Rezension über:

Vinzenz Brinkmann / Raimund Wünsche (Hgg.): Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur. Eine Ausstellung der Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek München, 2. Aufl., München: Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek 2004, 272 S., ISBN 978-3-933200-08-2, EUR 24,00
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Rezension von:
Torsten Mattern
Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Torsten Mattern: Rezension von: Vinzenz Brinkmann / Raimund Wünsche (Hgg.): Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur. Eine Ausstellung der Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek München, 2. Aufl., München: Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 2 [15.02.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/02/7447.html


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Vinzenz Brinkmann / Raimund Wünsche (Hgg.): Bunte Götter

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Die Erkenntnis, dass die antike Plastik durch verschiedene Mittel farbig gehalten war, hat sich nicht nur in der archäologischen Forschung, sondern auch in der Öffentlichkeit seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durchgesetzt. Wegbereiter dieser einst revolutionären Sicht war 1814 Antoine Chrysostome Quatremère de Quincy. Nach der Beschäftigung mit der Farbigkeit antiker Plastik im 19. Jahrhundert geriet dieser Aspekt zwar im allgemeinen Bewusstsein wieder in den Hintergrund, aber das Wissen um ihn war stets präsent. So erschienen auch in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Beiträge, zum Beispiel die Arbeiten von Patrik Reuterswärd, Konstantinos Yfantidis und Valentina Manzelli. [1] Die Erkenntnis, antike Plastik sei farbig gewesen, kann also in Fachkreisen kaum als neu bezeichnet werden. Und so wäre es auch unverständlich, wieso die Münchener Ausstellung, deren Katalog hier vorgestellt wird, in der Presse eine derartige Aufmerksamkeit fand, wenn es nicht um mehr als den lobenswerten Versuch gegangen wäre, einer breiteren Öffentlichkeit erneut diese Tatsache in das Gedächtnis zu rufen. Der Besuch der Ausstellung und die Lektüre des sehr gut ausgestatteten und reich bebilderten Kataloges zeigen aber schnell, dass es durchaus gelungen ist, durch die vorgelegten Beiträge die Forschung wesentlich zu bereichern. Dies liegt bereits an der breiten Materialbasis: Zwar geht der Katalog zu Recht von den Skulpturen der Münchener Glyptothek aus und stellt diese, neben einigen Stücken aus anderen Sammlungen, in das Zentrum des Interesses, doch repräsentieren sie nur einen Teil der Ergebnisse, die aus einer systematischen Durchmusterung großer Sammlungsbestände gewonnen und in einem eigenen Band vorgelegt wurden. [2]

Ausgangspunkt dieser Forschungen ist eine Arbeitsgruppe um Volkmar von Graeve (Bochum), die seit den 1980er-Jahren die Polychromie mit modernen Aufnahmetechniken erforscht und einige wichtige Schriften vorlegte. Auch Vinzenz Brinkmann arbeitete bereits seit seiner Dissertation bei Volkmar von Graeve zu diesem Thema [3], besitzt also eine lange und ausgewiesene Erfahrung. Entscheidend war auch die Weiterentwicklung technischer Aufnahmeverfahren, die nun im Gegensatz zu früheren Arbeiten gesichertere Rekonstruktionen zuließen und sich damit von einer Neuschöpfung der Farbigkeit entfernten, die stets vom Farbempfinden der Gegenwart geprägt ist. Die Grenzen der Aufnahmetechniken werden im Katalog aber keineswegs verschwiegen: So kann zwar häufig der Farbton ermittelt werden, aber kaum feinere Abstufungen oder Changierungen, sodass flächenhafte Farbrekonstruktionen erfolgen müssen, die nicht die Lebendigkeit des Wechsels von Farbabstufungen besitzen.

Abgesehen davon, dass nun mithilfe neuer Verfahren ein größerer Überblick über Art und Technik der Farbgebung gelang, ist vor allem ein Ergebnis als besonders wichtig hervorzuheben: Nicht allein die bloße Farbigkeit antiker Skulptur war entscheidend für die Wirkung des antiken Urzustands, sondern vielmehr die Abstimmung von gemaltem Ornament und Plastizität der Oberfläche. "Ornament und malerische Illusion bestimmen die Fassung der Statuen und greifen weit in die ästhetischen Werte der Plastizität ein. Räumliche Form ist nicht autonom, vielmehr kommt es zu einem raffinierten Wechselspiel von räumlicher Form, Farbe und Muster" (32). Dies zeigt herausragend die Rückansicht (!) der Athena aus dem Aphaia-Giebel und erst jetzt wird der Stellenwert dieser Bemalung deutlich. Aber auch weitere Einzelergebnisse sind höchst wichtig, etwa der Nachweis eines mit Tierfriesen verzierten Untergewandes bei der so genannten Peplos-Kore von der Athener Akropolis oder Untersuchungen zu weiteren Hauptwerken archaischer Kunst, wie der Aristion-Stele oder dem Großen Kouros aus Samos. Die Analysetechniken, Arbeitsschritte und Ergebnisse der Rekonstruktionen werden in den einzelnen Beiträgen jeweils vorgestellt, und bei der Rekonstruktion der Farbfassungen wird auf die Ergänzung nicht gesicherter Bereiche verzichtet. Dies führt zwar manchmal, wie bei der Frontansicht der Athena aus dem Aphaia-Giebel, zu stark partiellen Rekonstruktionen, die ohne Kenntnis der Rekonstruktionsmethodik unverständlich blieben, ist aber methodisch korrekt.

Der inhaltliche Schwerpunkt liegt aufgrund der Forschungen von Vinzenz Brinkmann eindeutig auf der archaischen und frühklassischen Plastik, doch gibt es durchaus auch Beiträge zur hochklassischen, hellenistischen und römischen Skulptur sowie zur farbigen Fassung des Reliefgrundes. Dennoch bleiben deren Einzelanalysen, etwa bei der Statue des Augustus von Prima Porta, leider ohne kontextuale Verknüpfung. So wird hier zwar hervorgehoben, dass sich die Farbigkeit der Augustus-Statue auf ornamentale Details beschränkte, auf die von Patrik Reuterswärd in die Diskussion gebrachten Polychromiestufen in der römischen Plastik wird allerdings nicht eingegangen. Dies ist umso bedauerlicher, da die anschließend vorgestellte Farbrekonstruktion eines Caligula-Porträts in Kopenhagen auch eine Farbfassung der Haut aufweist. Außerdem kann man sich bei der farbigen Fassung römischer Skulpturen des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade hier regionale Vorlieben eine wichtige Rolle spielen könnten, so bei der entschiedenen Farbigkeit der Igeler Säule. Durch den Verzicht auf eine Einordnung simplifiziert der Katalog hier also. Leider werden auch insgesamt einordnende und einen Überblick über die Entwicklung der Polychromie bietende Ausführungen vermieden oder doch sehr knapp gehalten. Und so wird auch die Ganosis, der Überzug des Marmors mit Wachs, nicht behandelt, die Polychromie zieht aber die Nicht-Polychromie als bewusste Entscheidung nach! Gleiches gilt für die inhaltlich vereinzelte Betrachtung der Farbigkeit antiker Architektur. Da die Aphaia-Giebel für die Glyptothek und die Ausstellung besonders wichtig sind, stellt die neue Farbrekonstruktion des Aphaia-Tempels durch Hansgeorg Bankel eine Folgerichtigkeit dar, die als Einzelstudie überzeugt. Wieso aber unvermittelt eine knappe Skizzierung der gemalten Wanddekoration in der 'Aula del Colosso' des Augustus-Forums in Rom aufgenommen wurde, die zudem gegenüber älterer Literatur wenig Neues bietet, ist unklar. Hier wird der Eindruck einer Singularität erzeugt, der überlieferungsbedingt ist, wie ein Hinweis auf weitere augusteische Cella-Dekorationen, etwa des Apollo-Sosianus-Tempels, gezeigt hätte.

Abgesehen von dieser marginalen Kritik zeigen Ausstellung und Katalog an ausgewählten Monumenten antiker Plastik aber eine Fülle von wichtigen Ergebnissen. Dazu gehört auch, dass die antiken Schriftquellen zur Farbigkeit von Plastik von Oliver Primavesi erneut zusammengestellt, neu gelesen und umfassend kommentiert wurden (ein Abdruck des entsprechenden Kapitels aus Vinzenz Brinkmanns 2003 erschienenem Buch). Der Katalog zur Ausstellung stellt damit einen wichtigen Fortschritt in der Erforschung der antiken Polychromie dar und ist zur Lektüre uneingeschränkt empfohlen.


Anmerkungen:

[1] Patrik Reuterswärd: Studien zur Polychromie der Plastik, Stockholm 1960; Konstantinos Yfantidis: Die Polychromie der hellenistischen Plastik, 1984; und Valentina Manzelli: La policromia nella statuaria greca arcaica, Roma 1994.

[2] Vinzenz Brinkmann: Die Polychromie der archaischen und frühklassischen Skulptur, München 2003.

[3] Siehe zum Beispiel Vinzenz Brinkmann: La polychromie de la sculpture archaïque en marbre, in: Pact 17 (1987), 35 ff.

Torsten Mattern