Lianne McTavish: Childbirth and the Display of Authority in Early Modern France (= Women and Gender in the Early Modern World), Aldershot: Ashgate 2005, xiv + 257 S., 29 s/w-Abb., ISBN 978-0-7546-3619-9, GBP 45,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Eva Mongi-Vollmer: Das Atelier des Malers. Die Diskurse eines Raumes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin: Lukas Verlag 2004
David Ganz: Barocke Bilderbauten. Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580-1700, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2003
Horst Bredekamp / Christiane Kruse / Pablo Schneider (Hgg.): Imagination und Repräsentation. Zwei Bildsphären der Frühen Neuzeit, München: Wilhelm Fink 2010
Der politische Ausgangspunkt von Lianne McTavishs Studie wird im Vorwort genannt. In den 1990er-Jahren florierten die amerikanischen Pro-Life-Kampagnen: "My interest in early modern midwifery was sparked during a period of intense anti-abortion activity in upper New York State. When the pro-life group Operation Rescue attempted to blockade clinics in Buffalo during the spring of 1992, I joined hundreds of other pro-choice volunteers to defend access to abortion. [...] Overhearing a great deal of abortion rhetoric on the front lines, I desired to learn more about the history of women's reproduction." (xiii)
Die Autorin tritt selbstbewusst auf, ihr Argumentationsstil ist offensiv. Wir erarbeiten uns historische Zusammenhänge in erster Linie, um sie in aktuelle Diskussionen zu integrieren und nicht, um sie als Wissenszuwachs zu verstehen und in die Vergangenheit zu entlassen. Die Rekonstruktion frühneuzeitlicher Macht- und Autoritätsdiskurse wird eingesetzt, um aktuelle Abtreibungsdebatten, das Verhältnis des weiblichen Körpers zum Fötus und seine moralischen Implikationen historisch rückzuführen. Es wird zu fragen sein, ob die Arbeit diesen Anspruch einlösen konnte.
McTavish hatte zuvor innerhalb des 'Program of Visual and Cultural Studies' der Universität Rochester eine kunsthistorische Dissertation über 'Representations of the Académie royale de peinture et de sculpture in Paris' eingereicht. Der Schwerpunkt des Rochester-Programms auf 'visual semiotics' war auch ausschlaggebend für den Zuschnitt des vorliegenden Bandes, der die sozialen, kulturellen und medizinischen Bedeutungen im frühneuzeitlichen Frankreich erschienener Schriften über Geburt und Entbindung, über den Stellenwert der Hebamme und das allmähliche Aufkommen männlicher Geburtshelfer untersucht. Um Antworten zu finden, hat sich die Autorin 24 Traktaten zwischen 1550-1730 gewidmet und vor allem die begleitenden Holzschnitte bzw. Kupferstiche ungeborener Kinder einer näheren Analyse unterzogen. Damit generalisierende Ergebnisse vermieden werden, beschränkt sich die Untersuchung zeitlich wie lokal auf 'Early Modern France' bzw. Paris. Das Material ist aufregend; viele Abbildungen waren bislang unbekannt. Die Bedeutung der Studie liegt deshalb nicht zuletzt in der sorgfältigen Zusammenstellung und Veröffentlichung fötaler Darstellung des späten 16. und des 17. Jahrhunderts, deren visuelle Evidenz bis heute ungebrochen ist. Ungeborene Kinder werden in allen Stadien und Lagen gezeigt, Vagina und Uterus in aller Deutlichkeit präsentiert, der schwangere Frauenkörper dargestellt, als wäre er eine sich entblätternde Blume. McTavish will nachvollziehen, inwieweit diese Abbildungen den Fötus selbstständig präsentieren und mit einer eigenen Subjektivität versehen oder umgekehrt mit dem Körper der Mutter in Verbindung bringen. Zusätzliches Augenmerk liegt auf den beigefügten Autorenporträts, die McTavish mit Verweis auf Michel Melot [1] zu Recht als 'deliberate images' versteht - "with each attribute and gesture rife with political meaning" (7). Parallel dazu untersucht sie das intermediale Verhältnis, das oft ungleichgewichtig erscheint, Bild und Text widersprechen sich häufig. Um ein durchgängiges Schema zu nennen, das die Autorin gleich zu Anfang benennt: "In my analysis of images of the unborn, I find that while they seem to depict large children who are both active and detached from the maternal body, written texts paint a different picture; not only do unborn creatures not move at will, their fate is intimately bound up with that of their mothers" (7).
Grundsätzlich wird der Band also von einem Interesse an visueller Semiotik durchzogen, an einem "approach which understands visual images as signs that communicate meaning when decoded by audiences" (7). Der Verweis auf Saussure und Peirce wäre an dieser Stelle nicht nötig gewesen und erzeugt nicht zum letzten Mal methodologische Redundanzen. Dennoch, die anschließende Analyse der visuellen Wahrnehmungsformen der Bilder führt dazu, die Komposition, Rahmung und die räumlichen Verhältnisse der präsentierten Objekte genauer in Augenschein zu nehmen. Das Traktat wiederum wird auf seine visuelle Strategie befragt, d. h. auf das Verhältnis von Sehen und Gesehen-Werden, wie es sich im Medium des Texts darstellt. McTavish betont die Wichtigkeit visueller Kommunikation im frühbarocken Frankreich und widmet sich dem spektakulären Ereignis der Geburt ebenso wie der gleichzeitigen Diskussion des weiterhin Unbekannten - dessen, "what remains unseen" (8). Der Blickwinkel ist grandios, weil er mit den Innenräumen des menschlichen Körpers zu tun hat und die Effektivität medizinischer Operationen - allesamt Öffnungstechniken - in Frage stellt. Der so genannte "unimpeded visual access to the female body", wie er in den Abbildungen oftmals zu Tage tritt, "confirms the link between seeing the female body and having knowledge of it" (65); umso bedauerlicher ist es, dass die Autorin das vorliegende Material nicht auch auf sein inhärentes psychoenergetisches Potenzial befragt. Was deutlich wird, ist der systematische Zusammenhang zwischen einem direkten Blick in den geöffneten weiblichen Unterleib, seiner klaren Lesbarkeit und dem Autoritätsanspruch des Arztes - im Gegensatz zum körperlichen Wissen der Hebamme. Tastsinn und Gesichtssinn werden in Konkurrenz gesetzt. Was unklar bleibt, ist die letztendliche Bewertung dieser Konkurrenz. Ähnlich unschlüssig zeigt sich die Autorin an anderen Stellen der Argumentation, vor allem, wenn es um die raffinierte Ikonografie des dargestellten Fötus, um sein codiertes Verhältnis zum weiblichen Körper bzw. um seine mögliche Selbstständigkeit geht. Hier verspricht McTavish sorgfältige visuelle Analysen und stößt doch schnell an Grenzen.
Nach einer fundierten Materialsondierung, auch die Sekundärliteratur betreffend, fällt die Einreihung der Studie in eine feministische Diskursgeschichte nicht schwer. McTavish nennt alle Autor/inn/en, die im Vorfeld für sie wichtig waren. Das hat auf den ersten Blick den Anschein einer wechselseitigen Ergänzung, verfolgt bei genauerem Hinsehen jedoch zuweilen das Ziel, sich von den Arbeiten ihrer Vorgänger/innen abzusetzen. Dass dies nicht vollständig geschehen kann, zeigen die vielen Referenzen zu Anfang des Buches und die ausführlichen Literaturangaben nach jedem Kapitel. Als methodisch richtungsweisend nennt McTavish Judith Butler, Griselda Pollock, Abigail Solomon-Godeau und Joan Scott, aber auch Pierre Bourdieu, dessen räumliche Feld-Metaphorik ihr eine 'flexible conception of gender' (10) ermöglicht habe. Der Autorin ist es also wichtig, einen differenzierenden Blick auf historische Geschlechterkonzeptionen zu werfen und einer eindimensionalen Diskursanalyse zu widersprechen. Ihrer Analyse zufolge dominiert das neuartige anatomische Wissen des Arztes nicht schlagartig über das körperliche Wissen der Hebamme, sondern beide stehen in einem komplexen Wechselverhältnis zueinander: "Exploring the contradictory images of male and female midwives in obstetrical treatises, my study reveals early modern masculinity as precarious, not hegemonic. Representations of femininity are equally unstable [...]. My interpretations undermine characterizations of the practice of childbirth in early modern Europe as a gender war which men ultimately won" (2) Die Argumentation ist nicht wirklich neu, doch wird sie mit bislang unbekanntem Material belegt und aufgefrischt. Darin liegt das Verdienst der Arbeit, die durch saubere Recherche und intensive Quellenkunde besticht. Die eigentliche These verwirrt sich leider im Laufe der Untersuchung zunehmend; dies wird damit entschuldigt, komplexe Abbildungen nicht mit statischen Interpretationen belegen zu wollen. "Scholars should be prepared to find contradictory messages that refuse to get into a tidy conclusion" (207) - mit dieser Feststellung endet die Autorin und überlässt es dem Leser, eigene Schlüsse zu ziehen.
Anmerkung:
[1] Michel Melot u. a.: Prints: History of an Art, New York: Rizzoli, 1981, 79.
Karin Leonhard