Rezension über:

Volker Gaul: Möglichkeiten und Grenzen absolutistischer Herrschaft. Landesherrliche Kommunikationsstrategien und städtische Interessen während der Pest in den Herzogtümern Schleswig-Holstein-Gottorf (1709-1713), Tönning: Der Andere Verlag 2005, 256 S., ISBN 978-3-89959-321-1, EUR 31,90
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Rezension von:
Malte Bischoff
Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Malte Bischoff: Rezension von: Volker Gaul: Möglichkeiten und Grenzen absolutistischer Herrschaft. Landesherrliche Kommunikationsstrategien und städtische Interessen während der Pest in den Herzogtümern Schleswig-Holstein-Gottorf (1709-1713), Tönning: Der Andere Verlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/8762.html


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Volker Gaul: Möglichkeiten und Grenzen absolutistischer Herrschaft

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Die historische Forschung zur Frühen Neuzeit hat seit langem Probleme mit dem Begriff Absolutismus, wenn er eine allumfassende Macht und Präsenz des Landesherrn und seines Herrschaftsapparates im Territorium suggeriert, die an monokratische Strukturen modernerer Prägung denken lässt. Aus allen Richtungen der Geschichtswissenschaft erhoben sich Einwände insbesondere aus Einzelstudien, deren Verfasserinnen und Verfasser in der Regel zu dem Ergebnis gekommen waren, dass eine tief greifende und kontinuierliche Ausübung monopolistischer, absoluter Macht in jener Zeit kaum möglich war. Das Paradebeispiel Frankreich unter Ludwig XIV. kam diesem Ideal gewiss am nächsten, doch zeigten gerade regionale Studien über die Landesherrschaften im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, wie viel anders die Dinge doch außerhalb des sonnenköniglichen Herrschaftsbereichs lagen.

Auch die Arbeit von Volker Gaul, die bei Otto Ulbricht in Kiel entstanden ist und dort 2004 als Dissertation angenommen wurde, hat eine Region im Blickfeld, deren Landesherren um absolutistische Verhältnisse bemüht waren: der dänische König, in Personalunion auch Herzog von Schleswig und Holstein, und der meist in dessen Schatten stehende Gottorfer Herzog. Beide verfügten über ein eigenes Territorium, übten aber auch Bereiche der Landesherrschaft gemeinsam aus.

Volker Gaul wählte für seine Untersuchung einen kurzen Zeitraum, in dem sich die Geschichte dieses Gebiets durch zwei Ereignisse gleichsam verdichtete: der Nordische Krieg 1700-1721, in dem die Frage der Zukunft des Gottorfer Staates eine bedeutende Rolle spielte, und die Pest, die sich, aus Osteuropa kommend, 1711 in Schleswig und Holstein ausbreitete. Der Verfasser fragt, ob diese besondere Situation die Herausbildung absolutistischer Strukturen hervortreten ließ oder deren Entwicklung begünstigte. Als Ziel der Arbeit definiert er etwas abstrakt "die Darstellung des medialen Konstruktionsversuchs von Realität zum Zweck der Beeinflussung von Menschen (der politischen Führungsschicht) auf Menschen (als deren Untergebene) in einer Krisenzeit vor ca. 300 Jahren unter Berücksichtigung der informellen Kommunikation" (7).

Den Verfasser interessiert in erster Linie der landesherrliche Medieneinsatz. Er befasst sich mit Berichten und Reskripten, Pesttraktaten, Zeitungen, öffentlichen Anschlägen und der Wirkung der Galgen auf die Bevölkerung. Er hinterfragt die Wirksamkeit von Vögten und Pastoren, Pestpredigern, Pestwachen und Strandreitern. Und er wendet sich dem Einfluss von Gerüchten zu. Vier Städte unterschiedlicher Struktur bilden in geographischer Hinsicht sein Untersuchungsgebiet: Zunächst Flensburg, dessen Handel durch falsche Gerüchte über eine per Schiff in die Stadt gelangte Pest schwer getroffen wurde. Die Zusammenarbeit mit dem König war in dieser Phase sehr schlecht. Dann Kiel, das von der Pest verschont blieb. Hier wollte der Rat der Stadt massiv gegen die Pest vorgehen, wurde aber durch die eigene Geldnot und Differenzen mit anderen Obrigkeiten - etwa der Universität - stark behindert. Ferner die Festungsstadt Rendsburg, in der Maßnahmen gegen die Pest trotz potentiell guter Kommunikationsmöglichkeiten durch den Machtkampf von Kommandant, landesherrlichem Amtmann und Rat ineffektiv waren. Und schließlich Itzehoe, das durch vier konkurrierende Jurisdiktionen in der Stadt gleichfalls kaum zu konzertiertem Wirken gegen die Seuche in der Lage war.

Volker Gaul kommt zu dem Ergebnis, dass eine systematische Bekämpfung der drohenden oder eingeschleppten Pest für diese Kriegsjahre kaum verzeichnet werden kann. Unter den örtlichen Obrigkeiten gab es selten Einigkeit. Und die Landesherren - dänischer König in Flensburg, Rendsburg und Itzehoe, Gottorfer Herzog in Kiel - nutzten diese Krise der Städte, um ihre Macht zu erweitern. Durch viele kleine Maßnahmen unterminierten sie die Eigenständigkeit der Städte. "Jede einzelne dieser Maßnahmen macht zwar lediglich einen kleinen Nadelstich in der schützenden Decke der städtischen Autonomie aus und zeugt nicht von einem rigiden absolutistischen Verhalten, aber die Tendenz ist eindeutig zu erkennen und durch die doppelte Notsituation aufgrund von Pest und Krieg motiviert worden" (230). So wandelte sich die Verfassungswirklichkeit in den Städten im Zeitraum 1709-1713 deutlich zu Gunsten der Landesherren. Seuche und Krieg wurden zum " Glücksfall" für die absolutistisch bemühten Fürsten, die dabei sehr subtil vorgingen, also keinen "polternden" Absolutismus praktizierten. Ansatzpunkt war die Hilflosigkeit der Städte bei der Bekämpfung von Pest und Krieg, ohne dass freilich die Landesherren dabei dann erfolgreicher gewesen wären! Aber darum ging es eben gar nicht.

Zweifellos verfolgt Volker Gaul mit seiner Dissertation einen sehr interessanten Ansatz. Der Untersuchungszeitraum und die Beispielstädte sind gut gewählt. Vielleicht hätte die Quellenbasis etwas erweitert werden können. So vermisst der Rezensent unter den Quellennachweisen die Überlieferung der Lokalverwaltungen der Ämter, wie überhaupt Quellen des Landesarchivs Schleswig-Holstein in stärkerem Maße hätten herangezogen werden können. Dieses auch deshalb, weil eine Studie dieses Ansatzes wohl schon an sich auf keine breite Quellenbasis wird zurückgreifen können, wenn man - um ein Beispiel zu geben - etwa die Bedeutung von Gerüchten verifizieren will. Nicht ganz klar ist, warum im Untertitel der Arbeit auf Schleswig-Holstein-Gottorf abgehoben wird, wo doch drei der vier untersuchten Städte dem königlichen Machtbereich angehörten.

Die Ergebnisse des gut lesbaren Buches erscheinen plausibel. Und sie passen ja auch zu vielen anderen der jüngeren Absolutismusforschung. Der Landesherr bedarf schon der Hilfe von Krieg und Pest, um den Absolutismus in den Städten voranzubringen, anders geht es trotz zerstrittener städtischer Gewalten nicht. Und nebenbei erweist sich der Fürstenstaat des frühen 18. Jahrhunderts - wie die Städte auch - als weitgehend hilflos bei der "Konservierung" seiner Untertanen in Zeiten großer Not.

Malte Bischoff