Rezension über:

Astrid Deilmann: Bild und Bildung. Fotografische Wissenschafts- und Technikberichterstattung in populären Illustrierten der Weimarer Republik (1919-1932), Tönning: Der Andere Verlag 2004, 453 S., 147 Abb., ISBN 978-3-89959-191-0, EUR 73,90
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Rezension von:
Alexander Gall
Forschungsinstitut für Technik- und Wissenschaftsgeschichte des Deutschen Museums, München
Redaktionelle Betreuung:
Martina Heßler
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Gall: Rezension von: Astrid Deilmann: Bild und Bildung. Fotografische Wissenschafts- und Technikberichterstattung in populären Illustrierten der Weimarer Republik (1919-1932), Tönning: Der Andere Verlag 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 1 [15.01.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/01/7807.html


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Astrid Deilmann: Bild und Bildung

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Das Thema von Astrid Deilmanns Dissertation "Bild und Bildung" bündelt mehrere Forschungsstränge, denen sich die historischen Wissenschaften zurzeit mit großer Aufmerksamkeit widmen. So hat sich durch die jüngsten Diskussionen um die "Wissensgesellschaft" das Interesse für die gegenseitigen Einflüsse von Wissenschaft und Öffentlichkeit noch einmal verstärkt. Denn dieses Konzept könnte ohne eine nachweisbar wissenschaftlich informierte oder wenigstens orientierte Öffentlichkeit kaum Plausibilität für sich beanspruchen. [1] Ebenso dreht sich Deilmanns Arbeit aber auch um die tief greifenden Medialisierungsprozesse, die Gesellschaft, Öffentlichkeit und Wissenschaft im 20. Jahrhundert erfahren haben. Die Konzentration auf wissenschaftliche und technische Fotografien weckt dabei die Erwartung, endlich mehr zu deren Rolle in der öffentlichen Kommunikation zu erfahren. Damit knüpft das Thema nicht zuletzt an zentrale Fragen der interdisziplinär arbeitenden Bildwissenschaften an, die sich mit Bildern als Bedeutungsträgern sowie der Visualität von Kultur befassen.

Das Ziel, das sich die Autorin mit ihrer Arbeit selbst gesetzt hat, besteht zunächst in der Erweiterung unserer Kenntnis über die Wissenschaftspopularisierung während der Weimarer Republik. In bewusster Opposition zur Mehrzahl kulturkritischer Medientheorien vertraut Deilmann dem Bildungspotenzial der Fotografie und möchte wissen, wie viel "ein Leser ohne spezifische Vorbildung" aus den Illustrierten "in visueller Form über Vorgänge in Wissenschaft und Technik erfahren" konnte (14). Mit diesen Fragen verbindet die Autorin die These, dass Wissenschaft und technischer Fortschritt die Chance geboten hätten, für die junge und instabile Republik einen die parteipolitischen Gräben überbrückenden Grundkonsens zu stiften und eine eigene Staats- und Bürgeridentität zu begründen. Sowohl für den Beleg ihrer These wie für die Beantwortung ihrer - durchaus nicht trivialen - Fragen, benötigte die Autorin eigentlich ein methodisch tragfähiges Konzept, das den Zusammenhang zwischen den unmittelbaren Erträgen ihrer Quelleninterpretation und ihren Erkenntniszielen systematisch herstellt oder wenigstens plausibel macht. Da aber ein solches Konzept und ein in sich schlüssiger Argumentationsgang nicht zu erkennen sind, bleibt dem Leser wenig anderes übrig, als aus den präsentierten Beispielen und Teilergebnissen seine eigenen Schlüsse zu ziehen.

Mit der "Berliner Illustrirten Zeitung" (BIZ), der "Arbeiter-Illustrierten Zeitung" (AIZ) und der "Kölnischen Illustrierten Zeitung" (KIZ) hat Deilmann die Zeitschriften ihrer Untersuchung sinnvoll ausgewählt und dabei Kriterien wie Auflagenstärke ebenso berücksichtigt wie die Orientierung an unterschiedlichen Zielgruppen. Die Hauptleistung ihres Buches besteht darin, die wichtigsten Schwerpunkte des visuellen Diskurses in den Illustrierten zu Wissenschaft und Technik herauszuarbeiten. Dass sich die Luftfahrt dabei der größten Aufmerksamkeit erfreute, ist weniger überraschend, doch die medialen Strategien, die dafür zum Einsatz kamen, wären ohne entsprechende Fotografien kaum denkbar gewesen. Daneben präsentierten die Illustrierten auch Automobilismus, Funk- und Nachrichtentechnik sowie Rationalisierung und Psychotechnik immer wieder gerne. Der Nutzen dieses Überblicks wird allerdings dadurch geschmälert, dass Deilmann ihren Lesern die jeweiligen quantitativen Dimensionen dieser - sicher nicht immer leicht abgrenzbaren - Themenblöcke vorenthält und nur die Gesamtzahl der von ihr untersuchten Artikel (ca. 1.600) und analysierten Fotografien (ca. 4.800) angibt (13).

Als Thema für die Leser der Illustrierten gewann das "Fliegen" seine Attraktivität gerade aus seiner Alltagsferne, sodass dessen Mythos und Exklusivität noch so gut wie unverbraucht waren. Berichte über Flugrekorde und Atlantiküberquerungen vermittelten entweder einen ungebrochenen Fortschrittsoptimismus oder inszenierten die Luftfahrt als nationale Höchstleistung. Besonders deutlich zeigte sich Letzteres in den meist von faszinierenden Fotos begleiteten Beiträgen zum Zeppelin, mit dem Deutschland trotz verschiedener Rückschläge wieder zur technologischen Spitze aufschließen konnte. Gerade diesen Aufnahmen und ihrer publizistischen Logik schenkt Deilmanns Studie erstaunlich wenig Beachtung. Entgegen den in der Einleitung geweckten Erwartungen konzentriert sich die Autorin auch bei der Behandlung der übrigen thematischen Abschnitte primär auf die gedruckten Texte der Illustrierten, sodass der Leser über Motivgeschichte oder Bildstrategien bestenfalls bruchstückhaft Auskunft erhält. Am ehesten wird dieser Anspruch noch im Abschnitt "Fröhliche Wissenschaft" eingelöst, in dem unter anderem Fotografien aus Medizin, Biologie und Astronomie im Vordergrund stehen. Diese zeichneten sich häufig durch besondere Anschaulichkeit, Neuigkeit oder Seltenheit aus, sodass der Leser implizit auch etwas über die Auswahlkriterien der Illustrierten erfährt (310, 321, 325).

Auch wenn Technikkritik, anderes als die Autorin sich das wohl gewünscht hätte, nicht die Sache der Illustrierten war, wollten diese keineswegs auf spektakuläre Bilder von technischen Unglücken oder Katastrophen verzichten. Die Artikel der BIZ blieben in diesen Fällen zwar - etwa bei der schweren Explosion in Oppau 1921 - auf schnelle Konsumierbarkeit hin angelegt, enthielten sich jedoch meist einer sensationsheischenden Aufmachung. Hinzu kam nicht selten ein uns heute eher fremder Fatalismus, der diesen Ereignissen den Anschein des Unausweichlichen gab. Diese Haltung fand sich sogar vereinzelt in der AIZ, die derartige Berichte sonst eher zum Anlass nahm, die kapitalistischen Arbeitsverhältnisse und insbesondere die Rationalisierungsmaßnahmen einer fundamentalen Kritik zu unterziehen. Überhaupt gewinnt Deilmanns Arbeit einen Großteil ihrer Spannung aus dem Vergleich der von ihr untersuchten Publikationen, die einzelne Themen unter Umständen höchst verschieden präsentierten, sich in ihrer Grundhaltung zum technischen Fortschritt aber nur marginal unterschieden. So propagierte die AIZ anstelle eines deutschen eine Art sowjetischen Techniknationalismus, der die Leistungsfähigkeit des Sozialismus unter Beweis stellen und den Glauben an die Revolution stärken sollte.

In ihrer Zusammenfassung attestiert Deilmann der Gesellschaft der Weimarer Zeit eine "Technikmanie" (384), der nichts als unmöglich galt. Dazu trug die permanente Inszenierung des technischen Fortschritts durch die Illustrierten nicht wenig bei. Während die Autorin bei den Einführungen der von ihr untersuchten Themen die Forschungsliteratur häufig sehr ausführlich präsentiert, bleiben gerade in diesem Abschnitt wichtige Arbeiten unberücksichtigt, die überzeugendere Urteile ermöglicht hätten. [2] Auf ihre ursprüngliche Fragestellung zurückkommend resümiert Deilmann, dass für die Illustrierten weniger die Bildung als die Unterhaltung im Vordergrund stand. In der Gesamtheit habe das aber dennoch zu einer "Wissensdemokratisierung" (395) beigetragen, da sich der Zugang zu Informationen über und aus Wissenschaft und Technik vereinfachte und veralltäglichte. Die durchaus wertvollen Erträge von Deilmanns Studie werden jedoch durch ihre unpräzise Sprache, ihre Konzeptionslosigkeit sowie die häufig fehlende Gewichtung und Einordnung der einzelnen Ergebnisse eingeschränkt. Dem Leser bleibt es so vielfach selbst überlassen, deren Repräsentativität abzuschätzen und Bezüge herzustellen. Während der Lektüre drängt sich deshalb wiederholt der Eindruck auf, dass das Potenzial des Themas nicht wirklich ausgeschöpft wird und hier noch eine ganze Reihe spannender Fragen auf eine Antwort wartet. Immerhin ist ein Anfang gemacht und mit den fast 150 - teilweise leider recht schlecht reproduzierten - Abbildungen im Anhang liegt nun auch eine erste Quellensammlung vor.


Anmerkungen:

[1] Vgl. M. Szöllösi-Janze: Wissensgesellschaft in Deutschland: Überlegungen zur Neubestimmung der deutschen Zeitgeschichte über Verwissenschaftlichungsprozesse, in: GG 30 (2004), 277-313; J. Vogel: Von der Wissenschafts- zur Wissensgeschichte. Für eine Historisierung der "Wissensgesellschaft", in: GG 30 (2004), 639-660.

[2] Vgl. z. B. M. J. Neufeld: Weimar Culture and Futuristic Technology: The Rocketry and Spaceflight Fad in Germany, 1923-1933, in: Technology and Culture 31 (1990), 725-752; M. Heymann: Die Geschichte der Windenergienutzung, 1890-1990, Frankfurt / New York 1995, 161-184.

Alexander Gall