Peter Siewert / Luciana Aigner-Foresti (Hgg.): Föderalismus in der griechischen und römischen Antike, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, 169 S., ISBN 978-3-515-08710-0, EUR 30,00
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Das zu besprechende Buch bietet ein gelungenes Beispiel für ein "europäisches Modul" des Sokrates/Erasmus-Programms der Europäischen Union. Peter Siewert eröffnet den Band mit einem Beitrag über "Föderalismus in der griechischen Welt bis 338 v. Chr." (17-41). Es folgen "Föderalismus in hellenistischer und römischer Zeit: Theorien und Praktiken" von Panagiotis Doukellis (43-79) und "Föderalismus im antiken Italien (bis 89 v. Chr.)" von Luciana Aigner-Foresti (81-116). Den Abschluss macht ein Beitrag von Giuseppe Zecchini über "Föderalismus in der Spätantike: Die Entstehung der föderierten Germanen-Staaten auf römischem Reichsboden" (117-133). Didaktisch nützlich ist ein Kapitel mit deutschen Übersetzungen von 27 zentral wichtigen Quellentexten (135-153). Der Rezensent hätte sich hier noch weitere interessante Quellentexte aus der späten Klassik und dem Hellenismus gewünscht, als die Koina und Sympolitien der griechischen Welt ihre Blütephase erlebten. Vielleicht kann dieses Modul einen Anreiz bieten, Module mit ausführlichem Quellenmaterial zu einem einzigen antiken Bundesstaat zu entwerfen, etwa zum Achäischen Koinon. Ein Literaturverzeichnis (155-165) und ein knapp gehaltenes Register (167-169) zu Namen und Sachbegriffen helfen bei der Benutzung des Werkes und der Vertiefung des Themas. Sinnstörende Druckfehler sind erfreulich selten (z. B. Seite 22: lies Hieromnemonen statt Hierommemonen).
Bekanntlich wird derzeit eine kontroverse Diskussion um ein Verfassungswerk für die Europäische Union und die wünschenswerten Ziele ihrer Entwicklung geführt. Sie stellt inzwischen ein in der bisherigen Geschichte der Föderalstaaten qualitativ neuartiges supranationales Gebilde zwischen einem Staatenbund und einem Bundesstaat dar. In dieser Situation ist die Aktualität eines althistorischen Moduls zum Thema Föderalismus evident, auch wenn der griechische und italisch-römische Föderalismus sich strukturell von der verfassungspolitischen Realität der Bundesrepublik Deutschland oder der Europäischen Union des Jahres 2006 deutlich unterscheiden.
Peter Siewert betont in seinem Beitrag (17-41) zu Recht die auffällig unpräzise antike griechische und römische Terminologie für polisübergreifende föderalstaatliche Systeme. Sie werden meist Koinon, Sympolitie oder Ethnos genannt, können sich durchaus aber auch unter den schon älteren Namen und Strukturen der Amphiktionie und (hegemonialen) Symmachie ausformen. Trotz wichtiger Ansätze bei Aristoteles und Polybios bleiben theoretische Äußerungen zur Beschreibung föderalstaatlicher Gebilde erstaunlich schlicht, wenn man sie mit der differenzierten Diskussion um die Polis vergleicht, obwohl die antike Verfassungsrealität schon eine Vielzahl verschiedenartiger Beispiele föderaler Ordnungen als Anschauungsmaterial bot. Wichtig scheinen mir die Ausführungen Siewerts über die pyläisch-delphische Amphiktionie (22 f.). Die Rolle der Amphiktionien in der Entwicklungsgeschichte des antiken Föderalstaatsgedankens wird nämlich nicht selten unterschätzt. Diese besonders langlebige "panhellenische" Organisation überschritt schon früh nachbarschaftliche Polis- und Stammesgrenzen und umfasste schließlich einen großen Teil Griechenlands, während eine Fortentwicklung ihrer föderalen Organe, Magistrate und Kompetenzen kaum gelang. Doukellis weist ergänzend darauf hin (60 f.), dass zwar die pyläisch-delphische Amphiktyonie den Höhepunkt ihrer Bedeutung im 4. Jahrhundert v. Chr. erreichte, doch ihre Autorität noch über Jahrhunderte bis in die Kaiserzeit hoch blieb. Weil auch die hegemonialen Symmachien ein beachtliches Potenzial zur Weiterentwicklung zu einem Föderalstaat in sich trugen, kann man es als eine verpasste Chance in der Geschichte des antiken Föderalismus bezeichnen, dass sich der Demos Athens und seine Elite von Rhetoren und Strategen nicht dafür eingesetzt haben, den Ersten oder den Zweiten Seebund aus einem Seereich in ein echtes Koinon zu transformieren.
Panagiotis Doukellis behandelt (43-79) mit dem 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. den Zeitraum, als sich mit dem Aitolischen und Achäischen Bund der antike griechische Föderalstaat am höchsten entwickelt hatte, bevor die griechische Staatenwelt unter Roms Herrschaft fiel. Fortan instrumentalisierten die Römer den föderalstaatlichen Gedanken primär zur Sicherung ihrer Herrschaft in Kooperation mit den lokalen Eliten und verhinderten eine konstruktive weitere Entwicklung der hellenistischen Ansätze. Doukellis hält fest, dass die Blüte des Föderalstaatsgedankens im Hellenismus keineswegs kausal und zeitlich einherging mit einem Niedergang des politischen und kulturellen Lebens auf der Ebene der Einzelpoleis. Es bleibt eine epochentypische Spannung zwischen Polis und Koinon sowie dem Anspruch der Poleis und Koina auf Wahrung ihrer Freiheit und Autonomie und dem Machtanspruch hellenistischer Monarchen (bzw. später Roms). In diesem Kontext ist ein Hinweis auf Antigonos Doson sinnvoll, der seine Hegemonie über Hellas auf einen Hellenenbund zu stützen versuchte, der seinerseits bereits aus Föderalstaaten bestand. Im Unterkapitel II,2 (S. 45-52) diskutiert Doukellis nur locker mit dem Hauptthema des Föderalismus verbundene Aspekte, z. B. die Debatte um die Einigung der Griechen von Isokrates bis zu Kaiser Hadrian. Hier hätte gekürzt werden können, um den frei werdenden Raum detaillierteren Beschreibungen der Organe, Magistrate und Geschichte des achäischen und aitolischen Bundesstaates zu widmen (siehe aber insb. 65-67).
Luciana Aigner-Foresti (81-116) nimmt föderale Strukturen der Latiner, Etrusker, Sabeller und Italioten in Italien bis zum Ende des so genannten "Bundesgenossenkrieges" (89 v. Chr.) in den Blick. Besonders das Unterkapitel III,3 (92-97) über die Bünde der etruskischen Städte profitiert von der hohen etruskologischen Kompetenz der Autorin in einer aufgrund der Quellenlage sehr schwierigen Materie. Die Quellenlage setzt auch allen Bemühungen enge Grenzen, das Verhältnis der Römer zu den Latinern vom foedus Cassianum bis 338 v. Chr. exakt zu bestimmen. Trotz einer großen Vielfalt föderaler Ansätze im italischen Raum gewinnt man den Eindruck, dass weder die italischen Stämme noch die Griechen der Magna Graecia ein strukturell wirklich neuartiges und konstruktives Element zur Entwicklung des antiken Föderalismus hinzugefügt haben. Diese Frage wird aber erst klar zu entscheiden sein, wenn eine zusammenfassende aktuelle Monografie über föderalistische Entwicklungen und Strukturen im vorrömischen Italien vorliegt, die ein dringendes Desiderat ist und auch helfen wird, die römisch-republikanische Herrschaftsordnung über Italien besser zu verstehen.
Giuseppe Zecchini widmet sich in seinem abschließenden Beitrag zunächst der wichtigen Differenzierung zwischen den foederati und den dediticii in der hohen Kaiserzeit und dann dem Ursprung der foederati intra fines. Dieses in römischer Tradition neuartige rechtliche und politische Phänomen wurde für die Entstehung von föderierten Germanenstaaten auf römischem Reichsboden grundlegend. Zecchini sieht erst in dem römisch-gotischen foedus von 418 n. Chr. eine entscheidende Zäsur in dieser Entstehungsphase (125-127). Verglichen mit älteren Epochen der griechischen und römischen Geschichte fällt im späten 4. und 5. Jahrhunder umso deutlicher "der Mangel an jeglicher föderalistischer Vorstellung in der spätantiken Kultur und in der politischen Denkweise der Zeit" auf, den Zecchini (132-133) zusammenfassend feststellt. Man kann ihn aus den Reaktionen damaliger Historiker und Redner auf die Frage der Behandlung der Germanen und aus ihrer unqualifizierten Bewertung der tatsächlich im 5. Jahrhundert verwirklichten föderativen Lösungen klar erkennen.
Das Buch richtet sich offenbar primär an Studenten in der Phase der BA-Ausbildung. Wie Siewert und Aigner-Foresti deutlich machen (11), soll es das anspruchsvolle Thema des griechischen und römischen Föderalismus "voraussetzungslos" verständlich machen, aber zugleich durchaus wissenschaftlichen Ansprüchen (u. a. durch die zahlreichen Quellenangaben) genügen und den aktuellen Forschungsstand wiedergeben. Angesichts der großen zeitlichen und sachlichen Spannweite konnte natürlich nicht zu allen vorgestellten föderalen Gebilden eine vollständige Übersicht über den zu einzelnen Organen und Magistraten oft kontroversen Forschungsstand gegeben werden. Alle vier Beiträge zusammengenommen ergänzen sich jedoch sinnvoll zu einer aktuellen Einführung in das Thema des antiken Föderalismus. Wer in der universitären Lehre tätig ist, wird das vorgelegte nützliche Modul nach seinen jeweiligen Bedürfnissen noch um weitere Quellentexte, Karten, Schemata usw. ergänzen können.
Johannes Engels