David Mandrella / Hermann Mildenberger / Benjamin Peronnet / Pierre Rosenberg: Von Callot bis Greuze. Französische Zeichnungen des 17.und 18. Jahrhunderts (= Im Blickfeld der Goethezeit; V), Berlin: G & H Verlag 2005, 349 S., 590 Abb., ISBN 978-3-931768-79-9, EUR 42,00
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In Weimar ist derzeit eine Ausstellung der französischen Zeichnungen des 17. und 18. Jahrhunderts aus dem Bestand des Goethe-Nationalmuseums und des Schlossmuseums zu sehen, der sich im Kern aus Goethes Privatsammlung sowie aus der von ihm betreuten Kunstsammlung des Herzogs Carl-August von Sachsen Weimar-Eisenach konstituiert. Mit dieser Schau, die anschließend in Paris (Musée Jacquemart-André) und New York (Frick Collection) gezeigt wird, knüpft man in Weimar an einen sich langsam entwickelnden Trend an, dessen Förderung im Interesse der Forschung liegen sollte: Die Beschäftigung mit Sammlungsbeständen.
Der die Ausstellung begleitende Katalog erschien als fünfter Band in der Reihe "Im Blickfeld der Goethezeit", mit der die Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen ihren Bestand sukzessiv erschließt. Konsequent versteht sich die Publikation, deren Titel "Von Callot bis Greuze" den zeitlichen Rahmen der Exponate vorgibt, auch als Gesamtverzeichnis der Weimarer französischen Zeichnungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Band gliedert sich in den Aufsatzteil, den Katalog der ausgestellten Werke und den Inventarteil.
Pierre Rosenberg leitet seinen Beitrag über "Die französischen Zeichnungen in Weimar" mit einem Überblick über die Sammlungsgeschichte ein, die sich angesichts der 30.000 größtenteils unerforschten Blätter nur schwer rekonstruieren ließ. Hilfreich waren immerhin Arbeiten wie der 2002-2003 in Weimar erschienenen Katalog von Rolf Bothe und Ulrich Haussmann über "Goethes Bildergalerie. Die Anfänge der Kunstsammlungen zu Weimar", oder auch der sorgfältig erstellte Katalog von Gerhard Femmel über "Goethes Grafiksammlung. Die Franzosen. Katalog und Zeugnisse", Leipzig 1980, an dem Rosenberg bereits beteiligt war, für den er inzwischen aber Ergänzungsbedarf sah (11).
Die entscheidende Frage nach dem Stellenwert der französischen Zeichnungen in den Weimarer Sammlungen (13) behandelt Rosenberg nur knapp. Er hebt den geringen Anteil französischer Zeichnungen des 17. und 18. Jahrhunderts in deutschen Museen hervor und erklärt dies - den Fokus auf Weimar richtend - allein mit der Geschmacksentwicklung: Viele Zeichner des 18. Jahrhunderts seien erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder entdeckt worden, als man in Weimar kaum noch Blätter erworben habe, und zahlreiche Zeichner des 17. Jahrhunderts seien sogar erst im 20. Jahrhundert wieder geschätzt und angekauft worden (13). Dennoch sei das Ausstellungsteam beim Inventarisierungsvorgang auf überraschende Funde gestoßen, die Rosenberg bei der Erörterung der Stärken und Schwächen der Weimarer Sammlungen präsentiert. Einige, bisher italienischen, flämischen und holländischen Künstlern zugeschriebene Blätter ließen sich als Zeichnungen von Bellange, Le Sueur, Dorigny, Brebiette oder auch Dughet identifizieren; als Highlights der Sammlung gelten aber die Blätter der 'großen' in Italien geschulten Künstler, wie Callot, Claude, Dughet, Le Brun, Natoire, Carle Vanloo, Boucher und Watteau. Fehlen würden dagegen Grafiken von Poussin, Fragonard oder David, die Goethe und auch seine Nachfolger in ihrem Besitz geglaubt hatten (13). Anzumerken ist, dass die zuletzt genannten Meister demnach offenbar nicht nur aufgrund der von Rosenberg erwähnten Geschmacksentwicklung in den Weimarer Sammlungen fehlen, sondern auch aufgrund der Fehleinschätzungen im 18. Jahrhundert - zumal damals eine solide Kennerschaft mangels genügend verfügbarem Anschauungsmaterials nicht leicht zu erwerben war.
Zuletzt diskutiert Rosenberg die Bedeutung der Weimarer Sammlungen im deutschsprachigen Raum und schlussfolgert, dass sie den Sammlungen in Darmstadt, Worms, Berlin, München, Frankfurt, und - in Parenthese - auch denjenigen in Dresden, Stuttgart, Hamburg und Düsseldorf nachgeordnet blieben. Das spannende Moment liege aber in ihrem großen Forschungspotenzial: In der Ausstellung konnten zahlreiche kaum bekannte Zeichnungen präsentiert werden, und es sei "nicht gezögert [worden], Zeichnungen kleinerer Meister auszustellen [...], neue Zuschreibungen zu wagen und das eine oder andere Blatt eines anerkannten Meisters, dessen Qualität [...] nicht völlig zufriedenstellte, auszusparen" (13).
Hermann Mildenberger ergänzt Rosenbergs Beitrag um seinen Aufsatz über "Goethe und die französische Zeichenkunst", dem als Gliederungsgerüst Goethes kulturpolitische Karriere zu Grunde liegt. Goethe orientierte sich ungeachtet der im deutschsprachigen Raum allgegenwärtigen politischen Ressentiments gegen Frankreich in Bezug auf seine Sammeltätigkeit schon früh an Frankreich. Dabei bildete er sich zunächst durch den Besuch von 'kunsthistorischen Salons' weiter, bei denen Kunstkenner im kleinen Kreis über Grafiken aus ihren Sammelmappen diskutierten, die damals noch nach der Wertschätzung der jeweiligen Künstler geordnet waren. Erst Goethe sollte für die Mappen, die seiner Verantwortung unterstanden, eine systematische Ordnung nach wissenschaftlichen Kriterien entwickeln. Auch erweiterte er die Sammelmappen durch seine weit reichenden Kontakte zur Kunstwelt beträchtlich. Insofern kann Goethe nach Mildenberger als "der eigentliche Gründer der späteren staatlichen Graphischen Sammlung" gelten (23).
Die zeitgenössische Präsentation und Nutzung der Weimarer Graphiksammlungen blieb anfangs eng mit dem Unterricht an der 1774 gegründeten "Freien Zeichenschule" verknüpft, für die sich Goethe ebenfalls engagierte. Hier dienten die Grafiken jungen Künstlern als Studienobjekte, wobei die Vorliebe Blättern von "Boucher" und "Vanloo" galt. Dazu merkt Mildenberger jedoch an, dass napoleonische Truppen 1806 zahlreiche Blätter aus den Weimarer Sammlungen entwendet hätten und daher nicht davon ausgegangen werden könne, dass es sich bei den heutzutage in den Sammlungen befindlichen Blättern um dieselben wie damals handele. Vielmehr sei nahe liegend, dass die geplünderte Sammlung schon damals durch Blätter aus dem Kunsthandel ergänzt worden sei (24). Nachzufragen bliebe hier, ob nicht akademische Studienzeichnungen aus dem 18. Jahrhundert Aufschluss über die in Weimar verwendete Zeichenvorlage - und damit auch über den damaligen Bestand - geben könnten.
Da Goethes Interesse an französischer Kunst auch dann bestehen blieb, als die Aversion gegen Frankreich im deutschsprachigen Raum nach der Zerschlagung des Heiligen Römischen Reichs durch die Französische Revolution stetig wuchs, war es ihm nach Mildenberger ferner möglich, "ganz pragmatisch konjunkturelle Schwankungen für den Ausbau der Weimarer Sammlungen [zu] nutzen" (26) und "historisch", nämlich "auch gegen augenblickliche Trends" (32) zu sammeln. So schrieb er beispielweise 1818 über seinen Erfolg bei einer Leipziger Auktion an Sulpiz Boisserée: "Die Franzosen gelten jetzt gar nichts, und so erhielt ich Sebastian Bourdon, Le Sueur, Glauber nach Poussin und zuletzt Watteau und Boucher fast umsonst" (26). Durch solche Neuankäufe, die Goethe en gros tätigte, da er zugleich Blätter für seine eigene Sammlung wie auch für die private und die museale Sammlung des Herzogs erwarb, bereicherte er den Weimarer Grafikbestand enorm.
Ferner beschäftigte sich Goethe anlässlich der zahlreichen an Paris und Rom orientierten Akademiegründungen im deutschsprachigen Raum auch mit dem Akademiewesen. 1799-1800 schrieb er sogar einen Zeichenwettbewerb aus, die "Weimarer Preisaufgaben" (37). Damit trug er in "seiner kleinen Residenzstadt" entscheidend zur "Ausrichtung an übernationalen Maßstäben" wie auch an einer "universalistischen Sicht" (37) bei. Dennoch wurde Goethe nach Mildenbergers Ergebnis in Frankreich selbst für seine Sammeltätigkeit kaum rezipiert.
Der Katalogteil ist mit hervorragenden Farbabbildungen ausgestattet und bietet einen repräsentativen Überblick über den Kunstgeschmack und den Kunsthandel im 18. Jahrhundert. Auch die neuen Forschungsergebnisse sind beachtlich: Von den rund 400 französischen Werken der Weimarer Sammlungen werden 107 neu zugeschrieben und eingehend analysiert. Dabei ist die chronologische Ordnung der Blätter für die Annäherung an die zum Teil nur wenig bekannten Künstler sehr dienlich. Bemerkenswert sind ferner Funde, die mit großen Ausstattungsprogrammen in Verbindung stehen, wie Le Bruns "Studie für den Oberkörper eines Jünglings" (Nr. 24), die im Versailler Spiegelsaal ausgeführt ist, oder auch Lagrenées Studie zu "Apollo und Thetis" (Nr. 66), die zum Entwurf für eine sechsteilige Serie von mythologischen Wandteppichen gehört, von der heute nur noch zwei Stücke existieren.
Der auf kleine Schwarz-Weiß-Abbildungen reduzierte Inventarteil ist sinnvoller Weise alphabetisch geordnet. Auch hier sind schöne Blätter zu entdecken, wie Philippe de Champaignes "Kind in seiner Wiege" (284), das zuvor den anonymen Italienern zugeordnet war und nun in Bezug zu einer Zeichnung im British Museum gebracht werden konnte - umgekehrt erwies sich ein früher Le Sueur zugeschriebenes Blatt als Zeichnung von Annibale Carracci (327).
Insgesamt ist der Weimarer Katalog zum Sammlungsbestand der französischen Zeichnungen des 17. und 18. Jahrhunderts als solide Grundlagenforschung zu bewerten, die ihrem Anspruch nach zukunftsweisend sein sollte.
Marion Bornscheuer