Volker Heenes: Antike in Bildern. Illustrationen in antiquarischen Werken des 16. und 17. Jahrhunderts (= Stendaler Winckelmann-Forschungen; Bd. 1), Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2003, 216 S., 159 Abb., ISBN 978-3-910060-55-5, EUR 19,50
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Henning Wrede: Die 'Monumentalisierung' der Antike um 1700 (= Stendaler Winckelmann-Forschungen; Bd. 3), Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2004, 64 S., 78 Abb., ISBN 978-3-910060-58-6, EUR 24,00
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Als Startpunkt für die Geschichte der eigenen Disziplin gilt der Klassischen Archäologie in der Regel das Schaffen Johann Joachim Winckelmanns (1717-1768). Die Rückgewinnung der Antike seit der Renaissance habe zunächst (im 15. und 16. Jahrhundert) künstlerische und später (im 17. Jahrhundert) antiquarische Züge getragen. Erst durch Winckelmann sei es dann zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Antike gekommen - so die gängige Auffassung.
Daher verwundert es kaum, dass Untersuchungen zur Fachgeschichte die Zeit vor der Mitte des 18. Jahrhunderts meist ausblendeten oder allenfalls kursorisch streiften. Eine Ausnahme stellte nur die Systematik und Geschichte der Archäologie der Kunst von Karl Bernhard Stark von 1880 dar, welcher aber eine breitere fachwissenschaftliche Annerkennung versagt blieb. Und so war man seitens der Klassischen Archäologie bislang allzu gerne bereit, die Erforschung der Periode vor Winckelmann anderen Disziplinen - vor allem der Kunstgeschichte - zu überlassen.
Dass sich dies nun geändert hat, verdankt die Archäologische Forschung dem Gespann Henning Wrede und Volker Heenes. Diese haben mit ihren beiden hier anzuzeigenden und ausgerechnet in der neuen Reihe der Stendaler Winckelmann-Forschungen erschienenen Monografien erste wichtige Beiträge zur Schließung einer Forschungslücke seitens der Klassischen Archäologie geleistet. Die nicht nur inhaltlich, sondern auch chronologisch aufeinander aufbauenden Arbeiten vermitteln einen Überblick über den Umgang mit der wieder entdeckten Antike vom frühen 16. Jahrhundert bis in die 1720er-Jahre. Dass beide Arbeiten gut aufeinander abgestimmt sind, verwundert nicht weiter. Schließlich handelt es sich bei der Studie von Heenes um dessen Dissertation, die von Wrede betreut und begutachtet wurde.
Heenes Arbeit gliedert sich thematisch in zwei große Blöcke: der eine erschließt die antiken Monumente nach Gattungen getrennt, der andere beschäftigt sich mit den antiquitates, welche als Forschungsrichtung auf Texte und Inschriften fokussiert sind. Die Forschungsrichtungen, die Heenes zunächst analysiert, sind Numismatik, Glyptik, Topografie Roms, der er sich allerdings auf Grund der Stofffülle in zwei Kapiteln annimmt, wovon das eine ausschließlich den Veduten gewidmet ist, Studien zu Statuen und Portraits sowie Werke zu Reliefs. Es folgt ein Kapitel zur Erforschung der antiquitates in den antiquarischen Werken, in dem besonders die Erforschung der antiken Zivilisationsgeschichte und Sachkultur behandelt wird. In einem sehr knappen Kapitel geht Heenes anschließend auf die Entwicklung der Illustrationen in antiquarischen Werken ein, bevor er mit einer ausführlichen und aussagekräftigen Zusammenfassung endet.
Zu den Münzen bemerkt Heenes, dass sie das Bindeglied zwischen Texten und Darstellungen bilden. Auf Grund ihrer Beschriftungen waren sie das entscheidende Hilfsmittel, mit dem die Antiquare Szenen deuten konnten, die sie zum Beispiel aus Reliefs kannten. Auch das im 17. Jahrhundert verstärkt aufkommende Interesse für römische Sitten und Gebräuche einschließlich des damit einhergehenden Aufblühens der Objektikonografie wäre ohne die Numismatik nicht zu befriedigen gewesen. Ein interessanter Aspekt, auf den Heenes ferner aufmerksam macht, ist die seit dem Aufkommen des nuancenreichen Kupferstiches übliche Darstellung von antiken Münzen ohne Gebrauchsspuren und mit maßstäblicher Veränderung, um das Prestige des Besitzers der Münze zu erhöhen. Dies ging so weit, dass Abbildungen, welche eine realistische Darstellung wählten - wie jene von Wolfgang Lazius (1514-1565) angefertigten - sich dem zeitgenössischen Vorwurf ausgesetzt sahen, sie schmälerten den Ruhm des Besitzers der Münzen (Heenes, 34).
Im Abschnitt zu den Gemmen zeigt Heenes, dass diesen im 16. und frühen 17. Jahrhundert von den Antiquaren, wohl auf Grund der in der Regel fehlenden Beschriftung, kein besonders hoher historischer Aussagewert beigemessen wurde (Heenes, 41). Dies änderte sich erst im Verlauf des 17. Jahrhunderts, als man deren scheinbare Singularität entdeckte. Doch auch dann blieb die Qualität der Studien gering, weil es zu zahlreichen Missdeutungen und Lesefehlern kam. Erst in den 1720er-Jahren wurden echte Fortschritte in der wissenschaftlichen Erforschung der Gemmen gemacht (Heenes, 48 f.).
Die Forschungen zur Topografie Roms stehen am Anfang der antiquarischen Forschungen. Sie waren nach Heenes aber zumindest hinsichtlich der Veröffentlichungen noch bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts ausschließlich auf die antiken Textquellen ausgerichtet. Erst rund 100 Jahre nach der Verwissenschaftlichung der Numismatik gelang es hier, andere Denkmälergattungen in die Überlegungen einzubeziehen. Von Interesse ist hierbei, dass sich diesbezüglich vor allem Außenseiter (Landvermesser, Künstler) verdient machten. Bezüglich der Rom-Veduten bemerkt Heenes, dass diese "bedeutende Zeugnisse für den Stand der damaligen topographischen Forschungen [waren], denn die Künstler haben in der Regel kaum eigene Forschungen angestellt, [...], sondern sie übernahmen in ihren Bildunterschriften die Erkenntnisse aus den Werken der Antiquare, so auch deren Fehler." (Heenes, 88).
Die antiken Statuen und Portraits konnten durch die Fortschritte in der Numismatik im 16. Jahrhundert zum ersten Mal in Teilen zutreffend angesprochen werden. Dies galt allerdings nur für solche Skulpturen, die sich anhand abgebildeter Attribute identifizieren ließen. Auch die Zuweisung einer Skulptur zu einem bestimmten Künstler blieb problematisch und war oft willkürlich. Heenes weist nachdrücklich darauf hin, dass die von Winckelmann später zum zentralen methodischen Prinzip erhobene Stilanalyse "als Kriterium der Künstlerzuschreibung und Datierung noch nicht erkannt war" (Heenes, 119).
Die Interpretationen von Reliefs durch die Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts gingen deutlich über den Forschungsstand zu den Skulpturen hinaus. Zwar dienten die Reliefs in erster Linie der Ergänzung schriftlicher Quellen, doch wurde ihnen zum einen der gleiche Rang wie den schriftlichen Quellen eingeräumt, zum anderen dienten sie - wenngleich in geringem Maße als die Münzen - auch der Korrektur schriftlicher Überlieferung (Heenes, 150). Problematisch für die Interpretation der Reliefs in dieser Zeit ist außerdem, dass der Reliefträger aus den Untersuchungen gänzlich ausgeblendet wurde. Einzig die Darstellung an sich wurde bearbeitet. Hierbei ist aber eine große Sorgfalt auffällig: die Wiedergabe war stets sehr genau, "denn jede Kleinigkeit auf den Reliefs diente den antiquarischen Forschungen zur antiken Sachkultur als Beleg." (Heenes, 151).
Hinsichtlich der antiquitates zeigt Heenes, dass die ersten Publikationen zur antiken Sachkultur im 16. Jahrhundert ausschließlich textorientiert waren. Die langsam in ihnen aufgenommenen Abbildungen behalten aus dieser Tradition heraus das 17. Jahrhundert hindurch illustrierenden oder bestenfalls ergänzenden Charakter. Ein wichtiges Ergebnis der Studie von Heenes ist es, dass es ihm gelingt zu zeigen, dass bei der Erforschung der antiquitates die ikonografische Aussage eines Gegenstandes und nicht das Monument als solches im Vordergrund stand.
Der Aufbau der wesentlich schmaleren Publikation von Henning Wrede unterscheidet sich deutlich von jener Heenes. Der Grund dafür ist wahrscheinlich die Konzentration auf einen kleineren zeitlichen Abschnitt, nämlich die Jahrzehnte rund um 1700. Im Zentrum der Publikation von Wrede steht die Fragestellung, warum es um 1700 zu einem Anwachsen der antiquarischen Literatur kam (Wrede, 10), obwohl die großen Sammlungen römischer Antiken zum Beispiel erst ab den 1720er-Jahren wieder zu wachsen begannen. Hierfür gliedert Wrede seine Studie in drei große Abschnitte, die alle Überblickscharakter haben. Eine Untersuchung nach Gattungen getrennt unterbleibt.
Im ersten, unter der Überschrift "Eine Zeit geringen Fortschritts in der Feldarchäologie und den Sammlungen" stehenden Teil gewährt Wrede einen kurzen Einblick in die wichtigsten archäologiegeschichtlichen Prozesse im 17. Jahrhundert. Ferner erläutert er die Rolle der, sich das Bürgertum erschließenden, Gelehrtenwelt für die Antikenrezeption um 1700.
Im zweiten Teil stellt Wrede thesenartig dar, warum es zum Anwachsen antiquarischer Literatur um 1700 gekommen ist, ohne dass gleichzeitig ein entsprechender Zuwachs antiker Denkmäler zu konstatieren sei. Er macht hierfür vor allem das gestiegene bürgerliche Interesse verantwortlich, das in seiner Gier nach Abbildungen nur durch Nachdrucke älterer Stiche gesättigt werden konnte. Dies bedeutete im Vergleich zu älteren römischen Werken "aber einen Verlust an Autopsie" (Wrede, 13). Im Ergebnis dienten die Abbildungen daher nur noch der Illustration. Zudem war das wissenschaftliche Interesse primär additiv, sodass gewaltige Corpora wie das Werk Bernard de Montfaucon entstanden, welches 30.000 bis 40.000 Abbildungen enthält (Wrede, 14).
Im Unterkapitel "Die 'Monumentalisierung der Antike' im Text" analysiert Wrede vergleichend das antiquarische Schrifttum um 1700 in Holland, Rom, Frankreich und Mitteleuropa. Dabei kommt er zum Ergebnis, dass insbesondere Holland ein Motor der Monumentalisierung gewesen sei.
Im Teilabschnitt "Die 'Monumentalisierung der Antike' im Bild" beschreibt Wrede recht detailliert Stiche und deren Stellung zum dazugehörigen Text. Dabei konzentriert sich Wrede sehr stark auf die holländischen Publikationen, vor allem jene von Graevius und Grovius.
Im dritten und letzten Teil "Die 'Monumentalisierung der Antike', die l'antiquité expliquée und die Querelles" charakterisiert Wrede die Phase der antiquarischen Forschungen um 1700 hinsichtlich der Kunstanalyse als "ganz traditionell, kursorisch und vereinfachend" (Wrede, 47). Doch die verstärkte Berücksichtigung der antiken Denkmäler um 1700 sieht er als "Voraussetzung für die ästhetische Erneuerung des Antikeideals durch Winckelmann und die Aufklärung" (Wrede, 48).
Sowohl Heenes als auch Wrede betonen, dass bereits im 16., 17. und frühen 18. Jahrhundert Wissenschaftlichkeit der leitende Anspruch im Umgang mit den Überresten der Antike gewesen sei. Im Zentrum der damaligen Untersuchungen standen zunächst "Fragen der Ikonographie und der Funktionsbestimmung" (Heenes, 197). Doch auch die Entwicklung von "Systematik und Methoden für die Bearbeitung archäologischen Materials [...], die bis heute gültig sind", ist ein Verdienst der Antiquare des 16. und 17. Jahrhunderts (ebenda). Die 'Monumentalisierung der Antike' um 1700 wurde außerdem von einer verstärkten Ausrichtung auf die Denkmäler und damit einhergehend zunehmenden Illustrationen geprägt (Wrede, 48).
Trotz des wissenschaftlichen Anspruchs der frühen archäologischen Forschungen macht insbesondere Wrede aber immer wieder auf die Unzulänglichkeiten aufmerksam, die einerseits technischer, andererseits aber eben auch methodischer Natur waren. So hätten Formanalysen oder stilistische Untersuchungen zwar schon daran scheitern müssen, dass keine exakte Wiedergabe im Druck möglich war, doch noch entscheidender waren der Verzicht auf Autopsie und die stattdessen praktizierte Reproduktion älterer Vorlagen, die oftmals dem zeitgenössischen Geschmacksempfinden angepasst wurden. Vor allem ein recht verbreitetes Vertrauen "auf den Realitätsbezug [älterer] Bilder" öffnete Fälschungen und Verfälschungen - die oft auf Jean Jacques Boissard zurückgehen - Tür und Tor (Wrede, 21).
Dennoch ist es nach Auffassung beider Autoren falsch "die Studien von Renaissance und Barock als antiquarisch von der Archäologie des 18. Jahrhunderts abzusetzen und damit negativ zu verbinden." (Heenes, 197). Ihre Ausformung leite vielmehr, trotz der vehementen Abgrenzung Winckelmanns selbst von seinen Vorgängern, direkt in dessen Werk über, und die Zuspitzung, die die Thesauri um 1700 hinsichtlich des Kulturvergleichs zwischen griechischer und römischer Antike ermöglichten, erklärt auch, "wieso die um 1800 einsetzende Universitätsarchäologie als Kunstarchäologie im griechischen Teilbereich der Antike wurzeln mußte." (Wrede, 35).
Beide Arbeiten dürften ausschließlich für das Fachpublikum von Interesse sein. Sie stellen zusammengenommen einen bedeutenden Baustein für die aktuelle Erforschung der eigenen Disziplin dar. Sehr erfreulich ist bei beiden Arbeiten die gute und aussagekräftige Auswahl der Abbildungen, wenngleich die Druckqualität bei Heenes zum Teil höheren Ansprüchen nicht genügen kann.
Abschließend bleibt zu wünschen, dass bei der Wiederbesetzung des Lehrstuhls von Henning Wrede die Antikenrezeption als Forschungsrichtung angemessen berücksichtigt wird. Es wäre sehr schade, wenn dieser doch recht einzigartige Lehrstuhl in seinem Charakter nicht erhalten bliebe.
Raoul Zühlke