Verena Friedrich: Rokoko in der Residenz Würzburg. Studien zu Ornament und Dekoration des Rokoko in der ehemaligen fürstbischöflichen Residenz zu Würzburg (= Forschungen zur Kunst- und Kulturgeschichte; Bd. IX), München: Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen 2004, 508 S., ISBN 978-3-932982-57-6, EUR 53,00
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Die Publikation ist die überarbeitete Fassung der Dissertation Verena Friedrichs und befasst sich auf insgesamt 508 Seiten mit den Raumdekorationen der südlichen Kaiserzimmer in der Residenz in Würzburg. Während der Regierungszeit Fürstbischof Friedrich Carl von Schönborns (reg. 1729-1746) entstand unter Leitung des Architekten Balthasar Neumann eine Ausstattung, die "zum mehrern ansehen dieses in teütsch land so groß geachteten fürst- und herzogthumbs" (15) beitragen sollte.
Die während der Bauphase zwischen 1738 und 1745 angewandten gestalterischen Mittel - "Ornament und Dekoration" (16) - untersucht die Autorin bezüglich ihrer Herkunft, ihrer Verwendung und ihrer Entwicklung, wobei sie auf die Klärung dieser Begriffe leider verzichtet. Ferner stellt sie den schöpferischen Anteil der beteiligten Künstler fest, wobei der Fokus im Stilwandel vom Regence zum Rokoko liegt, was jedoch zu keinen neuen Ergebnissen führt. Ausgangspunkt der Überlegungen war der bereits 1923 von Rudolf Pfister und Richard Sedlmaier beobachtete "auffallende Stilfortschritt zum freiflüssigen Rocaille" (16), der dem Kunstschreiner und Bildhauer Ferdinand Hundt zugeschrieben wurde. Chronologisch gemäß der Entstehung wird zuerst das Venezianische Zimmer, das als Paradeschlafzimmer eingerichtet wurde, behandelt. Es folgen das Parade-Audienzzimmer und das Spiegelkabinett sowie der Weiße Saal.
Neben der Methode der Stilkritik, die sich vor allem in eloquenten Beschreibungen niederschlägt, wurde eine Fülle von Archivmaterial herangezogen. Das Hofzeremoniell mit seinen Anforderungen an die Ausstattung von Paradezimmern stellt die Autorin an die erste Stelle der Quellenliste. Zeitgenössische Zeremonialliteratur, architekturtheoretische Schriften sowie Hausväterliteratur zieht sie heran. Allgemeine Ausstattungsregeln, die sich dem zeitgenössischen Begriff der Convenance zu unterwerfen hatten, wurden konsultiert und Vergleichsräume an anderen Höfen, vor allem Schönborn'sche Innenraumdekorationen, herangezogen. Nicht herangezogen, obwohl leicht greifbar, wurden Zeremonialakten mit Audienz- oder Besuchsberichten, die die Funktion des jeweiligen Raumes, den Rang des Raumes und gleichzeitig die Einstufung und den soziohistorischen Kontext der Ausstattung und der Ornamentmotive beleuchtet hätten.
Zusätzlich wurden die Bauakten seit 1720, Schriftverkehr zwischen Bauherr und dem Architekten Balthasar Neumann zwischen 1729 und 1746 ausgewertet. Dazu gehören die im Staatsarchiv Würzburg zugänglichen "Bausachen", Baurechnungen, Hofkammerprotokolle sowie die zugehörigen Reskripte und Memoralien und natürlich die Ausstattungsinventare. Die Universitätsbibliothek verwahrt das so genannte "Skizzenbuch Balthasar Neumanns", Delin. III, und das Skizzenbuch des Hofmalers Johann Rudolf Byß, die reichlich Aufschluss über Details der Ornamentierung geben konnten. Handzeichnungen des Hofbildhauers Johann Wolfgang van der Auwera im Bestand des Martin von Wagner Museums wurde gleichfalls mit einbezogen.
Verena Friedrich legt einen fundierten Beitrag zur Ornamentgeschichte vor. Mit der Kombination von Stilanalyse und Archivarbeit erzielt sie eine zeitliche Präzisierung in der Festlegung des Stilwandels, die bisher nicht erreicht werden konnte. In der Schlussbetrachtung kann Friedrich Folgendes resümieren: Der zusammen mit Balthasar Neumann für die Innenausstattung der Residenz zuständige Hofmaler Johann Rudolf Byß bestimmte die Ornamentsprache des Regence in Würzburg. Sowohl der Kunstschreiner Ferdinand Hundt als auch der Stuckator Antonio Bossi arbeiteten unter seiner Leitung. Byß vermied Flächen füllendes Bandelwerk und "verwendete kurze, c-bogige und s-kurvige, häufig in Blättern endende Bandzüge, welche die architektonischen Gliederungselemente begleiten und Flächen akzentuieren" (453). Friedrich kann exakt den Sommer des Jahres 1740 festmachen, in dem sich die Rocaille löst und frei entfalten kann. Wahrscheinlich ist für diese Entwicklung ein Franzose verantwortlich, der sich für kurze Zeit als Mitarbeiter in der Werkstatt Ferdinand Hundts aufhielt.
Die Anwesenheit des Bildhauers Jean-Gaspard Callion in Würzburg und seine unerlaubte Beschäftigung in der Werkstatt des Kunstschreiners Ferdinand Hundt betrachtet Friedrich als den Auslöser für den Stilwandel von der Regence zum Rokoko in Würzburg: "Die nachweislich als Vorlage für einige Füllungsgemälde des Venezianischen Zimmers dienende Ornamentstichserie des Jacques de Lajoüe zeigte zwar keine stilistische Beeinflussung der Maler, die ornamentschaffenden Künstler dürften diese Vorlagen jedoch mit weitaus größerem Interesse betrachtet haben" (453). Vor allem Ferdinand Hundt kommt das Verdienst zu, an den Holzverkleidungen des Parade-Audienzzimmers zu einer eigenen Ornamentsprache mit der freien Rocaille gelangt zu sein. In der Folge gelingt es auch Bossi, die Rocaille in sein Formenrepertoire einzugliedern. Neben frei bewegten Rocaillesäumen, Rocaillekartuschen und freien Rocailleformen behält er jedoch teilweise retardierende Motive wie Lambrequins und Gesimsstücke bei. Selbst das Ornamentsystem des Weißen Saals basiert in großen Zügen auf der Bandelwerkgroteske, wo Bossi seinen Ornamentstil kontinuierlich entfaltete und auf dem neuesten Stand des Zeitgeschmacks weiterentwickelte.
In Friedrichs Arbeit dominieren minuziöse, teilweise über mehrere Seiten reichende Beschreibungen der Ornamente und das Archivmaterial, das in voller Länge in den Text übernommen wurde; der Dokumentenanhang besteht nur mehr aus wenigen Seiten. Nicht alle Beschreibungen können mit Bildmaterial unterlegt werden, nur in den wenigsten Fällen befinden sich beschreibender Text und Abbildung auf einer Doppelseite. Die Wortwahl der Autorin ist höchst eloquent, jedoch lässt sie eine gewisse Stringenz in Richtung eines Ergebnisses vermissen und ihre Beschreibungen bleiben deshalb in manchen Fällen im Bereich kunsthistorischer Fingerübungen, die für eine Dissertation angemessen sind, nicht jedoch für ein Buch, das an der Museumskasse verkauft wird. Hier sollte sich die Kunstgeschichte fragen lassen, wer überhaupt das Zielpublikum dieser Wissenschaft ist, was hier jedoch zu weit führt.
Betrachtet man die Untersuchung Friedrichs im Kontext der gegenwärtigen Residenzenforschung, so wird ein Einstellen der Erkenntnisse in einen überregionalen Zusammenhang schmerzlich vermisst. Dem in den besprochenen Räumen stattfindenden höfischen Leben wird keine Berücksichtigung geschenkt. Hier wird nicht beachtet, dass bei den häufigen Kaiserbesuchen eben diese Räume zum Zentrum der staatlichen Macht wurden. Der Residenz Würzburg kam für diese Zeit soziale wie kulturelle Exklusivität zu. Den vorgegebenen hierarchischen Strukturen hatten die Räume Rechnung zu tragen. Vor allem die ausgeklügelte Ausstattung in diesen Kontext zu stellen, wäre eine lohnenswerte Aufgabe gewesen. Lohnend wäre es auch gewesen, der Dissertantin wohl wollend eine Begrenzung ihrer Textfülle ans Herz zu legen.
Henriette Graf