Erich Schneider: Die ehemalige Sommerresidenz der Würzburger Fürstbischöfe in Werneck (= Quellen und Darstellungen zur fränkischen Kunstgeschichte; Bd. 14), Stegaurach: WiKomm Verlag 2003, 735 S., 211 Abb., ISBN 978-3-86652-814-7, EUR 148,00
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Friedrich Polleroß (Hg.): Reiselust & Kunstgenuss. Barockes Böhmen, Mähren und Österreich. Begleitbuch zur Zweiländerausstellung in den Stiften Gera (Österreich) und Nová Ríse (Tschechien), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2004
Thomas Weiss (Hg.): Oranienbaum - Huis van Oranje. Wiedererweckung eines anhaltinischen Fürstenschlosses. Oranische Bildnisse aus fünf Jahrhunderten, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2003
Die Grundlage der von Erich Schneider nach zehnjähriger Forschungsarbeit vorgelegten Monografie zur barocken Sommerresidenz der Würzburger Fürstbischöfe in Werneck bildet die intensive Auseinandersetzung mit allen zur Planungs-, Bau- und Ausstattungsgeschichte erreichbaren Schrift- und Bildquellen.
Als erfahrener Bauherr unterhielt Friedrich Karl von Schönborn, der seit 1731 den barocken Ausbau Wernecks zum fürstbischöflichen Fasanengarten und Sommerschoss vorantrieb, ein gut funktionierendes Berichts- und Rechnungswesen. Hiervon haben sich Sitzungsprotokolle der Baukommission und des Domkapitels, Rechnungsbücher und, als besonders wertvolle Quelle, ein Briefwechsel erhalten, in welchem Balthasar Neumann als leitender Architekt vor Ort seinem fürstbischöflichen Dienstherrn alle zwei Wochen Bericht erstattete und Friedrich Karl ebenso regelmäßig mit differenzierten schriftlichen Anweisungen antwortete.
Während die Briefe Neumanns schon 1921 durch Karl Lohmeyer publiziert wurden, harrten die nicht minder aufschlussreichen Anweisungen Friedrich Karl von Schönborns bislang der Bearbeitung. Dieses Ungleichgewicht der Quellenedition dürfte nicht allein auf dem Geniekult des 19. und frühen 20. Jahrhunderts beruhen, der die Briefe des Architekten über die des Bauherrn stellte, sondern auch darauf, dass die flüssige Handschrift Friedrich Karl von Schönborns, durchsetzt mit persönlichen Kürzeln, Korrekturen und Ergänzungen, schwer zu lesen ist. Der langwierigen Lesearbeit hat sich Schneider unterzogen und in vorbildlicher Weise die für Werneck maßgeblichen Passagen zusammen mit den übrigen Quellen auf 250 Seiten ediert.
In drei großen Themenkreisen stellt Schneider seine aus dem Quellenstudium gewonnenen Erkenntnisse vor. Den Ersten bildet die in fünf Kapiteln detailliert dargestellte Planungs- und Baugeschichte von Fasanengarten, Schlossgebäude und Innenausstattung bis zum Tod Friedrich Karl von Schönborns im Jahre 1746. Der Zweite ist der Funktion der Anlage und der Organisation des Bauwesens gewidmet. Der Dritte befasst sich mit der Fertigstellung des Inneren im 18. Jahrhundert, mit der klassizistischen Umgestaltung unter Großherzog Ferdinand von Toskana und der 1853 erfolgten Umwidmung zur Krankenanstalt.
Zum übergeordneten Rezensionsthema "Ort und Raum" zeigt sich bei der Bau- und Planungsgeschichte von Schloss Werneck einmal mehr, dass ein barockes Land- oder Lustschloss nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern als Teil des umgebenden Gartens begriffen werden muss. Ausgangspunkt der Planungen war nämlich ein von diagonalen Alleen durchzogener Fasanengarten. In dieses Alleensystem sollte das Schloss ursprünglich in der Weise eingebunden werden, dass die Diagonalen der Eckrisalite abgeschrägt und von Fenstern durchbrochen worden wären, was den Blick vom Schlossinneren in die Diagonalalleen freigegeben hätte (20). Die von Balthasar Neumann eingebrachte fortschrittliche Idee der ähnlich einem freistehenden Pavillon durchfensterten Diagonalen (wie etwa in Dominique Girards Garten von Obersiebenbrunn für den Prinzen Eugen von Savoyen) zeugte von einem freiräumlichen, die Landschaft in die Architektur miteinbeziehenden Denken. Warum sie auf Anraten Johann Lukas von Hildebrandts, den Friedrich Karl als seinem Wiener Hausarchitekten gleichfalls in die Planungen zu Werneck einbezog, aufgegeben wurde, ist den Quellen nicht zu entnehmen. Die Rezensentin vermutet, dass Hildebrandt in seinem feinen Sinn für die Hierarchisierung von Bauformen die abgeschrägten Ecken und den damit einhergehenden verstärkten Lichteinfall dem Mittelrisalit vorbehalten wollte.
Neue Erkenntnisse gewinnt der Autor vor allem zur Vorgehensweise Balthasar Neumanns, zur Organisation des Baubüros und zur schwierigen Finanzierung des gleichzeitig mit dem Weiterbau der Würzburger Residenz vorangetriebenen Wernecker Bauwesens. Neumann, der in Werneck immer wieder in seiner Doppelrolle als Architekt und Ingenieur gefordert war (105), wird als Pragmatiker charakterisiert, der sich für eine ausführungsreife Konkretisierung seiner Planungen in der Regel erst unmittelbar vor Baubeginn entschied. Das zu erwartende finanzielle Ausmaß des Wernecker Bauvorhabens wurde zunächst verschleiert, indem beispielsweise die Hofkammer die vorgesehene Widmung von Steuergeldern für Werneck verschwieg (177). Mit dem Bestreben, das wahre Ausmaß der Planungen herunterzuspielen, hängt es wohl auch zusammen, dass Friedrich Karl noch im April 1732 vorgab, ein Jägerhaus errichten zu wollen (21), während er im September des Vorjahres mit Neumann über bereits die Innenaufteilung des zukünftigen Sommerschlosses korrespondiert hatte (20).
In der viel diskutierten Frage nach den Anteilen Neumanns und Hildebrandts an der Wernecker Planfindung kann der Autor auf die bislang zu wenig beachtete Rolle der beiden wichtigen Neumann-Mitarbeiter Johann Georg Müller und Joseph Raphael Tatz verweisen (163-166 und 224). Insbesondere der Ingenieurhauptmann Tatz war bestrebt, mehr als nur ausführendes Organ im Würzburger Bauwesen zu sein. Von ihm stammen zwei von Schneider erstmals publizierte, heute verschollene Ansichten von Schloss Werneck, die eine von Hildebrandt beeinflusste Planungsvariante zeigen (B 20-22).
Wenig Raum nimmt die vergleichende Analyse der Architektur ein, weshalb die Einbindung von Schloss Werneck in den Schlossbau Frankens und Südthüringens etwas unvermittelt wirkt. Der Autor geht hier der typologischen Herkunft der Dreiflügelanlage nach, die noch vor der Errichtung Wernecks für die beiden schönbornschen Familienschlösser Pommersfelden und Göllersdorf gewählt wurde. Sein Anliegen ist es zu zeigen, dass das 1711 begonnene Schloss Pommersfelden typologisch nicht vom gleichzeitigen Göllersdorf herzuleiten sei, da sich die Dreiflügelanlage schon zuvor in den protestantischen Teilfürstentümern und Sekundogenituren in Thüringen und Sachsen-Anhalt finde. Es bleibt allerdings offen, welche Bedeutung es für Pommersfelden gehabt hätte, wenn dort der Bautyp eines protestantischen Residenzschlosses entfernt benachbarter Teilfürstentümer rezipiert worden wäre. Auf Grund des aus Briefen herauszulesenden Umstandes, dass der Pommersfeldener Bauherr Lothar Franz von Schönborn seinen in Wien weilenden Neffen Friedrich Karl nur spärlich mit Informationen zu den Planungen in Pommersfelden versorgte, vermutet Schneider, dass eine in Wien von Friedrich Karl und Hildebrandt entworfene Gegenplanung zwanzig Jahre später die Grundlage für die Planungen zu Werneck abgegeben haben könnte (90-93).
Das schwergewichtige Buch ist in einen Text-, einen Quellen- und einen Bildteil untergliedert, wobei die den Text illustrierenden Abbildungen in der Art von Katalognummern eine zusätzliche Erläuterung erfahren. Querverweise führen den Leser fast ohne Verdopplungen durch alle Teile. Da das Buch keine Farbabbildungen enthält sei hierfür auf die 1995 in der Reihe der Großen Kunstführer bei Schnell und Steiner vom Autor vorgelegte Publikation zu Werneck verwiesen.
Die Stärke des vorliegenden Werkes liegt zweifellos in der facettenreichen Auswertung der Schriftquellen und in deren umfassender Edition. Beides bildet ein tragfähiges Fundament für weiterführende Fragen und wird insofern sowohl die Erforschung der fürstbischöflichen Bautätigkeit Friedrich Karl von Schönborns als auch die Erforschung des Œuvres Balthasar Neumanns und Johann Lukas von Hildebrandts auf lange Zeit hin wirksam befördern.
Ulrike Seeger