Rezension über:

Donatella Calabi: The Market and the City. Square, Street and Architecture in Early Modern Europe. Translated by Marlene Klein (= Historical Urban Studies), Aldershot: Ashgate 2004, XXVII + 217 S., 115 b&w illus., ISBN 978-0-7546-0893-6, GBP 57,50
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Rezension von:
Karsten Igel
Osnabrück
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Karsten Igel: Rezension von: Donatella Calabi: The Market and the City. Square, Street and Architecture in Early Modern Europe. Translated by Marlene Klein, Aldershot: Ashgate 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/06/6020.html


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Donatella Calabi: The Market and the City

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Die städtebauliche Umgestaltung von Straßen und Plätzen in den wirtschaftlichen und politischen Zentren spätmittelalterlich-frühneuzeitlicher Städte ist ein bislang noch selten untersuchtes, für das Verständnis von Stadt aber wesentliches Phänomen. Insofern ist der von der venezianischen Stadtgeschichtlerin Donatella Calabi bereits 1993 auf Italienisch vorgelegte und nun in einer englischen Übersetzung verfügbare Band zunächst einmal zu begrüßen, zumal er eine europäische Vergleichsperspektive verspricht. Untergliedert ist die Untersuchung in zwei Hauptteile: Der erste "Market Spaces and Urban Structure" wendet sich der Entstehung und Entwicklung von Märkten sowie deren räumlicher Einbindung innerhalb der Stadt zu, der zweite Teil "Commercial Buildings: Use an Form" stellt dagegen die verschiedenen baulichen Einrichtungen der Märkte in ihrer Funktion und Entwicklung vor. Ausgangspunkt und Anlass ihrer Überlegungen ist für Calabi die Frage, wie weit Venedig exemplarisch und vielleicht auch vorbildlich für andere europäische Städte war (XXIV), ganz entsprechend ist Venedig denn auch die diesem Buch dominierende Stadt.

Ein Blick in das übersichtlich gestaltete Register, das auch die einzelnen Bauten und Orte der näher untersuchten Städte auflistet, führt dann jedoch zu einer ersten überraschenden Feststellung: Das hier betrachtete Europa endet an der Linie Lübeck - Nürnberg - Venedig, östlich davon gelegene Städte erscheinen nur kursorisch, Breslau, Krakau, Prag und Wien, um nur einige dem Rezensenten als wichtig erscheinende Orte zu nennen, werden überhaupt nicht beachtet. Vielmehr beschränkt sich Calabi in ihrer Arbeit auf zwölf Städte: Amsterdam, Antwerpen, Augsburg, Barcelona, Florenz, Genua, London, Lübeck, Nürnberg, Paris, Sevilla und Venedig. Eine solche Auswahl ist natürlich legitim und aus arbeitstechnischen Gründen auch notwendig - entscheidend ist aber, ob sie auch repräsentativ und gut begründet ist, zumal wenn der Titel der Arbeit eine gesamteuropäische Perspektive suggeriert.

Für die von Donatella Calabi vorgenommene Auswahl scheint folgende These ausschlaggebend gewesen zu sein: "Yet, between the fifteenth and the sixteenth centuries, no more than a dozen European metropolises, all located along seafaring routes, underwent extraordinary, practically revolutionary development; the others remained more like villages (!), whose primary function was that of a local market" (5). Sollte die Autorin damit die zwölf von ihr näher betrachteten Städte meinen, so überrascht dann zunächst doch, dass sich unter diesen mit Augsburg, Nürnberg und Paris drei ausgesprochene Binnenstädte finden. Die Ursachen für die Entwicklungen in bestimmten Städten lagen also wohl nicht in der unmittelbaren Anbindung an den Seehandel allein, sondern in den allgemeinen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen des langen 16. Jahrhunderts. Diese führten aber in deutlich mehr Städten, die nicht nur eine regionale Rolle spielten, sondern in vielfacher Weise in den entstehenden Welthandel eingebunden waren, zu zum Teil tief greifenden Veränderungen in ihren räumlichen Strukturen. Auch wenn die Autorin mit dem angeführten Zitat sicherlich bewusst überzeichnen wollte, so verkennt oder überdeckt sie doch damit zumindest die weitaus differenzierteren Strukturen der europäischen Städtelandschaften. Schon zwischen den von ihr betrachteten Städten bestanden gewaltige Unterschiede. So steht die geradezu rasante Entwicklung von Antwerpen und später dann Amsterdam, beide in der Nachfolge Brügges, der beginnenden wirtschaftlichen Stagnation im bedeutend kleineren Lübeck gegenüber, dessen Auswahl als Beispiel sich vielleicht eher aus der Prominenz und der guten Forschungslage für die Travestadt erklärt.

Zu fragen wäre aber gerade, wie weit sich auch jenseits der großen Metropolen vergleichbare Veränderungen fassen lassen, wie weit sie bestimmten Vorbildern folgten oder eigenständige Formen ausbildeten. In der Relation zur Stadtgröße durchaus vergleichbare Umgestaltungen von Marktplätzen - und zwar planvoll vom städtischen Rat gelenkt - lassen sich denn auch in weniger großen, aber gleichfalls in den Überseehandel integrierten Städten beobachten, als herausragende Beispiele aus dem norddeutschen Raum seien nur Bremen und Osnabrück genannt. [1] In beiden Städten waren die städtebaulichen Veränderungen des 15. und 16. Jahrhunderts weit ausgeprägter und in ihren Auswirkungen auf den Stadtraum viel tief greifender als in Lübeck. Von den Beispielsstädten abgesehen, schleichen sich im Blick auf die Regionen nördlich der Alpen auch mehr Ungenauigkeiten ein. So war das spätmittelalterliche Erfurt im Vergleich zu Berlin wohl kaum eine "small and average-sized city" (30) und das Haus "ter Beurze" in Brügge stand nicht am zentralen Markt (175), sondern im Zentrum der Niederlassungen italienischer Kaufleute auf halbem Wege zwischen dem Markt und dem Kontor der Hansestädte. Von solchen Fehlern abgesehen, ist allerdings zu betonen, dass die hier hervorgehobenen Kritikpunkte zugleich auch die ausgesprochen bescheidene Forschungslage zu diesem Thema widerspiegeln. Eine vergleichende Untersuchung, die sich gerade bei der angestrebten geografischen Weite vor allem auf Sekundärliteratur und editierte Quellen stützen muss, wird so schon von vorneherein zu einem gewagten Unternehmen.

Im Blick auf die zwölf untersuchten Städte weiß Calabi denn auch durchaus zu überzeugen. An ihren Beispielen kann sie sehr deutlich die komplexen Verhältnisse herausstellen, die sich aus der Entwicklung der Märkte während des Mittelalters ergaben und die auch die späteren Neugestaltungen zumindest in Teilen mitbestimmten. Die Markteinrichtungen waren häufig in der Hand verschiedener Eigentümer - neben der Stadt selbst traten kirchliche Institutionen oder auch private Besitzer in Erscheinung - und so einer einheitlichen baulichen Ordnung entzogen. Zudem führte die tatsächliche Nutzung, die nicht immer der ursprünglichen Intention entsprach, zu beständigen Veränderungen in den Strukturen und schließlich ergaben sich unterschiedliche Ausgangslagen, je nachdem, ob ein zentrales oder ein polyzentrales Marktsystem bestand. Bemerkenswert sind hier die Veränderungen, die sich im zuerst islamisch geprägten Sevilla nach der Reconquista vollzogen.

Der erste Abschnitt zu Märkten und ihrer Einbindung in den Stadtraum findet in einem Kapitel, das sich der Frage von Grenzen beziehungsweise Grenzbereichen im Blick auf Rechts- und Besitzverhältnisse wie auch der Nutzung zuwendet (in diesem Zusammenhang erweist sich der englische Begriff "Boundary" als sehr treffend), eine Art Zusammenfassung, zum Abschluss des Bandes fehlt diese aber. So muss der Leser sich schon selbst die Frage beantworten, wo die Gemeinsamkeiten und Unterschiede lagen und wie beispielhaft Venedig war. Der Eindruck, den dieses Buch hinterlässt, ist durchaus zwiespältig: anregend, aber in seiner Konzeption und der Auswahl der Beispiele auch zu kritisieren - der Grundstein zur Erforschung der städtischen Zentren und ihrer Veränderung zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit ist damit gleichwohl gelegt.


Anmerkung:

[1] Stephan Albrecht: Mittelalterliche Rathäuser in Deutschland, Darmstadt 2004, 110-112; Karsten Igel: Von der Straße zum Platz. Der Osnabrücker Markt - ein Stadt-Raum im Wandel, in: Wolfgang Schlüter (Hg.): Mercatum et Monetam. 1000 Jahre Markt-, Münz- und Zollrecht in Osnabrück (= Schriften zur Archäologie des Osnabrücker Landes; Bd. III), Bramsche 2002, 171-196.

Karsten Igel