Rüdiger Kinsky (Hg.): Diorthoseis. Beiträge zur Geschichte des Hellenismus und zum Nachleben Alexanders des Großen (= Beiträge zur Altertumskunde; Bd. 183), München: K. G. Saur 2004, 252 S., ISBN 978-3-598-77735-6, EUR 86,00
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Ian Worthington: Ptolemy I. King and Pharaoh of Egypt, Oxford: Oxford University Press 2016
Roger S. Bagnall: Hellenistic and Roman Egypt. Sources and Approaches, Aldershot: Ashgate 2006
Waldemar Heckel / J.C. Yardley (eds.): Alexander the Great. Historical Sources in Translation, Oxford: Blackwell Publishing 2004
Alexander der Große und die von ihm ausgehende Epoche, der Hellenismus, sind die Forschungsschwerpunkte des Bonner Althistorikers Gerhard Wirth, der im Dezember 2001 seinen 75. Geburtstag feierte. Das vorliegende Buch widmet dem Jubilar fünf Vorträge in überarbeiteter und deutlich ergänzter Form, die aus diesem Anlass in Bonn gehalten wurden.
Im ersten Beitrag "Ist Samos 'eine Messe wert'?" (9-23) untersucht Michael Zahrnt die Motive Alexanders hinsichtlich des Verbanntendekrets von 324 v. Chr. Dieser Erlass sollte fast allen Verbannten und ihren Nachkommen die Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen. Für Athen hätte dies im Hinblick auf die Insel Samos unangenehme Folgen gehabt. Die Insel war 366/65 - noch unter persischer Besatzung - von Athen erobert, aber nicht in den Seebund aufgenommen worden. Die Samier hatte man vertrieben und an ihrer Stelle tausende attischer Kleruchenfamilien angesiedelt. Eine von oben angeordnete Rückkehr der Samier hätte einen großen Flüchtlingsstrom nach Athen und andere innere Probleme bewirkt. Aber auch die anderen griechischen Bürgerschaften hätte das Dekret auseinander dividiert. Alexander zielte damit offenbar auf die innere Sicherheit, wenn nun zahlreiche heimatlose Herumirrende in ihre Poleis zurückkehrten. Die daraus resultierende Instabilität wäre Alexander gelegen gekommen - die Griechen wären zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um gemeinsam gegen ihn vorgehen zu können. In diesem Zusammenhang ist auch die Verleihung göttlicher Ehren an Alexander zu sehen. Die Griechen empfanden die Oberhoheit Alexanders und seine Einmischung in die innerstädtischen Angelegenheiten, besonders im Falle von Athen, als die eines Tyrannen. Die Erhebung Alexanders zum Gott, die zudem auch seinen Wünschen entgegenkam, stellte eine Lösung dar: "Die einzige außerstädtische Macht, der sich ein Grieche freiwillig unterwarf und gegen deren Forderungen er nicht aufbegehrte, waren die Götter" (21).
In seiner Studie "Der Epitaphios des Hyperides und das Ende einer Illusion" (24-50) unternimmt Gerhard Wirth eine ausführliche, wenn auch nicht immer leicht verständliche Neubewertung dieser auf Papyrus überlieferten Grabrede. Der Athener Redner Hyperides hatte diesen letzten Epitaphios der klassischen athenischen Demokratie gegen Ende des Winters des Jahres 323/22 v. Chr. zu Ehren der im Lamischen Krieg gefallenen Athener und ihres Heerführer Leosthenes gehalten. Die Ursache dieses Krieges hatte u. a. in der Hoffnung gelegen, nach dem Tode Alexanders die makedonische Vorherrschaft in Griechenland abzuschütteln. Der Aufstand gegen Antipatros endete jedoch in einer Katastrophe. Wirth beginnt mit einer Einführung in die historischen Hintergründe, bevor er sich einer genauen sprachlichen Analyse der Rede zuwendet, die in vielen Details von dem üblichen Schema solcher Epitaphioi abweicht. So entwirft der Redner u. a. die Vorstellung, dass der Anführer der Gefallenen, Leosthenes, im Hades von den Helden der Vergangenheit begrüßt wird. Interessant ist dabei sein Vergleich des Leosthenes mit Miltiades und Themisthokles, den führenden Athenern im Kampf gegen die Perser (= Barbaren). Die neuen Feinde, gegen die Leosthenes gefallen ist, sind nun die Makedonen. Allerdings macht Hypereides in seinen Ausführungen wenig Hoffnung für die weiteren Geschicke Athens, indem er mögliche Zukunftsperspektiven nicht anspricht.
Dem folgt ein sehr interessanter Aufsatz von Vasile Lica zur Alexanderrezeption in Rumänien (51-72). Sie erfolgte auf der Basis des Alexanderromans, dessen rumänische Fassung sich wohl im 16. Jahrhundert aus einer serbokroatischen Version entwickelt hat. Die "Alexandria" hatte eine große Breitenwirkung, indem sie bei einigen rumänischen Herrschern eine Identifikation mit dem makedonischen Eroberer bewirkte, aber auch zu einer Quelle kulturellen Wissens wurde; gab es doch in dieser Region lange kein organisiertes Schulsystem.
Dem Würzburger Sosylos-Papyrus gilt die kritische Untersuchung von Guido Schepens (73-107). Bei diesem Text handelt es sich um das bislang einzige Fragment des lakedaimonischen Historikers Sosylos (FGrH 176), der Hannibal begleitete und auch eine "Hannibal-Geschichte" in sieben Büchern verfasste. Über sein Wirken sind wir nur durch drei Testimonien bei Polybios, Diodor und Cornelius Nepos unterrichtet. Der Papyrus berichtet von einem Sieg, den die Massalioten in einer Seeschlacht gegen die Karthager im Jahre 490 vor Kap Artemision an der iberischen Küste errungen haben sollen. In der Vergangenheit hatte Massimo Pallotino aufgrund dieses Textes eine Schlacht am iberischen Kap Artemision als eine historische Tatsache angesehen und die Gleichzeitigkeit mit der Schlacht bei Marathon betont. Schepens liefert einen neuen Kommentar des Papyrus-Textes und stellt dabei fest, dass es sich dabei mehr um ein historiografisches als um ein historisches Problem handelt. So ging es dem Historiker darum, "die massaliotische Superiorität in der langen und glorreichen Tradition griechischer Kriegskunst zur See zu 'verorten'". Sosylos wollte bei der Berufung auf eine legendäre Begebenheit nicht die Auseinandersetzung von Massalioten und Karthagern einige Jahrhunderte zuvor betonen, sondern die "drängende Frage, ob die gesamtgriechische Welt, im Bund mit Karthago, noch imstande war, den Römern auf ihrem Weg zur Weltherrschaft Einhalt zu gebieten" (107).
Die Studie "Caesar und der Hellenismus" (108-252) des Wiener Althistorikers Gerhard Dobesch beschließt diesen Band und ist auch zugleich der längste Beitrag. In diesem Rahmen wird drei Fragestellungen nachgegangen: 1.) Caesars "persönliche Interessen; wie stand er geistig zu Hellenen und Hellenismus? 2.) Wie agierte er politisch gegenüber der realen hellenistischen Staatenwelt seiner Zeit, und welche Rolle dachte er geistig wie territorial, dem Hellenismus in seinem Weltreich zu? 3.) Welche Kulturpolitik betrieb er [...]?" (110). Nach einer Einführung in die Forschungsdebatte skizziert der Verfasser die literarische Auseinandersetzung des älteren Roms mit dem Hellenismus von den Anfängen bei Livius Andronicus im dritten Jahrhundert v. Chr. bis zum Aufkommen der älteren Annalistik bei Cato dem Älteren und Ennius. Dabei wird ebenso die Rolle des L. Aemilius Paulus, der nach dem Sieg bei Pydna 168 v. Chr. die Bibliothek der makedonischen Könige nach Rom brachte, als auch die berühmte Philosophengesandtschaft des Jahres 155 v. Chr. thematisiert. Nach einer Zusammenfassung der kulturellen Situation Roms am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. wendet sich Dobesch den letzten Jahrzehnten der Republik sowie in einem Ausblick dem augusteischen Zeitalter zu. Anders als in den früheren Epochen brauchten die Autoren dieser Zeit den Vergleich mit den Hellenen nicht mehr zu scheuen. Im Folgenden werden die Motive Caesars im Einzelnen untersucht. Dabei werden seine Umgebung und Bildung sowie sein eigenes literarisches Schaffen ebenso beleuchtet wie seine politischen Maßnahmen im Umgang mit den hellenistischen Ländern und Reichen. Das Augenmerk Caesars galt auch einer Wiederherstellung des Hellenismus im Osten, der nach dem Ende des Seleukidenreiches in zwei Hälften zerfallen war: in das Reich von Mithridates VI. im Westen und in das Partherreich der Arsakiden. Demnach beabsichtigte Caesar, den Hellenismus zu einer der Stützen seines Reiches zu machen, jedoch nicht zulasten seines entschiedenen Römertums. Dobeschs Ausführungen hätten eine eigene Monografie gerechtfertigt; sind sie doch auch eine sehr hilfreiche und leicht verständliche, jedoch auch anregende und bei Weitem nicht zu konventionelle Einführung in die frühe römische Geistesgeschichte.
Insgesamt zeichnet diesen Sammelband eine gewisse Asymmetrie aus, was die Wahl der Themen sowie den Umfang der einzelnen Aufsätze angeht. Das Fehlen jeglicher Indizes zählt zu den nennenswerten Defiziten dieses ansonsten sehr handlichen Buches. Außerdem wäre für die sehr detailliert untergliederte Studie von Dobesch ein präziseres Inhaltsverzeichnis hilfreich gewesen.
Peter Nadig