Lutz Fichtner: Die Industrie als Kunstmäzen und Auftraggeber in der Deutschen Demokratischen Republik. Die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXVIII: Kunstgeschichte; Bd. 409), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, 323 S., ISBN 978-3-631-53441-0, EUR 56,50
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Julia Landau / Enrico Heitzer (Hgg.): Zwischen Entnazifizierung und Besatzungspolitik. Die sowjetischen Speziallager 1945-1950 im Kontext, Göttingen: Wallstein 2021
Christa Wolf: Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten. Briefe 1952-2011. Herausgegeben von Sabine Wolf, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 2016
3529 Werke der bildenden und angewandten Kunst, darunter 534 Gemälde und 2923 Drucke, alle fachkundig inventarisiert, verfilmt und verwahrt, - kein lückenloser, aber ein kompakter Fundus von Kunstwerken, die unter spezifischen Umständen in der DDR in Auftrag gegeben, erworben, gesammelt und großteils ausgestellt worden sind. Sie gehörten einem einmaligen Staatsunternehmen der Montanindustrie, einer sowjetisch gelenkten Aktiengesellschaft in zuerst rein sowjetischem, dann UdSSR-DDR-Eigentum. Es beschäftigte 1946-1990 fast eine halbe Million Menschen im Uranbergbau. 850 der Kunstwerke zieren bis heute Konferenzräume, Foyers und Büros. Was lässt sich damit anfangen?
Man kann Bilder ausstellen und verleihen. Man kann Bücher schreiben: Kataloge, Verzeichnisse, auch wissenschaftliche Betrachtungen zur Entstehungsgeschichte des WISMUT-Fundus, zu inhaltlichen Schwerpunkten, künstlerischen Mitteln, Schulen und Traditionen, zur Rezeptionsgeschichte, zu den politischen Rahmenbedingungen, Zensur und Indoktrination. Künstlerische Leistungen interessieren und Fehlleistungen. Lutz Fichtner hat eine kunsthistorische Dissertation zu alledem vorgelegt. Er will "die detailreiche Geschichte einer Kunstszene mit all ihren Widersprüchen" rekonstruieren, wohl wissend, dass eine "mutig vorangetriebene Vergangenheitsbewältigung" hier auf "hochsensiblem Terrain" stattfinden muss (14). Der Forschungsstand ließ ihn insbesondere das Phänomen der staatlichen Auftragskunst ins Visier nehmen.
Doch bereits die Ausgangsüberlegungen nähren Zweifel am fachlichen Fundament der Studie. Gewiss, ohne entsprechende Beratung kann eine Formulierung zum geschichtlichen Umfeld misslingen: "Lenins 'Neue Ökonomische Politik' (1921) [drängte] sowohl den 'Proletkult' als auch die Avantgarde zu Gunsten des sozialistischen Realismus zurück" (15 f.). Doch liegt das "Unverdauliche" mehr im Bereich des eigentlichen Themas, der Ästhetik. Sprachliche Nachlässigkeit erschwert die Debatte. Was soll das sein, "das marxistisch-leninistische Grundprinzip der Arbeiterklasse" (13)? Es ließe sich darüber streiten, ob der sozialistische Realismus in der DDR "im Großen und Ganzen [...] ein politisches Instrument zur ästhetischen Erziehung einer Nation zur Machterhaltung der Herrschenden" war (19). Indes vergeht einem die Lust gehörig, wenn es heißt: "Lernen durfte man deshalb nur von Kunstepochen, Stilen und Strömungen, in dem nach Marx festgeschriebenen 'Formationszwang der Geschichte', die den Grundprinzipien der 'sozialistisch-realistischen Kunstmethode' [...] Rechnung trugen [...]; als da zu nennen wären: der Klassencharakter der Kunst, ihre eindeutig definierte Parteilichkeit, ihre Volksverbundenheit und ihr Wirklichkeitsbezug" (19 f.). Welche Kunstepochen im "Formationszwang" mögen das wohl gewesen sein, die den Grundprinzipien des sozialistischen Realismus Rechnung trugen, darunter der - keineswegs mehrdeutig definierten - Parteilichkeit?
Fichtner greift, so erklärt er, auf das Instrumentarium der soziologischen Kunstgeschichte zurück, wenn er für den Fundus und für Einzelwerke fragt: "Wie lassen sich die [...] Realitäten Künstler - Kunstwerk - Rezipient auf ein Großunternehmen im real existierenden Sozialismus übertragen?" (27). Dabei ist er sich des von Martin Sabrow diagnostizierten "chronischen Mangels an Selbstkritik" in der DDR-Geschichtsschreibung bewusst. Aber wie kann der überwunden werden? Mit modischen Worthülsen wie "Politbürokratie" - hier: "Menschen [...], die es ganz zu Anfang einmal besser wissen wollten" (279); ihre "Instanzen" waren das Kulturministerium, die Humboldt-Universität, SED-Parteitage und -beschlüsse, Kunsthochschulen und der Verband bildender Künstler (291)?
Oder heißt auseinandersetzen, sich auf Schritt und Tritt mit Gänsefüßchen von etwas zu distanzieren? Wissenschaftliche Kritik ist auch das noch nicht, zumal, wenn es ohne erkennbares Kennzeichnungsprinzip geschieht. "Vermittlung eines 'linientreuen' Weltbildes" (76). Ist das in Anführungszeichen Gesetzte nun ein Originalausdruck oder ist Linientreue einfach nur kritikwürdig? Distanzierungssucht kann auch richtige Pannen verursachen. "Obgleich die DDR den Atombombenabwurf als vom 'amerikanischen Aggressor' so gewollten Akt deutete [...]" (116), bekennt die Rezensentin, bei Bombenabwürfen andere Absichten für ausgesprochen selten zu halten. "Die 'Betriebsfestspiele' [...] bewährten sich nach Meinung der Funktionäre am besten in der Praxis." (81) Und nach wessen Meinung "bewähren" sich Festspiele in der Theorie?
Fichtners Kunstanalysen ist anzusehen, dass es ihm nicht um Pauschalurteile geht. Er erkennt künstlerische Leistung durchaus auch in Werken "arrivierter bildender Künstler" (119) der DDR. Unter Funktionären und Kunstverwaltern benennt er aufrichtig Engagierte. Doch reicht diese Haltung nicht aus, um sich gegen aktuelle Trends des Aburteilens durchzusetzen; im kunsttheoretischen Diskurs um den sozialistischen Realismus überzeugt Fichtner nicht.
Die Kunstsammlung wird mit Fakten zum Umfang und zu ihrer in Phasen eingeteilten Geschichte vorgestellt, das Großunternehmen als Kunststifter und Organisator von Ausstellungen und Pleinairs. Bei den kulturpolitischen Strukturen geht's durcheinander: Gewerkschaftliche, staatliche und SED-Einrichtungen sind nicht deutlich voneinander unterschieden. Die Institutionen des betrieblichen Kulturlebens hätten verständlicher dargestellt werden müssen. Warum das Auftragswesen als ursprünglich gewerkschaftliches zu einem staatlichen wurde, bleibt unklar. Zur formalen Seite der Auftragsvergabe sind viele Details zu erfahren, doch den durchschimmernden Problemen im Spannungsfeld zwischen "gewissen sozialpolitischen Beweggründen" (95) des Vertragsabschlusses und rezeptionspolitischen Zwecksetzungen geht Fichtner nicht nach.
Das Buch stellt in seinem mittleren Teil einen Mix aus katalogähnlichen Bildbeschreibungen, Künstlerbiografien, Werksanalysen und allgemeinen Betrachtungen zur DDR-Kunst dar. Dabei sind Zitate aus Quellen und Fachliteratur gelegentlich ohne jede Reflexion in die Darstellung montiert. Ein kleines Kapitel stellt Monumentalkunst vor, aus einem Dokumentarfilm sind Redepassagen abgedruckt. Fichtners Stärke liegt bei den Beschreibungen bestimmter Werksgeschichten, wenn er sie mit Hinweisen auf die Förderung und die Rezeption kombiniert. Hier zeigt er auch in sachlicher Formulierung inhaltliche Souveränität. Es hätte genügt, dies zu einer allgemeinen Aussage auf mittlerer Abstraktionsebene zu verdichten.
Erschwert wird die Lektüre durch die Ausgliederung des Teilthemas "sozialistisches Menschenbild am Beispiel des Bergarbeiterbildes" in ein gesondertes Kapitel. Es ist der geschichtlichen Zusammenhänge beraubt, während die separate Sammlungsgeschichte noch zu viel Bildinhaltsanalyse enthält. Fichtner kann sich auch nicht von der Art Text lösen, die Ausstellungen begleitet, hier aber nicht funktioniert. Die wortreiche Beschreibung von Themen, Linienführungen, in Akzentuierung mündenden Einsichten, geistigen Anleihen und handwerklichen Eigenarten ersetzt den Blick aufs Kunstwerk ja nicht. Gesellschaftliche Bezüge wirken hier aufgesetzt.
Die Bildinhalte sparsamer und konzentrierter vorgestellt, hätte Fichtner das wirklich Interessante ausführlicher ergründen können: Die die erforschte Unternehmensentwicklung einbindende Geschichte einer Kunstförderung (inklusive Zensur) in einer bestimmten Region, durch einen Großbetrieb mit besonderem Produktionsprofil, komplizierter Leitungsstruktur, starker Bindung an die Sowjetunion und eigentümlichem Betriebsklima. Im Schlusskapitel geht Fichtner es an, gleitet aber erneut ab in Betrachtungen über Kunst, Mythos und Ideologie. Besagte Kunstsammlung nahm ihren Anfang vom "Bitterfelder Weg", einem gut erforschten Abschnitt der DDR-Kunstgeschichte. Seinerzeit schon von dem Kunstexperten Rolf Düsedau, dem späteren Kustos der WISMUT-GmbH, beschrieben, hätte sie nun nicht so sehr einer erneuten allgemeinen Betrachtung zur Stellung des Künstlers, zu den persönlichkeitsbildenden Aufgaben der Künste in der DDR und den ideologischen Zwängen bedurft, sondern einer im Aufbau gründlicher durchdachten, stringenten Darstellung des Wismut-Spezifischen und seiner Ursachen.
Elke Scherstjanoi