Gertrude Cepl-Kaufmann / Hella-Sabrina Lange: Kultur und bürgerlicher Lebensstil im 19. Jahrhundert. Die Zuccalmaglios, Grevenbroich: Bücherstube Eva Krause 2004, 330 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-937302-02-7, EUR 20,00
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Das weit verbreitete und viel gesungene Lied "Kein schöner Land in dieser Zeit" stammt von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio (1803-1869). Ihm und seinem Bruder Vinzenz von Zuccalmaglio (1806-1876) war die 2004/2005 in Grevenbroich und in Bergisch Gladbach gezeigte Ausstellung gewidmet. Bei dieser Ausstellung und dem sie begleitenden, hier angezeigten Katalog handelt es sich um ein Projekt der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Stadt Grevenbroich in Kooperation mit der Stadt Bergisch Gladbach.
Auch wenn die Namen der Brüder Zuccalmaglio, die für sich unter anderem die Pseudonyme Wilhelm von Waldbrühl bzw. Montanus verwandten, heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind, so haben sie doch als Dichter, Liedersammler, Sagenforscher und Herausgeber dank ihrer vielfältigen Beziehungen zu zahlreichen bedeutenden Zeitgenossen im kulturellen Deutschland um 1850 eine wichtige Rolle gespielt. Große Breitenwirkung erzielten die Brüder ferner durch ihre Stellungnahmen zur Revolution von 1848/49 und zum Kulturkampf. Hier war es vor allem Vinzenz von Zuccalmaglio, der sich in der sehr hart geführten Auseinandersetzung mit dem Ultramontanismus verstärkt des Mediums Zeitung bediente. Aber auch die von den Brüdern gegründeten oder mitgegründeten Vereine wurden von ihnen zumindest zeitweise als Multiplikatoren ihrer Ideen genutzt.
In den Archiven und Museen der Orte im Rheinland (u. a. Leverkusen-Schlebusch, Köln, Düsseldorf, Bergisch Gladbach, Hückeswagen und Grevenbroich), in denen die beiden Brüder gelebt haben, ist erstaunlich viel Material über deren Wirken gesammelt worden. Nach Ansicht der Herausgeberin Gertrude Cepl-Kaufmann, die zu diesem Sammelband "Marginalien zur Bedeutung der Brüder Zuccalmaglio für die Kulturwissenschaften" beisteuert, eignen sich diese Quellen, die bisher, wenn überhaupt, vorwiegend unter lokalhistorischen Aspekten aufgearbeitet worden sind, durchaus dazu, deutlich zu machen, "wie die regionale Erinnerung mit der nationalen Kontextualisierung verknüpft ist und sich in epochenspezifischen Strukturen niederschlägt" (27).
Sicherlich erfüllen nicht alle 27 Aufsätze, die auf die drei einleitenden, das Projekt in den Kontext der Kulturwissenschaften einordnenden Beiträge folgen, diesen hohen theoretischen Anspruch. Einige der ausgewählten Themen sind hierfür wohl auch nicht komplex genug. Das bedeutet nicht, dass etwa die gut recherchierten und neues Material ausbreitenden Beiträge über Vinzenz von Zuccalmaglio als Pomologe oder einzelne Vereine in Grevenbroich und Elsen-Fürth zur Abrundung des Gesamtbildes nicht hierher gehören, zumal der Sammelband auch allgemeine Überblicksdarstellungen zu den meisten Themen enthält.
Die Autorinnen und Autoren, vielfach ausgewiesen durch zahlreiche Zuccalmaglio-Publikationen, ordnen unter starker Einbeziehung der Quellen die Brüder in den politischen Kontext ihrer Zeit ein, untersuchen die Spannungen zwischen universalem Weltbild und privater Idylle und behandeln schließlich das Wirken der Brüder auf den Feldern der Literatur, der Musik und der Kunst sowie das Kultur- und insbesondere Vereinsleben in den Kleinstädten Bergisch Gladbach, Grevenbroich und Elsen-Fürth um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Besonderes Interesse beanspruchen dabei die Sammeltätigkeiten und die aus der Beschäftigung mit der Vergangenheit erwachsenen Aktivitäten u. a. zur Erhaltung des Kölner Domes und der Altenberger Abteikirche.
Viele Beiträge machen deutlich, dass die Zuccalmaglios mehr denn je durch ihre Komplexität und Vielseitigkeit unser Interesse mit guten Gründen beanspruchen. Daran ändert auch nichts, dass wir heute den unbefangenen Umgang der Volkslieder- und Sagensammler mit ihren Informanten und Quellen und ihre stellenweise an Fälschungen heranreichenden Editionen kritisch beurteilen, wie die Beiträge von Hella-Sabrina Lange, "Dem 'Reiz der Weisen' erlegen. Sammelleidenschaft und spätromantische Sympoesie", und Karl Emsbach, "Vinzenz von Zuccalmaglio als Volksgutsammler. Quellenkritische Anmerkungen zu seinen Sagen und Geschichten zwischen Rhein und Erft", dokumentieren. Eben auch im Hinblick auf ihre Sammeltätigkeit erweisen sich die Brüder durchaus als Kinder ihrer Zeit.
Den Sammelband beschließen eine Zeittafel, ein Zuccalmaglio-Alphabet und ein von Lothar Saßenrath erarbeitetes Verzeichnis der von den Brüdern veröffentlichten selbstständigen Schriften, das mit den posthum erschienenen Publikationen über 120 Nummern umfasst. Eine Bibliografie der oft in entlegenen lokalen und regionalen Periodika veröffentlichten Beiträge über die Brüder Zuccalmaglio wäre - auch wenn viele Titel in den Anmerkungen der Aufsätze genannt sind - wünschenswert gewesen. Diese Kärrnerarbeit hätte allerdings den Rahmen dieses gut bebilderten Katalogbandes gesprengt, der überzeugend belegt, dass der hier angewandte interdisziplinäre Ansatz beachtliche Ergebnisse auch im Hinblick auf die Fragen nach der Bedeutung von Region und Regionalität sowie der kulturellen Identität gebracht hat.
Uwe Eckardt