Gabriele B. Clemens: Sanctus amor patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 106), Tübingen: Niemeyer 2004, X + 514 S., ISBN 978-3-484-82106-4, EUR 76,00
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Die von Wolfgang Schieder betreute Trierer Habilitationsschrift passt sich in bestimmte Felder der modernen Geschichtswissenschaft - Träger der Erinnerungskultur, Entstehen und Veränderungen nationaler Identitäten - gut ein. Strikt komparatistisch angelegt, fragt sie nach den Organisationsformen und dem "Weltbild" Historischer Vereine in den beiden verspäteten Nationalstaaten Deutschland und Italien zwischen - grosso modo - der Mitte der 19. Jahrhunderts und dem Beginn des 1. Weltkriegs.
Es ist zwar sicher nicht durchgängig so, dass die bisherigen Arbeiten über die deutschen Geschichts- und Altertumsvereine "meist in einer unkritischen Leistungsschau mündeten" (3) - ein Blick etwa in die Dokumentation einer Veranstaltung zum 150 Geburtstag des Mainzer Altertumsvereins [1] hätte die Autorin eines Besseren belehren können -, aber in der Tat fehlten bisher vergleichende Darstellungen jenseits der Jubiläumsveranstaltungen weitgehend. Erst das Buch von Georg Kunz [2] und jetzt das von Frau Clemens schlagen hier Schneisen. Denn dass eine Annäherung an den Gegenstand nur über Schneisen möglich ist, ist evident. Das Gesamttableau der Historischen und Altertumsvereine ins Auge zu fassen, verbietet sich schon aus quantitativen Gründen.
Frau Clemens hat sich für ein Sample von sechs regionalen Vereinen entschieden, ausnahmslos in großen Städten ansässig (Dresden, Hamburg, Stuttgart, Köln, München, Berlin), was sich von den italienischen Parallelbeispielen (Turin, Florenz, Genua, Mailand, Rom, Neapel) und dem Momente der Vergleichbarkeit her erklärt, aber nicht ganz unproblematisch ist; ob die haupt- oder doch großstädtischen Vereine den Typus des deutschen Vereins am besten vertreten, will ich doch mit einem Fragezeichen versehen. Wie auch immer: Unter komparatistischen Gesichtspunkten ist die Auswahl nicht abwegig, weil sie erlaubt, die grundlegende Differenz zwischen den deutschen und italienischen Vereinen mit wünschenswerter Deutlichkeit herauszuarbeiten. Die italienischen Vereine waren immer reine, zudem zahlenmäßig beschränkte Honoratiorenverbünde, während bei den deutschen Vereinen doch im Prinzip jedem der Beitritt offen stand.
Am Beginn der Untersuchung standen, wie Frau Clemens freimütig zugibt (393), zwei Hypothesen, die sich beide so nicht halten ließen. Zum einen die, dass das Bildungsbürgertum die Vereine initiiert und dominiert habe und ihre Arbeit bürgerlich, liberal und national geprägt habe. Das wird schon allein durch die Analyse der Gründungsprozesse, in denen Adelige und staatsnahe Funktionsträger eine überragende Rolle spielten, widerlegt, bzw. - in Italien - dadurch, dass hohes gesellschaftliches Ansehen am ehesten für die Aufnahme qualifizierte. Was die Funktionsträger betrifft, so dominierten in den monarchisch geprägten Sozietäten die Verwaltungs- und Justizbeamten, während anderswo, etwa in Köln, die Kleriker den Ton angaben - die Gymnasiallehrer spielten, nebenbei bemerkt, im Unterschied zu landläufigen Meinungen nirgendwo eine überragende Rolle. Der Unterschied zu den italienischen Vereinen, in denen ca. 60 bis 70% Professoren vertreten waren, die keinerlei Berührungsscheu hatten, springt ganz besonders ins Auge. Ein genderspezifischer Ansatz führt zu dem zu erwartenden Ergebnis, dass Frauen mit weniger als 1% der Mitglieder eine vernachlässigbare Größe darstellten - der Exkurs zu einem Weinsberger reinen Frauenverein wirkt eher deplaziert. In Italien sah das Bild übrigens kaum anderes aus. Für die italienischen Vereine eine viel bedeutendere Rolle als für die deutschen spielte das Institut der auswärtigen korrespondierenden Mitglieder, das die italienischen Vereine früher (begrenzt) internationalisierte.
Auch die zweite Hypothese konnte nicht verifiziert werden: die, dass sowohl die deutschen als auch die italienischen Geschichtsvereine versucht hätten, einen Beitrag zur nationalen Geschichte zu leisten. Seit den Tagen Joseph Hansens ist das in Deutschland fast stereotyp wiederholt worden, wohingegen die Analyse der verschiedenen Aktivitäten der Vereine deutlich zeigt, dass sie nur und ausschließlich regionale Identität zu vermitteln suchten. Das belegen schon - gleichermaßen für Deutschland und für Italien - ihre Periodika und Quellenwerke, das belegen ihre Ausflüge, die immer auf die eigene Region beschränkt blieben, das belegt aber auch das Maß, in dem sich die deutschen Vereine lokaler Aufgaben in den Bereichen Denkmalpflege und Einrichtung von Sammlungen annahmen. Man darf zwar die Bemühungen um eine nationale Kooperation, die 1852 in der Gründung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine fassbar wird, nicht bagatellisieren, aber man darf sie auch nicht überbewerten; in Italien scheiterten bezeichnenderweise ähnlich gelagerte Versuche, auch wenn es dort zur Einrichtung nationaler, im Ergebnis freilich bescheidender Kongresse kam. Das Geschichtsverständnis aller Vereine diesseits und jenseits der Alpen war regional, ja in Italien mitunter auch lokal orientiert, alle Versuche, sie im nationalen Sinn zu instrumentalisieren, sie zu politisieren, müssen als gescheitert angesehen werden (was im übrigen aber nicht heißt, dass in ihrem Schoß Diskussionen mit einer politischen Dimension nicht stattgefunden hätten).
Mit den beiden Studien von Kunz und Clemens steht die deutsche Vereinsforschung, soweit sie auf die Historischen Vereine zielt, nun auf einem festen Fundament. Das Buch von Frau Clemens überzeugt aber auch seiner konsequent durchgehaltenen Vergleichsdimension wegen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Ausführungen zu den Vereinsemblemen usw. durch einige Abbildungen illustriert worden wären, aber das ist nur ein kleiner Schönheitsfehler.
Anmerkungen:
[1] Mainzer Zeitschrift 89 (1994).
[2] Georg Kunz: Verortete Geschichte. Regionales Bewusstsein in den deutschen Historischen Vereinen des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000.
Heinz Duchhardt