B. M. Lavelle: Fame, Money, and Power. The Rise of Peisistratos and 'Democratic' Tyranny at Athens, Ann Arbor: University of Michigan Press 2005, XIV + 370 S., 10 fig., ISBN 978-0-472-11424-5, GBP 37,00
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Die archaische Tyrannis bei den Griechen ist ein vielschichtiges Phänomen. Zwischen der Usurpation des Kypselos von Korinth und dem Regime der Peisistratiden haben sich Voraussetzungen und Rahmenbedingungen lokal begrenzter Herrschaften einzelner Machthaber in der hellenischen Poliswelt in mehrfacher Hinsicht erheblich verändert. Während Korinth um die Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. sich noch im Übergang von einer vorstaatlichen Gesellschaft zu einer Polisgemeinschaft befand, hatte das institutionelle Gefüge Athens durch die Reformen Solons bereits schärfere Konturen gewonnen, als Peisistratos nach zwei gescheiterten Versuchen gleichsam im dritten Anlauf die Herrschaft in Athen zu gewinnen vermochte.
Im Blick auf die historische Kontinuität in Athen und auf die Maßnahmen Solons sucht Lavelle zunächst zu zeigen (1-16), dass Peisistratos die Interaktion zwischen dem athenischen Demos und seiner Führung noch mehr aktiviert habe, sodass seine Herrschaft als "demokratische Tyrannis" zu werten sei. Peisistratos habe nicht nur wie Solon, sondern auch wie Megakles, sein Rivale im Kampf um die Herrschaft, und wie später die demokratischen Führungskräfte der Athener die dominierende Position mit Zustimmung des Demos gewonnen. Die Voraussetzung hierfür seien sein Kriegsruhm und seine finanziellen Mittel gewesen. Er habe die Stärke und Bedeutung des athenischen Demos erkannt und diesen notwendigerweise "kooptiert", um seine politische Führungsposition auszubauen und zu erweitern (16). Bereits in der Einleitung zeichnet sich ab, dass Lavelle nicht hinreichend differenziert. Er berücksichtigt hier die Entwicklung der Rahmenbedingungen politischen Handelns zu wenig und vereinfacht dementsprechend die Probleme. In Athen hatte der Demos offenbar ebenso wie in einer Reihe anderer Poleis schon vor Solon an Bedeutung gewonnen. In der Darstellung der epischen Dichter bildeten Heeres- und Volksversammlungen zwar noch keine regulären Institutionen mit fixierten Kompetenzen. Die dominierenden Personen und ihre Ratgeber können aber bereits in den homerischen 'face-to-face societies' die Stimmung im Demos nicht einfach ignorieren (Odyssee 14,239). Die führenden Schichten waren ihrerseits an der Einbindung der Funktionsträger in die entstehenden und sich allmählich stabilisierenden Institutionen interessiert, wenn auch rivalisierende Adelsfaktionen sich gewissermaßen als Störfaktoren erwiesen und hierdurch der Aufstieg von Usurpatoren in einer Reihe von Gemeinwesen begünstigt wurde. Es gelang den Tyrannen aber nicht, monarchische Herrschaftsformen dauerhaft zu institutionalisieren. Auch Peisistratos hatte keine unbegrenzten Handlungsmöglichkeiten. Dies besagt aber noch nicht, dass er eine "demokratische Tyrannis" ausübte. Peisistratos war vor seinem Sieg bei Pallene gar nicht in der Lage, gegen starken Widerstand in der Oberschicht sich längere Zeit zu behaupten.
Den Weg des Peisistratos zur Macht erörtert Lavelle auf breiter Basis (17-115), indem er eine Verbindung konstruiert zwischen den Sagen vom Sieg des Neleiden Melanthios über den Boioterkönig Xanthos und den Verdiensten des Peisistratos im Krieg der Athener gegen die Megarer. Ähnlich wie Melanthios habe Peisistratos den Anspruch auf eine "speergewonnene Herrschaft" über Athen erhoben und bereits bei seiner ersten Usurpation der Macht um 560 v. Chr. durchgesetzt. Der Bericht Herodots (1,59,4) erlaubt aber kaum derartige Kombinationen. Die Besetzung der Akropolis von Athen durch Peisistratos und seine 'Leibwache' erwies sich schon nach kurzer Zeit als Fehlschlag, sodass von der Errichtung einer Tyrannis um 560 keine Rede sein kann.
Im Rahmen einer Beurteilung der militärischen Funktionen des Peisistratos im Krieg zwischen Athen und Megara um den Besitz von Salamis und Eleusis erörtert Lavelle ausführlich das Verhältnis zwischen den beiden Poleis seit dem Putschversuch Kylons. Als wichtiges Ergebnis jenes Krieges bezeichnet er das Ende der Expansion der Megarer am Saronischen Golf nach dem Erfolg des Peisistratos in den Kämpfen bei Nisaia. Erst hierdurch sei seine erste Usurpation möglich geworden (64 f.). Die Athener hatten indes Nisaia nicht zu behaupten vermocht, und die Popularität, die Peisistratos als Heerführer gewonnen haben mag, war noch keine Garantie für die Durchsetzung seines Machtanspruchs in Athen, wie das Scheitern seiner Besetzung der Akropolis zeigen sollte.
Im Verlauf seiner so genannten zweiten Usurpation soll Peisistratos eine seltsame Maskerade veranstaltet haben, als er bei seinem Einzug in Athen eine hoch gewachsene Frau als Athena ausstaffieren und als seine Begleiterin auftreten ließ. Diese Episode wird kontrovers interpretiert und von einer Reihe von Forschern als unhistorisch bezeichnet, zumal die Szene bei Aristoteles, Athenaion Politeia 14,4, später datiert wird als bei Herodot 1,60,4. Lavelle vermutet, dass Peisistratos sich mit einem altertümlichen Festzug als legitimen und von Athena erwählten Herrscher präsentieren wollte (99-107). Auf den altorientalischen Symbolgehalt dieses Rituals [1] geht Lavelle nicht näher ein.
Die Aktivitäten, die Peisistratos in seinem etwa zehnjährigen Exil entfaltete, als er in Rhaikelos am Thermaïschen Golf und sodann vor allem im Pangaiongebirge Edelmetallvorkommen ausbeuten ließ und zuletzt von Eretria aus seine alten Verbindungen zu verschiedenen griechischen Adelshäusern zu festigen suchte, um eine militärische Aktion gegen Athen vorzubereiten, schildert Lavelle ausführlich und informativ (116-139). Wenig wahrscheinlich ist aber seine Interpretation der Angaben Herodots 1,64,4 über finanzielle Ressourcen des Peisistratos. Er bezieht die Textstelle lediglich auf Einkünfte des Peisistratos aus Minen am Strymon bis zu seiner dritten 'Machtergreifung' in Athen (129 f.). Der Kontext deutet aber darauf hin, dass Peisistratos auch weiterhin jene Einnahmen zur Verfügung hatte.
Im Anschluss an seine Darstellung der Landung des Peisistratos bei Marathon und der Schlacht bei Pallene (133-154) analysiert Lavelle zusammenfassend die Ziele des Tyrannen auf seinem Weg zur Macht und die Strukturen seiner Herrschaft (155-167). Er kommt zu dem Ergebnis, dass Peisistratos während seiner dritten Tyrannis ergiebige Quellen des Wohlstandes für den Demos zu erschließen und eine Partnerschaft mit dem Demos zu begründen vermochte. Peisistratos sei für seine athenischen Zeitgenossen ein Mann von ungewöhnlichen Fähigkeiten gewesen, der die Grenzen der Legalität nicht überschritten habe (162). Die späteren demokratischen Führer Athens hätten den gleichen Weg beschritten wie Peisistratos im 6. Jahrhundert. Dies sei möglich gewesen, weil die Tyrannis in Athen populär gewesen sei und eine demokratische Grundlage besessen habe. Lavelle bezeichnet Peisistratos geradezu als "prototype for later democratic leaders of Athens" (166).
Der Gesamteindruck des Werkes bleibt zwiespältig. Lavelle hat offenbar Anstoß genommen an der kritischen Beurteilung, die die Tyrannis im 5. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland erfahren hat. Der aus griechischer Sicht unvereinbare Gegensatz zwischen Polisordnung und Tyrannis lässt sich aber nicht beschönigen. Peisistratos kann nicht zum Vorläufer demokratischer Führer in Athen stilisiert werden. Er war zweifellos gar nicht in der Lage, die solonischen Nomoi zu beseitigen, weil er nicht die erforderlichen Ressourcen besaß, um die funktionsfähigen Institutionen der Polis durch einen eigenen Erzwingungsstab zu ersetzen. Seine Tyrannis war keine Zeit der Vorbereitung der klassischen Demokratie, sondern führte in eine Sackgasse, aus der die Athener letztlich dank der Intervention der Spartaner herausfanden.
Anmerkung:
[1] Dazu ausführlich V. Fadinger: Peisistratos und Phye, in: W. Pircher / M. Treml (Hg.), Tyrannis und Verführung, Wien 2000, 9-70.
Karl-Wilhelm Welwei