Lutz Hachmeister / Michael Kloft (Hgg.): Das Goebbels-Experiment. Propaganda und Politik, München: DVA 2005, 256 S., ISBN 978-3-421-05879-9, EUR 29,90
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Im Frühjahr 2005 haben der Filmemacher und Kommunikationswissenschaftler Lutz Hachmeister und der Spiegel-Journalist Michael Kloft einen vielbeachteten Dokumentarfilm über Joseph Goebbels in die Kinos gebracht und im allgemeinen NS-Medienhype einen eigenen Akzent gesetzt. Filmmaterial und vorgelesene Auszüge aus den Goebbel'schen Tagebüchern wurden weitgehend kommentarlos zusammengeschnitten. Bilder und Worte von Goebbels sollten für sich selbst sprechen, ohne jede Führung des Zuschauers. Damit rückte Goebbels dem Publikum nah auf den Leib, wodurch eine Intimität entstand, die Effekte freisetzte, die zwischen Grusel und Empathie schwankten.
Das Buch zum Film besteht aus zwei Teilen. Der 124 Seiten umfassende Bildteil nimmt den ästhetischen Ansatz des Filmes auf. Die in der Tat viel sagenden, gut ausgesuchten Bilder werden neben Tagebucheintragungen gestellt, die sich auf dasselbe Ereignis oder Thema beziehen. Kurze Texte Klofts kontextualisieren die Bilder. Diese ergiebige Quelle lässt die vielen Gesichter des "kleinen Doktors", seinen Habitus und Stil sichtbar werden. Beim Bezug des neuen Büros wechselt sein Gesichtsausdruck sekundenschnell von strahlendem Lächeln zu finsterem Ernst. Einstudierte Posen und unfreiwillige Enthüllungen, etwa der kalte, fortschauende Blick beim gemeinsamen Auftritt mit seiner Frau, reihen sich aneinander. Die Bilder und die Tagebücher sind eine starke Quelle, die dem Betrachter aber einiges abfordern. Deutlich wird, wie eng Persönlichkeit und Ideologie, Psyche und politisches Handeln zusammenhängen. Die Tagebuchauszüge sind allerdings in ihrer schlaglichtartigen Knappheit kein Ersatz für die Lektüre der von Elke Fröhlich herausgegebenen Edition. [1] Die Gefahr der Verknüpfung von Bildern und Textfragmenten besteht in der irreführenden Suggestion, nun alles über Goebbels zu wissen.
Den Bildern vorangestellt ist ein Textteil, der 121 Seiten umfasst und verschiedene Autoren, darunter ein Historiker, zu Wort kommen lässt. Hachmeister bekennt sich kurz zu seiner Methode, der "selbstenthüllenden Kraft" von Bildern und Texten zu vertrauen. Mit den in der Geschichtswissenschaft zum Standard gehörenden quellenkritischen und erkenntnistheoretischen Überlegungen hält er sich nicht auf. Es folgt ein knapper Abriss der Biografie und des historischen Kontextes einschließlich instruktiver medien- und propagandageschichtlicher Details.
Christian Härtel analysiert die journalistisch-schriftstellerische Arbeit von Goebbels, die zunächst von Misserfolgen gezeichnet war. Erst 1925, durch die Arbeit für die Nationalsozialistischen Briefe, begann sein beruflicher Aufstieg. Die geschickte Markteinführung des Kampfblattes Angriff eröffnete die Kampagne zur Eroberung des "roten Berlins". Nach 1933 verstand es Goebbels, sich durch zahlreiche Publikationen ein üppiges Nebeneinkommen zu verschaffen. Ferner stellt Härtel das Konzept der Goebbel'schen Propaganda dar, das die spezifische Modernität des Nationalsozialismus verkörpere.
Stefan Krings analysiert die zweite Führungsebene des Propagandaministeriums, das von 350 auf 1.500 Mitarbeiter anwuchs. Es bot jungen Akademikern hervorragende Chancen für Blitzkarrieren. Aufgrund ihres niedrigen Alters setzten einige von ihnen auch nach 1945 ihre Berufslaufbahn an exponierter Stelle fort. Allerdings bleibt die Analyse der Personalstruktur des Ministeriums unscharf. So wird die eingängige These Michael Wildts von der "Generation des Unbedingten" herangezogen, während die Daten die Grenzen dieses Ansatzes aufzeigen. Weder kam das Propagandaministerium ohne erfahrene ältere Bürokraten aus, noch schuf die Generationserfahrung der Kriegsjugend ein gemeinsames biografisches Profil. Zu unterschiedlich waren die sozialen und beruflichen Hintergründe der Propagandakarrieristen.
Thymian Bussemer fasst die bekannten Grundsätze der Goebbel'schen Medien- und Propagandapolitik zusammen: Zynismus und Opportunismus, ständiger Aktionismus, Gleichschaltung der Medien und Primat der Unterhaltung. Während das Propagandaverständnis Hitlers von der völkischen Bewegung Wiens, der britischen Kriegspropaganda und der Massenpsychologie geprägt worden sei, habe Goebbels die Arbeiterbewegung der 1920er-Jahre vor Augen gehabt und mit einer "umfassenden Theorie sozialer Kontrolle" (50) operiert. Gern hätte man hier Details und Quellenbelege gesehen. Wenig später widerspricht sich Bussemer, wenn er behauptet, Goebbels habe "keine kohärente Theorie propagandistischen Handelns" (51) besessen. Gerade deshalb sei er so effizient gewesen. Warum dann die Propaganda während des Krieges eher zur Desorientierung als zur Lenkung der Bevölkerung führte und seine Reden vom Volksmund zunehmend als "Humpelstilzchens Märchenstunde" verulkt wurden bleibt offen. Eine gravierende Fehleinschätzung, die nicht gerade von einer intensiven Lektüre der Tagebücher zeugt, unterläuft Bussemer, wenn er schreibt: "Auch sein Antisemitismus kam nicht von innen, sondern war aus taktischen Gründen angelernt" (51).
Uwe Klußmann beschreibt das agitatorische Wirken vor 1933, bei dem der völkische Sozialismus trotz des Umschwenkens von Strasser zu Hitler weiterhin dominierte. Der Aufbau der NSDAP in Berlin verbot jeden anderen Ansatz. Die "Eroberung" der Hauptstadt vollzog sich sowohl durch die blutige Konfrontation mit der KPD als auch durch demonstrative Nähe zu ihr, die 1932 im BVG-Streik kulminierte. Es kam Goebbels dabei zu Gute, dass er die Sprache und die Symbolik der Linken kannte.
Michael Wildt befasst sich mit zeitgenössischen Urteilen über Goebbels vor 1933. Der Behinderte wurde diabolisiert und verspottet. Auch das am ehesten zutreffende Verdikt, er sei ein gerissener "Markentechniker" und "ein amerikanisches Reklamegenie", wurde ihm in denunziatorischer Absicht entgegengeschleudert, nicht aber als seriöse Analyse verstanden. Die Tatsache, dass Politik längst zur Medienpolitik geworden war, hatten die staatstragenden Parteien weitgehend übersehen. In der Werbewirtschaft, deren Perspektive Wildt ausspart, erntete Goebbels großes Lob.
Es folgt ein irritierender Beitrag von Claus-Ekkehard Bärsch. Ihm geht es um das Sexualleben von Goebbels und die Entschlüsselung seiner "narzisstisch gestörten Persönlichkeit", die von Christussehnsucht und Judenhass, Genie- und Omnipotenzfantasien, Minderwertigkeitskomplexen und einer gestörten Mutter-Sohn-Beziehung charakterisiert gewesen sei. Dabei ordnet er Tagesbuchzitate dem Kapitel Freuds über "Verliebtheit und Ich-Analyse" und dem entwicklungspsychologischen Modell Mahlers zu. Diagnose: Störungen in der "Loslösungs- und Individuationsphase" sowie der "Wiederannäherungsphase" gegenüber der Mutter.
Damit scheinen alle Leiden des Patienten erklärt, sein Antisemitismus und Fanatismus, seine Selbststilisierung und die bedingungslose Treue gegenüber Hitler. Schließlich zeichnete Goebbels eine "multivaginale Obsession" aus, denn er habe unter dem Zwang gestanden, mit möglichst vielen Frauen zu schlafen. Bärsch gleitet vollends ins schwülstig Nebulöse ab, wenn er die von einer "schönen Gestalt ausgehenden Macht" anführt und ein gewisses Verständnis für Goebbels' Rückkehr "zum romantischen Orgasmus angesichts der versteinerten Zwänge im Gehäuse seiner verwalteten Welt" artikuliert. "Im Übrigen ist Gott Eros dunkel und macht blind." (90). So wird Goebbels fast zum Opfer finsterer Mächte. Im Schlussabsatz findet alle Mythologie und Psychospekulation überraschend ihr Ende, als Goebbels zum Repräsentanten jener jungen Deutschen zurückgestutzt wird, die "gegen die Ordnung der Gesellschaft" revoltiert haben, was den Propagandaminister auch in die Nähe der "Achtundsechziger-Generation" (98) rücke.
Das Werk besitzt seinen größten Wert als Quellenband. Die Bilder sind hervorragend zusammengestellt und belegen das Verhältnis von Psyche, Individuum und Politik. Eine genauere Interpretation bleibt der Band jedoch schuldig. Der Leser bleibt auf sich selbst gestellt. Die Texte sind in dieser Hinsicht enttäuschend, denn sie verstehen sich vor allem als Hintergrundinformation, nicht als Auswertung der Quellen. Die Bilder stehen im Vordergrund. Zudem leidet der Textteil an zahlreichen Überschneidungen der Beiträge. Leider befinden sie sich nicht immer auf der Höhe der Forschung und klammern Teile der Biografie aus. Ein wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt ist daher kaum erkennbar. Auch den Laien dürfte am Ende ein zwiespältiges Gefühl beschleichen.
Anmerkung:
[1] Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Hrsg. von Elke Fröhlich im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und in Verbindung mit dem Bundesarchiv, München 1987. Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Hrsg. von Elke Fröhlich im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Russlands, München 1993 ff.
Hartmut Berghoff