ihre Hochschätzung der klassischen griechischen Literatur, Philosophie und Geschichte verbanden viele Römer mit einer Geringschätzung der griechischen Zeitgenossen (381-405). Deren zunehmende Präsenz und steigender Einfluss führten zu Abwehr- und Gegenreaktionen. Vorwürfe gegen die Graeculi entstanden auch aus einem kulturellen Inferioritätsgefühl der siegreichen Macht Rom gegenüber der griechischen Kultur.
Zahlreiche Stereotype finden sich über Gallier (411-426). Doch insgesamt liest man in der Kaiserzeit über sie weniger hässliche Stereotype als über Phöniker, Syrer oder Juden. "We cannot avoid the conclusion, however, that the 'eastern' or 'southern' stereotypes aroused more emotional hostility than the 'western' or 'northern' forms (426)". Dies bestätigt auch eine Untersuchung der Vorurteile gegenüber Germanen (427-439). Nicht nur in Tacitus' Germania bietet andererseits die simplicitas und libertas der Germanen ein Gegenbild zu verkommenen römischen Verhältnissen. Da die völlige und endgültige Unterwerfung der Germanen scheiterte, blieben sie eine dauerhafte Bedrohung für die Sicherheit und Wohlfahrt Roms.
An der antiken Judenfeindschaft als einer Vorform des modernen Antijudaismus hat Isaac nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein persönlich-biografisches Interesse (440-491). Der Schwerpunkt des Kapitels liegt auf römischen Stereotypen. Die ägyptisch-seleukidischen Wurzeln des antiken Antijudaismus und die Entwicklung der antijüdischen Stereotypen in der hellenistischen Epoche werden weitgehend ausgeklammert. Die judenfeindlichen Stereotype in der römischen Welt bleiben immer ethnische, religiöse und kulturelle Vorurteile und sind von Formen des Proto-Rassismus zu trennen (482). Der größte Teil der Vorwürfe gegen Juden entstand aus dem Leben der jüdischen Diasporagemeinden als 'Fremdkörper' in ihrer heidnischen, griechisch-römischen Umwelt.
Ausführliche Indices (541-563) erschließen das thematisch weit ausgreifende Werk, das außer Altertumswissenschaftlern auch Neuhistorikern nachdrücklich empfohlen werden kann.
Anmerkungen:
[1] Vgl. George M. Fredrickson: Racism. A Short History, Princeton 2002.
[2] Vgl. Werner Conze / Antje Sommer: Rasse, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, Stuttgart 1984, 135-178, Zitate 135.
[3] Yves Albert Dauge: Le barbare. Recherches sur la conception romaine de la barbarie et de la civilisation, Brüssel 1981.
[4] Christopher Tuplin: Greek Racism? Observations on the Character and Limits of Greek Ethnic Prejudice, in: Gocha Tsetskhladze (Hg.): Ancient Greeks West and East, Leiden u.a. 1999, 47-75.
[5] Frank M. Snowden: Before Color Prejudice: The Ancient View of Blacks, Cambridge Mass. 1983; Lloyd A. Thompson: Romans and Blacks, London u.a. 1989; sowie Gay L. Byron: Symbolic Blackness and Ethnic Difference in Early Christian Literature, London u.a. 2002.
[6] Vgl. Johannes Engels: Augusteische Oikumenegeographie und Universalhistorie im Werk Strabons von Amaseia, Stuttgart 1999, 237 Anm. 41.
Johannes Engels