Rezension über:

Matthias J. Fritsch: Religiöse Toleranz im Zeitalter der Aufklärung. Naturrechtliche Begründung - konfessionelle Differenzen (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert; Bd. 28), Hamburg: Felix Meiner Verlag 2004, XIV + 409 S., ISBN 978-3-7873-1658-8, EUR 86,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Jürgen Overhoff
Historisches Seminar, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Overhoff: Rezension von: Matthias J. Fritsch: Religiöse Toleranz im Zeitalter der Aufklärung. Naturrechtliche Begründung - konfessionelle Differenzen, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 2 [15.02.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/02/7742.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Matthias J. Fritsch: Religiöse Toleranz im Zeitalter der Aufklärung

Textgröße: A A A

Dass das 18. Jahrhundert als Epoche zu verstehen ist, in der die Forderung nach einer umfassenden Verwirklichung religiöser Toleranz zur "Losung" wurde, die "unter den besseren Köpfen und Geistern" galt (wie sich Goethe in "Dichtung und Wahrheit" auszudrücken beliebte) und in der Folge auch sehr weitreichende verfassungsrechtliche und soziale Konsequenzen nach sich zog, gehört heute zu den am häufigsten beschworenen Binsenwahrheiten der Geschichtswissenschaft: Und wirklich haben vor nunmehr über 200 Jahren so einflussreiche Autoren wie William Penn, John Locke, Montesquieu, Voltaire oder Immanuel Kant in selten prägnanter Form den unschätzbaren Wert der Toleranz beschrieben, wurden zunächst in der nordamerikanischen Kolonie Pennsylvania, dann auch in vielen europäischen Staaten - noch vor dem Ausbruch der Französischen Revolution - "Toleranzpatente" erlassen, die diesen Namen auch zweifellos verdienten.

Fritsch interessiert sich in seiner Studie zur religiösen Toleranz im Zeitalter der Aufklärung nun nicht für die allmähliche Umsetzung der Toleranz, den Mechanismus ihrer Ausbreitung oder die befreiende Wirkung, die sie in den verschiedenen Sphären der Gesellschaft im 18. Jahrhundert zu entfalten begann, sondern ausschließlich für den von ihren Verfechtern geführten "Begründungsdiskurs" (XII). Dabei spürt er weniger den moralphilosophischen, politischen, theologischen oder humanitären Argumenten der großen Vordenker der Epoche nach als vielmehr der naturrechtlichen Begründung von Toleranz, wie sie von den heute weniger bekannten Schulphilosophen an deutschen Universitäten gelehrt wurde. Auf diese Weise will er ermitteln, wie religiöse Toleranz "so stichhaltig begründet" werden konnte, dass sie auch den zukünftigen "subalternen Staatsbediensteten, Klerikern und Kirchendienern dieser Zeit" (XI) im Rahmen ihrer akademischen Ausbildung einsichtig zu machen war.

Dass Fritsch vornehmlich Handbücher, Kompendien, akademische Reden oder gedruckte Disputationen von zumeist in Vergessenheit geratenen Universitätsdozenten auswertet, um den Toleranzdiskurs im 18. Jahrhundert zu analysieren, verdient Respekt, da die Reichweite und Breitenwirkung dieser Texte in der damaligen Zeit gewiss erheblich war und heute zumeist unterschätzt wird. Ebenso wie Ursula Stephan-Kopitzsch und Christoph Schäfer, die in ihren einschlägigen Studien zur Toleranzdiskussion im Zeitalter der Aufklärung Zeitschriften, Journale und andere Produkte der Publizistik zum Gegenstand ihrer Untersuchung machten, hält Fritsch also die Aussagekraft scheinbar peripherer Texte für durchaus bedeutend. Dass der räumliche Rahmen der Studie sich nur auf das Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erstreckt, ist eine sinnvolle und legitime Entscheidung des Autors, der ja trotz dieser freiwillig vorgenommenen Einschränkung eine eindrucksvolle Fülle von Quellentexten zu Rate ziehen kann.

Ganz ohne die "großen" Denker kommt Fritsch in seiner Studie allerdings nicht aus, da er im einleitenden Teil seines Buches zunächst skizziert, welchen Stellenwert die Begründung der Toleranz im Denken von Samuel Pufendorf, Christian Thomasius und Christian Wolff hatte, den drei Autoren also, die maßgeblich zur Entstehung und Ausprägung des älteren deutschen Naturrechts beitrugen, an dem sich die Schulphilosophie im 18. Jahrhundert orientierte. Denn die von den drei Autoren einmütig geteilte - und für ihr Denken grundlegende - Ansicht, dass sich aus dem Zweck des diesseitig-säkulär bestimmten Staates kein Recht auf eine bestimmte Religion der durch diesen Staat geschützten Bürger ableiten lässt, fand bei der nachfolgenden Generation deutscher Schulphilosophen beinahe einhellige Zustimmung.

Im Hauptteil seiner Studie untersucht Fritsch dann im Detail das Werk der 17 einflussreichsten protestantischen und katholischen Schulphilosophen des 18. Jahrhunderts, die den von ihnen betreuten Studenten die Bedeutung der Toleranz in teilweise sehr ausführlichen naturrechtlichen Argumentationsgängen nahe zu bringen suchten. Die Auswahl dieser Autoren ist im Übrigen das eindrucksvolle Ergebnis der Auswertung von Vorlesungsverzeichnissen der wichtigsten deutschen Universitäten. Zu den von Fritsch behandelten akademischen Lehrern zählen demnach so gestandene Gestalten wie Johann Franz Budde, Joachim Georg Darjes und Gottfried Achenwall, aber auch nahezu vollständig vergessene Autoren wie Daniel Nettelbladt, Franz Schmier oder Johann Caspar Barthel. Nicht nachvollziehbar und recht willkürlich nimmt sich allerdings Fritschs Entscheidung aus, den glänzenden Göttinger Staatsrechtler Johann Stephan Pütter in seiner Studie nur deswegen nicht mitzubehandeln, weil dessen Interesse am Naturrecht angeblich "von Anfang an nicht sonderlich ausgeprägt" (162) gewesen sei.

Zu welchem Ergebnis gelangt Fritsch nun in seiner mit viel Akribie erstellten Studie? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die konfessionellen Differenzen zwischen protestantischen und katholischen Autoren erstaunlich gering waren, wenn man einmal davon absieht, dass die Toleranzdebatte im katholischen Deutschland später aufgenommen wurde als in den protestantischen Teilen des Reiches. Denn die Vertreter beider Konfessionen, die aus der Erfahrung von Gewalt und Krieg gelernt hatten, dass die Absolutheitsansprüche der verschiedenen christlichen Bekenntnisse unvereinbar waren - und dass demnach religiöser Pluralismus als Grundbedingung des politischen und sozialen Friedens zu gelten hatte -, optierten mehrheitlich für eine staatsrechtliche Begründung der Toleranz, wonach politisch gute und friedliche Religionen jederzeit geduldet werden sollten.

Da aber die von Fritsch untersuchten Autoren ihre Begründung der Toleranz fast durchgängig auf das ius circa sacra des jeweiligen Landesherrn stützten und es letztlich in das Belieben des Fürsten stellten, eine bestimmte Religionsgemeinschaft zu dulden oder zu verbieten, fand das Modell eines vor Eingriffen des Staates geschützten Persönlichkeitsrechtes in der deutschen Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts noch keine größere Beachtung. Fritsch merkt dazu lakonisch an, dass die Vorstellung von "Menschenrechten", die "fundamentaler als das summum imperium sind und durch dieses nicht eingeschränkt werden können"(368), bei den von ihm analysierten deutschen Universitätsdozenten noch gar nicht entwickelt war. Dies aber bedeutete, dass religiöse Toleranz, die zwar prinzipiell eingefordert wurde, aber sowohl in der Theorie wie in der Praxis von der Willkür des Fürsten abhängig blieb, kein gesichertes Gut war, wie gerade die prekäre Stellung der Juden - an die Fritsch in einem Exkurs über Moses Mendelssohn auch erinnert - nachdrücklich unter Beweis stellt.

Deshalb fällt Fritschs Resümee seiner eigenen Studie auch viel zu optimistisch aus - und klingt fast ein wenig salopp -, wenn er kurzerhand behauptet, dass die von ihm untersuchten Schulphilosophen mit dazu beigetragen hätten, "die Menschenrechtsdeklarationen des 18. Jahrhunderts" und auch die "Zielrichtung" der "deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts" vorzubereiten, "bis sich schließlich in der Verfassung der Paulskirche von 1849 erstmals in Deutschland die Anerkennung der Glaubens- und Gewissensfreiheit als Grundrecht findet"(369). Liest man Fritschs Buch jedoch nicht mit dem Ziel, in der Schulphilosophie der Deutschen Aufklärung unbedingt Vorformen eines modernen Toleranzbegriffes zu finden, erweist sich der Text als sehr aufschlussreiche Lektüre, die einen tiefen Einblick in das doch noch sehr konservative Denken deutscher Staatsrechtler im 18. Jahrhundert bietet, wie es in dieser Form bislang noch nicht untersucht worden ist.

Jürgen Overhoff