Rezension über:

Otto von Guericke: Relationes, derer dem Herren Bürgermeister wegen gemeiner Stadt Magdeburgk 18 Jahr nach ein ander uffgetragenen undt anvertraueten 17 unterschiedenen, mehrentheils gar langwirigen Verschickungen (1642 bis 1660). Transkription: Ditmar Schneider. Lateinische Übersetzung: Rudolf Engelhardt (= Otto von Guericke Gesamtausgabe. Zweiter Band. Reihe II - Otto von Guericke, Das Werk; II.2.3.1 Relationes / Transkription), Halle/Saale: Verlag Janos Stekovics 2005, XXXIX + 561 S., ISBN 978-3-89923-089-5, EUR 42,00
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Rezension von:
Michael Rohrschneider
Historisches Seminar, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Michael Rohrschneider: Rezension von: Otto von Guericke: Relationes, derer dem Herren Bürgermeister wegen gemeiner Stadt Magdeburgk 18 Jahr nach ein ander uffgetragenen undt anvertraueten 17 unterschiedenen, mehrentheils gar langwirigen Verschickungen (1642 bis 1660). Transkription: Ditmar Schneider. Lateinische Übersetzung: Rudolf Engelhardt, Halle/Saale: Verlag Janos Stekovics 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 12 [15.12.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/12/8838.html


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Otto von Guericke: Relationes, derer dem Herren Bürgermeister wegen gemeiner Stadt Magdeburgk 18 Jahr nach ein ander uffgetragenen undt anvertraueten 17 unterschiedenen, mehrentheils gar langwirigen Verschickungen (1642 bis 1660)

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Otto von Guericke (1602-1686) ist im Gedächtnis der Nachwelt in erster Linie als Erfinder der Luftpumpe und aufgrund seiner Aufsehen erregenden Versuche mit den so genannten Magdeburger Halbkugeln präsent. Weniger bekannt und erforscht ist bislang dagegen sein langjähriges diplomatisches Wirken als Vertreter der 1631 fast völlig zerstörten Stadt Magdeburg, deren Kämmerer (1642-1646) und Bürgermeister (1646-1676) er war. Die vorliegende, von der Otto-von-Guericke-Gesellschaft e.V. initiierte Quellenedition liefert nun eine umfassende Materialgrundlage zur Erforschung eben dieser diplomatischen Aktivitäten Guerickes und damit einen wichtigen Baustein im Rahmen der Bemühungen, sein vielfältiges Wirken mittels der textkritischen Erschließung archivalischer Quellen einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen.

Erstmals ediert werden Guerickes Relationes über insgesamt 17 diplomatische Missionen, die er in den Jahren 1642 bis 1660 im Auftrag der Stadt Magdeburg unternommen hat. Sie führten ihn an die Brennpunkte des deutschen und europäischen Geschehens: zum Westfälischen Friedenskongress, zum Nürnberger Exekutionstag und zum Regensburger Reichstag. Darüber hinaus reiste er als Gesandter Magdeburgs wiederholt an den Kaiserhof, an den kursächsischen und den kurbrandenburgischen Hof sowie an den Hof des Administrators des Erzstifts Magdeburg und späteren Herzogs August von Sachsen-Weißenfels.

Textgrundlage der Edition sind zwei handschriftliche Exemplare der Relationes aus der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (Handexemplar Guerickes), und der Universitätsbibliothek Magdeburg (Abschrift des Berliner Exemplars). Druckvorlage ist das Berliner Exemplar, das wahrscheinlich in den Jahren 1673 bis 1677, spätestens aber 1681 fertig gestellt worden ist. Abgedruckt wird der volle Text der Relationes samt ihrer umfangreichen Anlagen, mit denen Guericke seine Berichte belegte und deren Inhalte bis zur Magdeburger Stadtgeschichte des 10. Jahrhunderts zurückreichen. Sätze oder längere Passagen in lateinischer Sprache werden jeweils in einer Fußnote ins Deutsche übersetzt. Auf eigenhändige Anmerkungen Guerickes zu dem wahrscheinlich von seinen namentlich nicht bekannten Sekretären niedergeschriebenen Text wird ebenfalls in den Fußnoten hingewiesen. Insgesamt gesehen, so lässt sich mit Blick auf die Textanmerkungen konstatieren, wurde von den Editoren große Sorgfalt darauf verwendet, einen möglichst originalgetreuen Eindruck von der handschriftlichen Vorlage zu vermitteln, wovon die zahlreichen Hinweise auf Streichungen, Unterstreichungen, Marginalien und Einfügungen zeugen.

Dagegen wurde auf Sachanmerkungen - abgesehen von Anmerkungen zu Maßen und Gewichten, die zum Teil unnötig oft wiederholt werden - leider weitgehend verzichtet. Dadurch bleibt der Benutzer an der einen oder anderen erläuterungsbedürftigen Textstelle auf sich allein gestellt, so zum Beispiel, wenn es um die verwickelten Verhandlungen auf dem Westfälischen Friedenskongress geht (Kapitel 8 und 9 samt Anlagen). Ansatzweise kompensiert wird dieses Defizit allerdings durch drei einführende Aufsätze von Mathias Tullner über die Geschichte der Stadt Magdeburg von 1631 bis 1666, von Rudolf Engelhardt über Guerickes Verhandlungen auf dem Westfälischen Friedenskongress und von Ditmar Schneider über die Relationes selbst. Diese Einführungen liefern dem Benutzer gewissermaßen das inhaltliche Rüstzeug für die Lektüre des edierten Textes.

Darüber hinaus tragen Indizes zur Texterschließung bei: Ein Namensindex führt, gegebenenfalls mit biografischen Hinweisen, alle genannten Eigennamen auf; ein Ortsindex verzeichnet alle geographischen Bezeichnungen und Ortsnamen - zum Teil allerdings mit im Rahmen einer Edition unangebrachten Erläuterungen (vergleiche etwa den Eintrag zu Dresden: "eine der schönsten Städte Deutschlands" [509]; ein Werksindex weist die im Text von Guericke oder anderen zitierten Werke nach (zumeist juristische Abhandlungen, Untersuchungen zur Rechtsgeschichte und historiographische Werke); ein chronologischer Index (von 940 bis 1666) führt die wichtigsten im Quellentext genannten Daten an, ergänzt um einige wichtige Daten, die dort nicht erwähnt werden. Zudem ermöglicht eine Auswahlbibliographie über Guerickes kommunale und diplomatische Tätigkeiten dem Benutzer, den diesbezüglichen Forschungsstand nachzuvollziehen. Ein Sachregister, das eine schnelle und problemlose Orientierung in den edierten Texten erleichtert hätte, fehlt bedauerlicherweise.

In inhaltlicher Hinsicht ist die Edition aus mehreren Gründen gehaltvoll. Sie erlaubt neue Einblicke in das konkrete politische Wirken Guerickes und dokumentiert das hartnäckige Ringen der Stadt Magdeburg um Wahrung ihrer Interessen und um Erlangung der Reichsfreiheit zu einer Zeit, als sich in aller Deutlichkeit abzuzeichnen begann, dass das künftige Schicksal der Stadt eng mit der aufstrebenden und ambitionierten Macht Brandenburg verbunden sein würde. Auf Grundlage der Relationes Guerickes sind der Verlauf und die Inhalte seiner jeweiligen Verhandlungen nunmehr leicht nachvollziehbar, wozu gerade auch die zahlreichen Anlagen zu seinen Berichten beitragen. Diese Anlagen umfassen unterschiedliche Quellengattungen: Instruktionen finden sich hier ebenso wie Korrespondenzen, Schriftsätze zum Westfälischen Frieden, Reichstagsakten, Privilegien, Memoriale und vieles mehr. Allerdings fehlen Nachweise darüber, ob die Texte dieser Anlagen bereits früher ediert worden sind.

Die Relationes und ihre Anlagen bieten gleichwohl mehr als nur Informationen über den jeweiligen konkreten Verhandlungsgang. So wird einleitend zu Recht auf die große Bedeutung der erstmals gedruckten Bürgerrolle von 1638 (Kapitel 18, Anlage 1) für die Erforschung der Magdeburger Stadtgeschichte hingewiesen. Weitere Beispiele lassen sich anführen. So erfahren wir interessante Details über den Alltag eines Diplomaten des 17. Jahrhunderts: Guericke schildert eindringlich, dass er trotz widriger Witterung und unsicherer Straßen seine Missionen verrichtet habe (26, 57, 106 und 113), und berichtet über eine lebensgefährliche Erkrankung, die ihn während einer Gesandtschaft mehrere Wochen ans Bett gefesselt hat (115). Hier wird ein lebendiges Bild eines Zeitgenossen des Dreißigjährigen Krieges und der Jahre des Wiederaufbaus erkennbar, der sich als fähiger Diplomat und verdienstvoller Vertreter seiner Heimatstadt erwies. Zahlreiche schwarz-weiß Abbildungen erhöhen den Anschauungswert der Quellentexte, deren Inhalte zum Teil über die bloße Magdeburger Stadtgeschichte hinausgehen und deren Edition nicht nur einen stattlichen Beitrag zur 1200-jährigen Geschichte Magdeburgs im Jubiläumsjahr 2005 leistet, sondern in größerer Perspektive auch die deutsche und europäische Geschichte um die Mitte des 17. Jahrhunderts weiter zu erhellen vermag.

Michael Rohrschneider