Rezension über:

Almut Höfert: Den Feind beschreiben. "Türkengefahr" und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450-1600 (= Campus Historische Studien; Bd. 35), Frankfurt/M.: Campus 2004, 465 S., 17 Tabellen, ISBN 978-3-593-37482-6, EUR 45,00
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Rezension von:
Ernst D. Petritsch
Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Christine Roll
Empfohlene Zitierweise:
Ernst D. Petritsch: Rezension von: Almut Höfert: Den Feind beschreiben. "Türkengefahr" und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450-1600, Frankfurt/M.: Campus 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/06/5552.html


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Almut Höfert: Den Feind beschreiben

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In der Einleitung zu ihrer Studie, die 2001 als Doktorarbeit am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz angenommen wurde, stellt Almut Höfert die Frage nach dem gemeinsamen Ordnungsprinzip, das dem Wissen über das Osmanische Reich im fraglichen Zeitraum zu Grunde lag. Dieses Ordnungsprinzip (von der Autorin als "epistemologische Konfiguration" bezeichnet) habe die entscheidenden Impulse durch die ideologische wie auch militärische Auseinandersetzung mit den Osmanen erhalten.

Die Arbeit ist klar strukturiert: Im ersten Kapitel ("Ethnographisches Wissen im 15. und 16. Jahrhundert") reflektiert Almut Höfert über die Entstehung des Wissenskorpus, das im 15./16. Jahrhundert entstand, dann aber auch Veränderungen unterworfen war: Das "Ding" ("res", "la cosa") rückte ins Zentrum der Betrachtung, Reisende stellten die "Dinge" so dar, wie sie "sie vorfanden". Mit dem Buchdruck stieg die Menge des verfügbaren Wissens über das Osmanische Reich sprunghaft an.

Der "Türkengefahr", deren Anfänge die Autorin mit der Eroberung Konstantinopels 1453 ansetzt, ist das zweite Kapitel gewidmet. An die Stelle des mittelalterlichen Kreuzzugsgedankens trat das Motiv der Türkengefahr, welche in der Aufforderung zum Türkenkrieg gipfelte, Berichte über "Türkengreuel" sollten die Motivation fördern. Andererseits wurde die "Türkengefahr" als Geißel Gottes für begangene Sünden interpretiert und zum Anlass genommen, zur Buße aufzurufen. Propagandistisch vor allem von den Habsburgern eingesetzt, hätte der Diskurs der "Türkengefahr" laut Höfert aber - gemäß früheren Forschungen von Winfried Schulze - vor allem zur Stabilisierung der Reichsinstitutionen beigetragen.

Im dritten Kapitel, "Die osmanische Expansion", versucht Almut Höfer die Spannung zwischen Türkengefahr und der realen Expansion der Osmanen innerhalb des christlichen Abendlands auszuloten. Dabei wurde insbesondere die Einflussnahme von drei Mächten, die von jener Expansion in unterschiedlichem Ausmaß betroffen waren und die Türkengefahr unterschiedlich propagierten - Venedig, Frankreich und die Habsburger -, auf das ethnografische Wissenskorpus untersucht. Rund 46% aller "Türkendrucke" entstanden im Reich, 13% in Frankreich, 26% in Italien (davon 8% in Venedig). Während Venedig als "Hauptgeschädigter" (116) der osmanischen Expansion zu betrachten sei, gelang es den Habsburgern als Konkurrent zu den osmanischen Ansprüchen auf Ungarn die österreichischen Erblande erfolgreich zu verteidigen. Gleichzeitig hätten sie ihren Expansionsdrang als legitim, die osmanische Expansion hingegen als Bedrohung des christlichen Abendlands darzustellen gewusst. Nicht außer Acht sollte dabei jedoch bleiben, dass die habsburgischen Erblande lediglich durch den ungarischen Schutzschild vor direkten osmanischen Angriffen geschützt waren.

Das vierte Kapitel ("Das Wissen der Diplomaten") widmet sich der Bedeutung der Relationen und Berichte, die im diplomatischen Kontext entstanden sind, und das waren immerhin 70% aller im untersuchten Zeitraum erschienenen Reiseberichte. Das im Osmanischen Reich im 16. Jahrhundert aufgebaute europäische Gesandtschaftswesen diente neben der Repräsentation natürlich auch der Beschaffung von Informationen. Die als Manuskripte und als Druckwerke überlieferten venezianischen, französischen und habsburgischen Reiseberichte werden am Ende des Kapitels detailliert angeführt.

Gegenstand der engeren Untersuchung bilden jedoch nicht die im diplomatischen Kontext entstandenen Berichte, sondern jene Reiseberichte, die "außerhalb der diplomatischen Informationserhebung" entstanden sind, im untersuchten Zeitraum in mindestens fünf Auflagen gedruckt wurden und somit nachhaltigen Einfluss auf die Meinungsbildung ausüben konnten. Insgesamt handelt es sich um zwölf repräsentative Reiseberichte von elf Autoren (Hans Schiltperger, Georg von Ungarn, Benedetto Ramberti, Antoine de Geuffroy, Bartholomäus Georgejevic - er ist mit zwei Schriften vertreten -, Luigi Bassano, Giovanantonio Menavino, Teodoro Spandugino, Pierre Belon, Nicolas de Nicolay und Jacques de Villamont), die in den folgenden Kapiteln ausgewertet werden. - Zuvor folgt freilich noch ein Exkurs über das mittelalterliche Islambild beziehungsweise die Vorstellungen über die Herkunft der Türken in der Literatur vor 1453 (Fünftes Kapitel: "Die Formierung des ethnographischen Wissenskorpus außerhalb der diplomatischen Informationserhebung").

Im sechsten Kapitel ("Die virtuelle Episteme") stellt die Autorin schließlich ihre "Bausteinanalyse" vor, wodurch jene zwölf Reiseberichte ausgewertet werden: Die auf insgesamt fast 1000 Seiten enthaltenen ethnografischen Inhalte werden als 330 "Bausteine" vier Hauptfeldern zugeordnet: 1. Hof, Regierung und Militär; 2. Sitten und Gebräuche; 3. Religion; 4. Sonstige. Diese Hauptfelder werden wiederum in insgesamt 45 Unterfelder unterteilt (Beispielsweise: Hof, Regierung und Militär: "Großer Türke", "Hofämter" etc.; Sitten und Gebräuche: "Essen und Trinken", "Kleidung" usw.).

Die Schreibweise der in den Feldern auftauchenden Ämter und Würdenträger orientiert sich konsequent an jener in den - verschiedensprachigen - Quellen. Vermisst wird eine moderne, einheitliche Transkription wie auch eine gültige Definition der Amtstitel, was mit osmanistischer Unterstützung kein großes Problem dargestellt hätte. Dadurch wären auch die mitunter fragwürdigen Definitionsversuche der zeitgenössischen Berichterstatter überprüfbar und manche Ungereimtheiten vermeidbar gewesen: Beispielsweise sind unter dem Unterfeld "Hofämter" die Bausteine "Chiausiler und Chiausbassi" zu finden, die identischen Titel "Zausbaßi und Zausi" hingegen unter dem Unterfeld "Versorgung von Tieren im Serail".

Dass die thematischen Bausteine "Essen", "Religiosi" und "Abgeschiedenheit und Verschleierung der Frauen" in den zwölf Reiseberichten am häufigsten genannt werden, verwundert angesichts vergleichbarer Klatschspalten in modernen Medien kaum; Almut Höfert scheint von diesem Ergebnis zwar überrascht gewesen zu sein, zieht daraus aber den Schluss, dass damit "der Dramatik der Türkengefahr [...] eine gewisse Banalität" entgegengesetzt worden sei (245).

Im siebten Kapitel ("Die Ordnung der Dinge") versucht die Autorin schließlich, "die epistemologische Konfiguration des ethnographischen Wissens zu umreißen und diese in die vorangegangenen Darstellungen einzuordnen" (12), indem sie zunächst das in der gleichnamigen Studie von Michel Foucault vorgestellte "Modell der Ähnlichkeiten" einer kritischen Betrachtung unterzieht.

In der Schlussfolgerung sieht die Autorin eine der wichtigsten Erkenntnisse ihrer Studie darin, dass "die Etablierung des ethnographischen Feldes der Religion wie des ethnographischen Ordnungsmusters nicht bewusst oder in bezug auf einen bestimmten Leittext vor sich gegangen war" (314). Höfert betrachtet das Thema aus soziologischem Blickwinkel und benützt daher das entsprechende Fachvokabular, das einem einfachen Historiker zuweilen etwas unverständlich klingen mag.

Im Anhang erhält der an Zahlen und Fakten gewöhnte Historiker das der Studie zu Grunde liegende Material detailliert aufgelistet: Dem "Nachweis der Bausteine" in den 12 Texten folgen Listen mit prozentualen Verteilungen der Bausteine, Drucknachweise, das nach Häufigkeit der Nennungen gereihte "Spektakel in zehn Akten", "Die Ordnungsmuster der Reiseberichte", ein Quellen- und ein Literaturverzeichnis, ein Namens- und Ortsregister, das bei gründlicher Redigierung die Möglichkeit geboten hätte, verschiedene Schreibweisen eines Namens, zum Beispiel: Albert von Wyss (113) = Albert de Wijs (151) zu vereinheitlichen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Almut Höfert in ihrer eindrucksvoll gründlichen Studie der Nachweis gelingt, dass die Reiseberichterstatter des 16. Jahrhunderts den "Feind" losgelöst von einem Feindbild betrachten und dadurch umfangreiches ethnografisches Wissen vermitteln konnten.

Ernst D. Petritsch