Ute Frevert / Wolfgang Braungart (Hgg.): Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, 371 S., 36 Abb., ISBN 978-3-525-36274-7, EUR 26,90
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Politik, Kommunikation und Medien sind seit etwa zehn Jahren die zentralen Modethemen der historischen Forschung. Unter verschiedenen Leitaspekten wie zum Beispiel der politischen Ikonografie, der parlamentarisch-publizistischen Kommunikation, der Denkmalskultur oder institutionellen Kommunikationsnetzwerken wird allerorten eine "Kulturgeschichte des Politischen" eingefordert, ohne dass für diese Forschungsrichtung ein einheitliches Konzept in Sicht wäre. Während die Vielfalt des Forschungsfeldes reizvolle Perspektivwechsel ermöglicht, die ihre Gegenstände in unterschiedlichen Aspekten schillern lassen können, besteht daneben auch die Gefahr einer konzeptionellen Beliebigkeit, die den zugrunde liegenden Ansatz allein in einer Umetikettierung des Altbekannten verwirklicht sieht. Diese Chancen und Gefahren sind gleichermaßen im vorliegenden Sammelband aus dem Kontext des Bielefelder Sonderforschungsbereichs "Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte" zu besichtigen.
In ihren einleitenden Bemerkungen versucht Ute Frevert die Beziehung zwischen Politik, Kommunikation und Medien unter Erinnerung an Hanna Arendt und Niklas Luhmann zwischen zwei Extremen einzuordnen - der Vorstellung, dass einerseits Politik immer schon mit medialer Kommunikation strukturidentisch sei und ohne sie zu existieren aufhören müsste und dass andererseits mediale Kommunikationssysteme gelungene Kommunikation zunehmend unwahrscheinlicher machten und im Gegenzug durch die notwendige Kontingenzminimierung zur Reglementierung und Verstümmelung des "eigentlich" Politischen beitrügen. Die folgenden Einzelbeiträge ordnen sich aber nur bedingt in diesen viel versprechenden konzeptionellen Spannungsbogen ein.
Klaus Schreiner eröffnet den Reigen mit einer sage und schreibe 75-seitigen Abhandlung zur Verwendung der christlichen Kreuzessymbolik als Siegeszeichen von der Spätantike bis zum 17. Jahrhundert. Den Leser erwartet ein quellengesättigter gelehrter Durchgang durch insgesamt fünf Schlachten und das über sie zur Verfügung stehende Quellenmaterial, ohne dass wirklich ein konzeptionelles Ziel oder eine theoretische Neubestimmung angesteuert würden. Stattdessen weist Schreiner den ethnologischen Blick auf etwaige magische Qualitäten christlicher Siegeszeichen zurück und folgt der expliziten zeitgenössischen Symbolpropaganda, die die kriegstheologischen Fundamente zu verteidigen suchte, während Funktion und Bedeutung der Siegeszeichen unter den kämpfenden Analphabeten doch wohl eher nach Maßgabe einer historischen Ethnologie untersucht werden müssten. Gerade der Ausblick auf die Epoche der Weltkriege, den Schreiner am Ende andeutet, sollte den Blick für die langfristige visuelle Symbolpolitik des Magisch-Irrationalen schärfen.
Gewinnbringender und aufschlussreicher sind die beiden folgenden Beiträge von Jan-Dirk Müller und Michael Schilling zur publizistischen Propaganda unter Maximilian I. und zu den Flugblättern des Dreißigjährigen Krieges. In beiden Beiträgen erscheinen die Sprachen des Politischen in einer empirisch und konzeptionell aufmerksamen Analyse, die nicht nur Funktionen und Strategien der politischen Kommunikation herausarbeiten kann, sondern gleichzeitig intermediale Perspektiven zwischen Buchdruck, Handschriftlichkeit, Mündlichkeit und Bildästhetik eröffnet. Müller kann so die Propaganda Maximilians auf der Grenze zwischen Handschrift und dem Massenmedium Buchdruck verorten, die sich in schwankenden und komplexen Anredeformeln äußert. Gleichzeitig erscheinen die zeitgenössischen Sprachen des Politischen stark von mündlichen Kommunikationsformen geprägt, sodass sich Einflüsse einer Bänkelsänger-Tradition oder auch stilisierte dialogische Formen erkennen lassen, die das Medium der gedruckten Flugschrift in zeitgenössisch vertraute Kommunikationstraditionen einbetteten. Das Ergebnis ist ein überzeugendes und vielschichtiges Bild der frühneuzeitlichen Informationspolitik. Schilling gelingt es andererseits, die Flugschriften des Dreißigjährigen Krieges im Spannungsfeld zwischen verschriftlichter Propaganda und tendenziöser visueller Illustration einzuordnen. Visuelle und textuelle Grammatiken erscheinen konsequent aufeinander bezogen, und Schillings Analyse überzeugt mit einer durchgehenden intermedialen Perspektive, die sich deutlich und endgültig von einer rein illustrativen Auffassung des Visuellen verabschiedet hat, unter der zumindest die Geschichtswissenschaft so lange gelitten hat. Hier stellt sich der intellektuelle Mehrwert interdisziplinärer Zusammenarbeit ein, der zu den Stärken geisteswissenschaftlicher Großforschungsprojekte zählt, denn der Literaturwissenschaftler Schilling weist gleichzeitig auf die politischen und sozialen Rahmenbedingungen der Flugschriftenliteratur hin, zum Beispiel wenn er deutliche quantitative Schwerpunkte der Flugschriftenliteratur immer dann entdeckt, wenn Sachsen ins Zentrum der kriegerischen Aktivitäten geriet. Eine solche Anbindung einer Kulturgeschichte des Politischen an die so genannte "Realgeschichte" ebnet den Weg für eine konzeptionelle Neubestimmung der Politikgeschichte.
Es schließen sich Bemerkungen Jörg Requates zur Geschichte der Zeitung als politisches Massenmedium an, die sich vom empirisch und analytisch dichten Niveau der vorangegangenen Beiträge leider stark entfernen. Die großen Linien, die Requate vom 19. ins 20. Jahrhundert, von der Herausgeber- zur Verlegerzeitung zieht, muten weniger wie ein eigenständiger Forschungsbeitrag, sondern eher wie ein knapper Ausschnitt aus einem schlanken Handbuch zur Pressegeschichte an. Zu allgemein und wenig differenziert bleiben auch die nachgereichten Bemerkungen zur eingeschränkten Verlegermacht innerhalb des politischen Massenmarktes des frühen 20. Jahrhunderts. Bettina Brandt wiederum widmet sich dem wohl bestellten Feld der Denkmalsästhetik als Kommunikationsraum des Politischen. Dabei wird eine zunächst kunsthistorisch anmutende Perspektive um die Sozialgeschichte des Denkmalbaus und der Festkultur des deutschen Nationalismus erweitert - ein erprobtes Vorgehen, das sich allerdings inzwischen nicht mehr allzu innovativ ausnimmt. Im Zentrum dieser Analyse hätten eigentlich die Beobachtungen zur Geschlechterpolitik der nationalistischen Denkmalsästhetik stehen sollen, die Brandt immer wieder sehr gewinnbringend einführt, die aber dennoch merkwürdig gebremst erscheinen und nicht wirklich der zentralen Deutungsmacht gerecht werden, die der Symbolpolitik der Geschlechter in jener Zeit zukam. Der Leser wünschte sich an dieser Stelle eine konsequente Konzentration und Radikalisierung des analytischen Blicks, der sich einerseits noch weiter gehender als bislang geschehen dem Spannungsfeld zwischen männlichem Heldentum und weiblich codiertem Volkskörper widmen und gleichzeitig die ikonografischen Umbrüche in der Denkmalsästhetik des 20 Jahrhunderts deuten helfen könnte. Unklar bleibt zum Beispiel, welche Funktion der Zug zur Abstraktion seit dem Ersten Weltkrieg in geschlechterpolitischer Hinsicht gehabt hat.
Der intellektuelle Höhepunkt des Bandes ist demgegenüber Jurij Murašovs Beitrag zur Intermedialität von Literatur und Hörfunk in der stalinistischen Sowjetunion. Ausgehend von der paradoxen Beobachtung einer totalitären Politisierung aller Lebensbereiche bei einer gleichzeitigen privatisierten, familiarisierten und verkitschten Sphäre des eigentlich Politischen greift Murašov auf Luhmann zurück, um die Phase des Medienwandels der dreißiger Jahre als Beispiel für die zunehmende Unwahrscheinlichkeit gelungener Kommunikation zu deuten, auf die zum Zwecke der Systemintegration die offizielle Medienpolitik mit neuen Strategien antwortete. Die zunehmende Unterordnung der Literatur unter die Vorgaben des sozialistischen Realismus ging nach Murašov mit einer Unterordnung unter das Massenmedium Rundfunk einher, das immer stärker in die Gestaltungskriterien des Literarischen eingriff. Über die emotional inklusive Funktion des Akustischen entstand so ein systemstabilisierendes, landesweit einsetzbares intermediales Produkt, das immer mehr auf seine radiotechnische Reproduzierbarkeit und damit auf die Ästhetik der "sowjetischen" Geborgenheit reduziert wurde. So spekulativ diese Deutung teilweise anmutet, so begrüßenswert ist doch der Versuch, konsequent eine theoriegeleitete Analyse zu versuchen, die grundlegende konzeptionelle Neubestimmungen einer Kulturgeschichte des Politischen nicht einfach nur als wissenschaftsstrategisches Etikett verwendet.
Lothar von Laak präsentiert eine gründliche und detaillierte Analyse des "Dreigroschenprozesses" von Brecht, der sich ganz auf die intermedialen Verflechtungen von Justiz und Literatur konzentriert. Brechts Auffassung des Gerichtsverfahrens als Schaustück und seine eigene Verarbeitung des juristischen Rituals über den eigenen Kommentar fügen sich schlüssig in die spätere Entwicklung des epischen Theaters, das damit als Produkt der Intermedialität (auch im Zusammenspiel mit dem Film) erscheint, zugleich aber auch seinen politisch-kritischen Anspruch gegenüber dem "öffentlichen Zustand" erhält. Diese solide und schlüssige literaturwissenschaftliche Arbeit steht allerdings noch ein wenig abseits der leitenden kulturhistorischen Fragestellungen und hätte eine bessere Einbettung in den "realhistorischen" Kontext verdient. Die äußerst Gewinn bringende Lektüre kann nicht den Eindruck vertreiben, dass die Fachbereiche hier noch ein wenig aneinander vorbei forschen. Gänzlich unbefriedigend ist Hans-Jürgen Buchers Versuch über die Beziehungen von Politik und Fernsehen, der sich weitgehend in der Beobachtung und Illustration der gegenseitigen Abhängigkeiten und Verstrickungen der beiden Bereiche erschöpft. Jeder, der Kandidatenduelle im Vorfeld der Bundestagswahlen oder die allgegenwärtigen politischen Talkshows beobachtet hat, wird spontan ähnliche Gedanken erwogen haben, und die nachgereichten theoretischen Reflexionen (wenig überraschend mit Luhmann, Giddens und zuvor schon Postman) erscheinen seltsam aufgesetzt und wenig weiter führend. Michael Driers widmet sich schließlich der fotografischen Komposition "Bundestag, Bonn" (1998) von Andreas Gursky, die seit 2002 im Berliner Reichstagsgebäude gezeigt wird. Die konsequent kunsthistorische Perspektive verfolgt die implizite Fragestellung nach den Möglichkeiten einer ästhetischen Repräsentation der Demokratie und wartet mit klassischen Beobachtungen auf: Verfahren statt Personalisierung, Transparenz des Materials und der Perspektive, aber auch traditionale Rückbezüge auf die Glasmalerei und das Tableau-Ensemble zeichnen demnach Gurskys Arbeit aus. Auch dieser lehrreiche Beitrag lässt jedoch eine präzisere interdisziplinäre Bezugnahme vermissen, sodass sich der intellektuelle Mehrwert für eine Kulturgeschichte des Politischen in deutlichen Grenzen hält.
Den Abschluss des Bandes bilden zwei Aufsätze von Ludwig Jäger und Wolfgang Braungart, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jägers Beitrag kommt in seiner extrem verklausulierten Begrifflichkeit und Syntax sowie durch das nervtötende name-dropping dem Genre der intellektuellen Realsatire beängstigend nahe. Mit Mühe lässt sich eine Grundthese ausmachen, nach der die Sprache als zentrales Übersetzungsmedium intermedialer Transkriptionsprozesse anzusehen sei. Jäger kehrt damit dem wachsenden Interesse an nicht-sprachlichen Grammatiken in der historischen Bild- und Symbolforschung den Rücken und scheint für den Primat der Sprachwissenschaften plädieren zu wollen. Sprachwissenschaftliche Abwehrschlachten gegenüber dem "visual turn" sollten jedoch zunächst selbst das Ideal geglückter Kommunikation anstreben, bevor aus solchen Beiträgen eine fruchtbare Diskussion entstehen könnte. Wolfgang Braungarts abschließender Kommentar wirkt danach auf den Leser wie ein Erlösung. Kurz und entspannt, gebildet und geistreich erinnert Braungart zunächst an das implizite Grundproblem des so genannte "Authentischen", das als romantisches Ideal viele Auseinandersetzungen mit der diskursiven Medialität bedroht, und schlägt vor, die Beziehung von Politik, Kommunikation und Medien noch stärker als bisher als genuine Mediengeschichte aufzufassen, bei der analytische Konzepte wie das der "Pathosformel" (Aby Warburg) durchaus gute Dienste zu leisten vermögen. Es ist Braungarts Souveränität zu verdanken, dass die Lektüre dieses Sammelbandes einen halbwegs versöhnlichen Ausgang nimmt.
Aribert Reimann