Falk Eisermann: Verzeichnis der typographischen Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. VE 15, Wiesbaden: Reichert Verlag 2004, 3 Bde., XXIV + 336 S., 632 S., 648 S., 100 Abb., ISBN 978-3-89500-375-2, EUR 148,00
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Einblattdrucke wurden lange Zeit von Historikern und Bibliothekaren gering geschätzt. Deren Hauptaugenmerk richtete sich vor allem auf das Medium des Buches, allenfalls noch auf die Zeitschrift und die Zeitung. Einblattdrucke galten - soweit sie keine Druckgrafik aufwiesen und damit von kunsthistorischem Interesse waren - als peripheres Gebrauchsschriftgut, was ihrer Aufbewahrung, Sammlung und Auswertung oftmals abträglich war. Erst als man sich näher mit den Flugschriften auseinandersetzte und zunehmend Fragestellungen zur öffentlichen Kommunikation, Verschriftlichung und Alphabetisierung in Mittelalter und Früher Neuzeit aufgeworfen wurden, rückte auch der Einblattdruck wieder mehr ins Forschungsinteresse. Das Konzept der Untersuchung der "Entfaltung pragmatischer Schriftlichkeit" - womit der funktionelle Wandel von Schriftkultur und Schriftgebrauch "zu einem immer weiter ausgreifenden Instrumentarium zweckgerichteter menschlicher Lebenspraxis" beschrieben ist - konnte dieses Interesse forschungsstrategisch bündeln. Der von 1986 bis 1999 bestehende Münsteraner Sonderforschungsbereich 231 "Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter" [1] hatte in seinem ab 1994 laufenden Teilprojekt "Textierte Einblattdrucke im Deutschen Reich bis 1500 als Ausdruck pragmatischer Schriftlichkeit" unter der Leitung von Prof. Dr. Volker Honemann nämlich das Ziel, "den textierten Einblattdruck des 15. Jahrhunderts als Medium handlungsanleitender Schriftlichkeit quantitativ zu erfassen und hinsichtlich seiner Inhalte, Urheber, Funktionen und Ausdrucksmittel zu analysieren". [2] Als Arbeitsgrundlagen waren dafür ein Verzeichnis der typografischen Einblattdrucke und ein Katalog der textierten Einblatt-Druckgrafik geplant. Das erste der genannten Repertorien liegt nun mit dem dreibändigen, über 1500 Seiten umfassenden "Verzeichnis der typografischen Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" von Falk Eisermann vor.
Band I enthält in der Einleitung die Angaben zu den Aufnahmekriterien und die Beschreibungsrichtlinien, die für den Katalog maßgeblich waren. Als Einblattdrucke wurden "Einzelblätter, die mit beweglichen Lettern einseitig bedruckt sind und einen oder mehrere in sich abgeschlossene Texte aufweisen" (1), definiert. Derart hergestellt finden sich etwa so unterschiedliche Dinge wie Ablassbriefe, Aderlasstafeln, Almanache, Ausschreibungen, Exkommunikationen, Kalender, Beichtspiegel, Bruderschaftsbriefe, Bücheranzeigen, päpstliche Bullen, Formulare, Gebete, obrigkeitliche Normen (öffentliche Briefe, Mandate, Ordnungen), Instruktionen, Mahnbriefe, Privilegien, Schmähbriefe, Schützenbriefe, Sprüche, Statuten, Suppliken, Tafeln, Verkündigungen usw., deren Auftraggeber die neuen Möglichkeiten der Vervielfältigung mittels Druck zu nutzen wussten. Die unzähligen Verzeichnisse (Besitzer, Negativliste), Register (Drucker, Namen, Sachen, Empfänger, Provenienzen, Initien usw.) und Konkordanzen mit anderen bibliografischen Verzeichnissen (Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts, 1914; Gesamtkatalog der Wiegendrucke, 1925 ff.; Incunabula Short Title Catalogue / British Library, 1998; Inkunabelkatalog / Bayerische Staatsbibliothek, 1988 ff. usw.), die sich im ersten Band befinden, erleichtern wesentlich die Handhabung des Katalogs. 100 breit ausgewählte Abbildungen, die in einem Tafelteil ebenfalls dem ersten Band angehängt sind, geben exemplarisch Einblick in die unterschiedlichsten Erscheinungsformen des Einblattdrucks. Ein fast hundertseitiges Literaturverzeichnis belegt die ungeheure Fülle an wissenschaftlichen Forschungspublikationen, die für die Erstellung des Katalogs herangezogen wurden.
Die Aufnahmen und Druckbeschreibungen des Katalogs, der die Bände II und III umfasst, befinden sich auf höchstem bibliografischen Niveau. Jeder Druck wurde exakt mit bibliografischer Notiz (Verfassername, Sachtitel, Druckort, Drucker, Druckdatum), Kollation (Größe des Blattes, Zeilenanzahl, Ausstattung, Typen), textlicher Beschreibung (so genanntes Druckzitat, "so kurz wie möglich, aber so ausführlich wie nötig"), Anmerkung, bibliografischen Nachweisen sowie Angaben und Beschreibungen zu den in Bibliotheken, Sammlungen und Archiven befindlichen Exemplaren versehen. Die Einträge wurden primär alphabetisch nach dem Verfassernamen beziehungsweise bei dessen Fehlen nach dem Sachtitel sowie sekundär nach dem Druckdatum geordnet. Eine der bibliografischen Notiz vorangestellte Kombination aus Großbuchstabe (Anfangsbuchstabe des Verfassernamens beziehungsweise Sachtitels) und Ordnungsziffer weist dem Eintrag eine spezifische und leicht zitier- wie auffindbare Ordnung im Verzeichnis zu. So findet man beispielsweise die Einblattdrucke Friedrichs III. unter F-58 bis F-94 und diejenigen Maximilians I. von M-17 bis M-144.
Stichprobenartige Überprüfungen - etwa anhand des seit April 2002 in Arbeit befindlichen Inkunabelzensus Österreich [3] - haben die Qualität der Daten des VE 15 mehr als unterstrichen. Abweichungen ergaben sich allein bei den Signaturen der Einblattdrucke des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, die anscheinend nach der in Autopsie erfolgten Aufnahme Eisermanns umsigniert wurden. Sie sind aber durch den genannten Inkunabelzensus Österreich leicht auffindbar, der zudem gegebenenfalls die VE 15-Signatur in einer Fußnote des jeweiligen Datenblattes aufweist, sodass eine eindeutige Zuordnung gegeben ist.
Anhand der vorliegenden Daten zeigt sich besonders eindrucksvoll das Vordringen des Einblattdruckes in den Verwaltungsbereich. Die Kirche nutzte Einblattdrucke bereits früh, die weltlichen Obrigkeiten folgten bald nach. Unter Friedrich III. noch sporadisch eingesetzt, steigerte Maximilian I. den Gebrauch von Einblattdrucken als Herrschaftsmedium. Im 16. Jahrhundert wird dann das Amtsschriftgut (Formulare, vor allem aber Gesetze und Verordnungen) den größten Teil der Einblattdrucke ausmachen. Doch harren diese noch einer bibliografischen Verzeichnung, weil Einblattdrucke generell nicht in das VD 16 (Verzeichnis der Drucke des 16. Jahrhunderts [4]) - leider ist beim VD 16 zum Datenabruf noch die Installation eines Zusatzprogrammes notwendig) aufgenommen worden sind. Dagegen können immerhin fast 13.000 Einblattdrucke des 17. Jahrhunderts über das VD 17 (Verzeichnis der Drucke des 17. Jahrhunderts [5]) bereits online abgerufen werden. Letztere Projekte - die allerdings aufgrund der ungeheuren Fülle an Datenmaterial nicht mehr von einer Einzelperson geleistet werden konnten, sondern kollektive Sammlungen darstellen - lassen auch den Wunsch aufkeimen, dass das VE 15 einmal als Online-Datenbank zur Verfügung gestellt werden möge. Mit dem VE 15 ist nun jedenfalls ein profundes und hervorragendes Nachschlagewerk für die Inkunabelzeit vorhanden, welches der Forschung [6] weitere Impulse geben wird. Gespannt darf man schon auf das angekündigte und von Sabine Griese bearbeitete "Repertorium der textierten Einblatt-Holz- und -Metallschnitte des 15. Jahrhunderts" sein.
Anmerkungen:
[1] URL: http://www.uni-muenster.de/Geschichte/MittelalterSchriftlichkeit.
[2] URL: http://www.uni-muenster.de/Geschichte/MittelalterSchriftlichkeit/ProjektN/Welcome.html.
[3] URL: http://aleph.onb.ac.at/ALEPH/-/start/ink.
[4] URL: http://www.vd16.de.
[5] URL: http://www.vd17.de/.
[6] Aus der Arbeit an dem Repertorien erwuchs bereits ein beeindruckender Sammelband: Volker Honemann / Sabine Griese / Falk Eisermann / Marcus Ostermann (Hg.): Einblattdrucke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts. Probleme, Perspektiven, Fallstudien, Tübingen 2000.
Josef Pauser