Ruth Müller-Lindenberg: Wilhelmine von Bayreuth. Die Hofoper als Bühne des Lebens (= Europäische Komponistinnen; Bd. 2), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, XI + 225 S., ISBN 978-3-412-11604-0, EUR 24,90
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Aufmerksamkeit von Seiten der historischen Forschung hat die preußische Prinzessin Wilhelmine (1709-1758) bislang überwiegend als Tochter König Friedrich Wilhelms I., als Schwester Friedrichs II. und als Markgräfin von Bayreuth erfahren. Hingegen stand eine eingehende Würdigung und kritische Betrachtung Wilhelmines in ihrer Eigenschaft als Musikerin und Künstlerin bislang aus. Die vorliegende Monografie vermag mit ihrer Einführung und ausführlichen Vorstellung des musikalisch-librettistischen Werkes Wilhelmines dem Bild von der Markgräfin einen wichtigen Mosaikstein hinzuzufügen.
Der Untersuchung von Wilhelmines künstlerischem Schaffen und dessen Rahmenbedingungen, die sie am fränkischen Hof von Bayreuth antraf bzw. erst noch schaffen musste, geht ein biografischer Teil voraus. Dieser bietet einen Überblick über die verschiedenen Rollen Wilhelmines und die wichtigsten Stationen ihres Lebens, wie er im Wesentlichen schon den bisherigen Veröffentlichungen und ihren eigenen Memoiren entnommen werden kann: Als Königstochter erlebte Wilhelmine das Geschachere der Eltern um ihre und ihres Bruders Friedrich Hochzeit, das in ihrem Fall schließlich in einer Verheiratung mit dem Erbprinzen Friedrich von Bayreuth endete. Wilhelmine, die als Kind und Heranwachsende das Verhältnis Friedrich Wilhelms I. und seiner Gemahlin zueinander und ihr selbst gegenüber als äußerst schwierig erfahren hatte, fand in der eigenen Ehe zunächst Zuneigung und Glück. Dieses zerfiel, als ihr Mann sich - nicht unüblich für seinen Stand und die Zeit - eine Mätresse nahm. Ihre Rolle als Markgräfin hat die preußische Prinzessin hingegen von Anfang an als Minderung des eigenen sozialen Status erlebt. Als Künstlerin und Mäzenatin schuf sie sich eine Welt, die sie einerseits über ihren als provinziell empfundenen Bayreuther Alltag hinaus enthob, in die sie andererseits all ihre Zurücksetzungen und Enttäuschungen hineinlegen und auf diese Weise sublimieren konnte.
Der biografischen Lücken und Ungewissheiten, die sich aus der Qualität und Quantität der zeitgenössischen Quellen zwangsläufig ergeben, ist sich Ruth Müller-Lindenberg bewusst. In einem der Lebensbeschreibung Wilhelmines vorangestellten Kapitel weist sie eigens auf die wohl bekannten methodischen und erkenntnistheoretischen Besonderheiten und Grenzen der historischen Forschung hin. Dies hindert die Autorin allerdings nicht, immer wieder Vermutungen und psychoanalytische Diagnosen dort einzuflechten, wo ihr die Quellen den wahren Zustand Wilhelmines nicht deutlich genug zu reflektieren scheinen. Rechtfertigung erfährt diese Vorgehensweise in einem nicht unproblematischen, weil Spekulationen legitimierenden "Plädoyer für das Vielleicht" (1-5). Insgesamt fällt die vorliegende Lebensbeschreibung Wilhelmines dort hinter den Stand der Forschung zurück bzw. verbleibt im Vagen, wo es um die genauen politischen, soziologischen und mentalitätsgeschichtlichen Hintergründe und Bedingungen geht. Begriffe wie "Repräsentation", "Ritual" (79), "Aufklärung" und "Absolutismus" (passim) werden pauschal und simplifizierend gebraucht, erfahren weder eine Definition noch Problematisierung. Ansätze wie die Habitus-Konzeption nach Pierre Bourdieu, die in jüngerer Zeit gerade der frühneuzeitlichen Adelsforschung neue Perspektiven und Erkenntnismöglichkeiten eröffnet hat, finden keinen Niederschlag.
Der Wert der vorliegenden Monografie verdankt sich vor allem der Präsentation und Einführung in das musikalische Vermächtnis der Wilhelmine von Bayreuth, die den zweiten Teil und Schwerpunkt der Untersuchung ausmachen. Laut Müller-Lindenberg habe die Kunst und vor allem die Musik in Wilhelmines Leben stets eine Art kompensatorischen bzw. eskapistischen Charakter besessen. Musik habe sie vornehmlich als "Zeitvertreib [betrieben], dessen sie als Fürstin eines langweiligen Ländchens dringend bedurfte" (67) - und der nebenbei auch repräsentative Zwecke erfüllte. Um dieser herkömmlich-simplifizierenden Sichtweise einen weiteren Aspekt hinzuzufügen, wäre ein Blick auf das adlige Selbstverständnis und die soziokulturelle Bedeutung der Beschäftigung des Adels mit den Künsten, der Musik und der Bühne im 18. Jahrhundert interessant gewesen.
Jedoch bietet die Autorin genauere Einblicke in die personelle Zusammensetzung, die Qualität und das Repertoire des Bayreuther Hoftheaters. Sie beschreibt, wie die Korrespondenz und der persönliche Umgang Wilhelmines mit König Friedrich II., in denen die Künste und vornehmlich die Musik einen hohen Stellenwert einnahmen, sich auf die Gestaltung des Bayreuther Musiklebens auswirkte. Neben einer Einordnung der eigenen Kompositionen Wilhelmines in den Kontext der zeitgenössischen Musik bietet die Lektüre eine ausführliche Vorstellung und Interpretation der einzelnen Werke der Markgräfin mit Notenbeispielen, dramaturgischen Skizzen im Quellenanhang und einem Werkverzeichnis. Namentlich der einzig nachweisbaren Oper aus Wilhelmines Hand, "Argenore", kommt ein Großteil der Aufmerksamkeit zu. Diese sei zwar eine "Komposition im Zeitstil" (136), wie sich auch sonst Wilhelmines musikalisches Schaffen nur selten durch Originalität hervorhebe. Aber es sei nicht zuletzt der Raum, den Wilhelmines Oper außerordentlichen Gesangskünsten zur Verfügung gestellt habe, durch den sie ausgezeichnet werde. Darüber hinaus werden weitere musikalische Stücke vorgestellt, die im Hinblick auf eine Aufführung auf der Bayreuther Bühne die persönlichen Eingriffe der Markgräfin in Wort und Musik widerspiegeln. Toposartig tauchten dabei immer wieder "ambivalente Herrscherfiguren und Familiengeschichten mit unerwarteten Wendungen" (169) auf und verliehen den Stücken inhaltlichen Zusammenhang. Bei der Beschäftigung mit Wilhelmines Musik wendet Müller-Lindenberg ihre Aufmerksamkeit immer wieder der Frage zu, inwiefern sie Spuren seelischer Nöte und tief sitzender Depressionen der Markgräfin offenbart. Eine mehr oder minder deutlich artikulierte Todessehnsucht und der Niederschlag schwieriger familiärer Verhältnisse zeichne die Werke Wilhelmines aus.
Wilhelmines Existenz sei - so das Vorwort der Reihenherausgeberinnen - von einem "Leiden am Frausein" (XI) durchzogen gewesen. Jede Erfahrung von Einschränkung und Verfügbarkeit wird von der Autorin mit einem gewissen monokausalen Automatismus und nicht ohne Opferpathos dem asymmetrischen Geschlechterverhältnis angelastet. Die Annahme einer inferioren "Geschlechtsidentität" (9) der frühneuzeitlichen Frau wird absolut gesetzt, worin nichts anderes als eine Reduktion der weitaus komplexeren zeitgenössischen Lebens- und Erfahrungswelt liegt. Unverkennbar findet die Annäherung an Wilhelmine unter Rückgriff auf Bewertungsmaßstäbe statt, die dem emanzipatorischen Gedankengut des späten 19. und des 20. Jahrhunderts verpflichtet sind. Und genau hierin liegt ein Anachronismus, eine Diskrepanz, die wohl genauere methodische Reflexion verdient hätte. Geschichtswissenschaftlich nicht unproblematisch und doch bezeichnend für die Herangehensweise der Autorin ist die Aussage, wonach wir einen Menschen erst dann "wirklich verstehen", "wenn wir eigene Erfahrungen in ihm spiegeln können" (1). Es stellt sich die Frage, ob ein betont persönlich-empathischer Zugang der Biografin zur historischen Persönlichkeit den Blick auf Letztere nicht eher verschleiert - eben weil er mehr von der Autorin selbst als von Wilhelmine preisgibt.
Karoline Zielosko