Rezension über:

Birgit Studt: Papst Martin V. (1417-1431) und die Kirchenreform in Deutschland (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 23), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, X + 789 S., ISBN 978-3-412-17003-5, EUR 89,00
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Rezension von:
Andreas Meyer
Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Meyer: Rezension von: Birgit Studt: Papst Martin V. (1417-1431) und die Kirchenreform in Deutschland, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 9 [15.09.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/09/4730.html


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Birgit Studt: Papst Martin V. (1417-1431) und die Kirchenreform in Deutschland

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Nachdem das Konstanzer Konzil mit der Hinrichtung von Jan Hus auf traditionelle Weise, aber ohne Erfolg versucht hatte, die Causa fidei zu lösen, gelang es den Kirchenvätern mit dem erzwungenen Rücktritt der drei Schismapäpste und der Wahl Martins V., wenigstens die Causa unionis von der Tagesordnung zu schaffen. Damit war der Reformeifer der Kirchenversammlung noch nicht erschöpft. In mehreren Dekreten schuf das Konzil zusammen mit dem neuen Papst ein Instrumentarium für die Causa reformationis. Wie diese Dekrete und ihre anschließende Umsetzung zu beurteilen sind, ist nicht leicht. Denn nach Konstanz befassten sich innerhalb eines Menschenalters zwei weitere Konzile (Pavia-Siena, Basel) mit diesen beiden Problemen. Daher neigen viele Historiker dazu, die Konstanzer Reformdekrete als ungenügend und ihre Umsetzung in die Realität als mangelhaft zu bezeichnen. Natürlich wirft auch die 'erfolgreiche' Luther-Zwingli-Reformation des 16. Jahrhunderts ihren langen Schatten auf diese Diskussion. Birgit Studt geht nun in ihrem gewichtigen Buch, einer Münsteraner Habilitationsschrift, der Frage nach, ob die Umsetzung der Konstanzer Reformbeschlüsse tatsächlich nur mangelhaft erfolgt sei, und ob dies letztlich Martin V. anzulasten sei. Um das Resultat gleich vorweg zu nehmen: Sie bewertet die damaligen Bemühungen eher positiv und belegt dies plausibel.

Um ihr Ziel zu erreichen, kombiniert Birgit Studt prosopografische und geistesgeschichtliche Ansätze, indem sie nicht nur die handelnden Personen, ihre Ausbildung, ihr soziales Umfeld und ihre früheren Tätigkeiten vorstellt, sondern auch ihre publizistischen Aktivitäten, ihr konkretes Handeln in den hier interessierenden Situationen sowie die Verbreitung, die inhaltliche Rezeption bzw. den Nachhall ihrer Werke im weiteren historischen Verlauf untersucht. Auf diese Weise wird ein Kreis reforminteressierter Kurialer und Deutscher sichtbar, der in observanzfreundlichen Benediktinern und Augustiner-Chorherren seine eigentliche Speerspitze hatte, aber auch in der Welt der Laien, vor allem unter bestimmten Landesherren, starken Rückhalt fand. Beide Gruppen suchten die gegenseitige Nähe und stützten sich in ihren Bemühungen auf die römische Kurie ab. Doch wird man bei der Lektüre den Verdacht nicht los, einige Landesherren hätten mit ihrem Streben schon damals weniger auf eine Kirchenreform im Sinne der Initiatoren als vielmehr auf ein 'Kirchenregiment' geschielt, wie es die Reformation im 16. Jahrhundert errichtete.

Der Band ist in vier ungleich große Teile gegliedert. Im einleitenden ersten Teil (1-72) referiert Birgit Studt die Reformdiskussion auf dem Konstanzer Konzil und stellt die Reformarbeiten und ihre unselige Verknüpfung mit dem Problem der hussitischen Häresie vor. Im zweiten Kapitel (73-318), mit "Kirchenreform im Spannungsfeld von Papsttum, Landesherrschaft, Ortskirche und Ordensorganisation" überschrieben, dienen die österreichischen Lande unter Albrecht V., die wittelsbachischen Territorien in Bayern, die Kurpfalz, die Erzbistümer Trier und Köln sowie die fränkischen Bistümer Bamberg, Eichstätt und Würzburg als Untersuchungsobjekt. Zum Vorschein kommen dabei deutliche regionale Unterschiede, die sowohl das Konzept der Kirchenreform wie auch das Ausmaß der Anlehnung an die römische Kurie und der päpstlichen Gunst betreffen. Als erfolgreichstes Reforminstrument erwies sich die Visitation, sofern sie ernsthaft durchgeführt wurde und vom Landesherrn oder zuständigen Bischof Unterstützung genoss. Während in einigen Gebieten nur Klöster reformiert wurden, zielten die Anstrengungen in anderen auch auf den höheren Weltklerus. Einzig der Pfarrklerus blieb meistens ungeschoren.

Der dritte und vierte Teil haben sodann das "imaginaire" (16) der päpstlichen Reform zum Thema. Zunächst (319-477) kommen die Instrumente - insbesondere das Generalkonzil und als vorbereitende Maßnahme dazu die Partikularsynoden - sowie die Träger der päpstlichen Reform zur Sprache. Unter Letzteren hebt Birgit Studt die humanistisch gebildeten päpstlichen Sekretäre, die sich aus dem Kreise der Skriptoren und Abbreviatoren rekrutierten, sowie die nach Deutschland gesandten Legaten hervor. Erstmals werden die Befugnisse (facultates) dieser Gesandten, die als "Alter Ego" des Papstes auftraten, in ihrem Umfang vorgestellt. Anders als die Autorin erkenne ich in ihnen aber keine Spur von Reform - mit einem Rucksack voller Gnaden reisten Legaten schon lange herum. Man könnte genauso gut argumentieren, dass mit dem Legaten die päpstliche Kurie zum Kunden kam, es ihm noch leichter machte, den Gnadenschatz der Kirche zum eigenen Nutzen zu plündern. Das letzte Kapitel (478-704) ist den vier Kardinallegaten gewidmet, die im Pontifikat Martins V. das Reich besuchten: Branda da Castiglione, Giordano Orsini, Henry Beaufort und Giuliano Cesarini. Bei deren Wirken wird die unglückliche Verbindung von Kirchenreform und Hussitenkrieg ganz besonders deutlich - und mit dem englischen Kardinal leistete sich Martin V. sogar die Karikatur eines Reformers.

Die Bilanz des Colonna-Papstes ist durchzogen. Birgit Studt macht sein Interesse für die Reform zwar durchaus sichtbar. Dennoch kümmerte er sich damals um Rom und Mittelitalien viel intensiver als um die Kirchenreform im Reich. Besonders in der Konfrontation mit den Hussiten wird deutlich, wie sehr die Priesterkirche in den alten Traditionen gefangen war und wie hilflos sie insgesamt agierte: Exkommunikation, Scheiterhaufen und Kreuzzug als Abschreckungsmaßnahmen - der kirchliche Gnadenschatz, vor allem der Ablass, aber auch die Dispensgewalt als positive Anreize für Unsichere in ihrem Glauben und Strauchelnde im Leben. Aber was wiegen diese Äußerlichkeiten, wenn Laien aus innerem Drang vom Wein des Abendmahls kosten wollen und dafür bereit sind, ihr Leben zu opfern? Bei der Lektüre dieses sehr inhaltsreichen und flüssig geschriebenen Buches fragte ich mich immer wieder, was passiert wäre, wenn die Reformer auf weniger Widerstand gestoßen wären und Kirche und Gesellschaft tatsächlich nach ihren Ideen hätten umformen können. Die Arroganz, mit der einige Reformer gelegentlich auftraten, rechtmäßig eingesetzte Äbte zum Rücktritt zwangen und reformunwillige Mönche durch reformwillige ersetzten, erinnert mich an blinde Eiferer, die rücksichtslos das Bessere wollen und dabei über Leichen gehen. Wäre in diesen Fällen nicht christliche Barmherzigkeit angebracht gewesen? Hätte man dem fehlbaren Mönch nicht eine zweite Chance einräumen müssen? Konkret bedeutete eine solche Reform doch nichts anderes, als dass 'unwürdige', z. B. hochadlige Mönche nach dem St. Floriansprinzip an einem anderen Ort Unterschlupf fanden. Oder hätten sie - nach Ansicht der Reformer - fortan unter der Brücke leben sollen? Dass Reformideen auch erschreckend weltfremd sein können, habe ich an anderer Stelle schon einmal zu zeigen versucht. [1] Ist es tatsächlich Reform, wenn Gesinnungs- und Lebenswandel oktroyiert werden?

Das gehaltvolle Buch von Birgit Studt regt nicht nur zu weiterem Nachdenken an, sondern es wird in Zukunft auch als Nachschlagewerk dienen. Schade, dass es über keinen Sach- und Handschriftenindex verfügt.


Anmerkung:

[1] Andreas Meyer: Das Wiener Konkordat - eine erfolgreiche Reform des Spätmittelalters, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 66 (1986), 108-152, hier 127-134.

Andreas Meyer