Rezension über:

Caroline Lehmler: Syrakus unter Agathokles und Hieron II. Die Verbindung von Kultur und Macht in einer hellenistischen Metropole, Berlin: Verlag Antike 2005, 254 S., 97 s/w-Abb., ISBN 978-3-938032-07-7, EUR 37,90
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Rezension von:
Michael Zahrnt
Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Michael Zahrnt: Rezension von: Caroline Lehmler: Syrakus unter Agathokles und Hieron II. Die Verbindung von Kultur und Macht in einer hellenistischen Metropole, Berlin: Verlag Antike 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 4 [15.04.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/04/8641.html


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Caroline Lehmler: Syrakus unter Agathokles und Hieron II.

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Dass zu den hellenistischen Monarchien, welche die Römer im Verlauf ihres Ausgreifens über Italien hinaus unterwarfen, auch das syrakusanische Königreich gehörte, wird vielfach übersehen. Das mag u. a. daran liegen, dass dieser Staat sehr viel früher als die Monarchien des Ostens mit Rom in Berührung und schon nach etwa einem Jahrhundert seines Bestehens unter dessen Herrschaft kam. Trotz der Nähe zum römischen Italien "orientierten sich die hellenist. Herrscher von Syrakus, Agathokles und Hieron II., in der Form und Darstellung ihrer Regierung an Alexander und den Epigonen im Osten und prägten somit eine westliche Variante der hellenistischen Monarchie" (14), wozu sie sich "nicht nur machtpolitischer, sondern auch gezielt kultureller Mittel" bedienten (16). Wie derlei in den Monarchien des hellenistischen Ostens geschah, wurde in der Forschung der letzten Jahrzehnte mehrfach und ausführlich diskutiert, für das Königreich Syrakus liegt jetzt ebenfalls eine entsprechende und erschöpfende Untersuchung vor. Ihr Ziel ist es, "die in verschiedenen Quellen überlieferten Denkmäler auf ihre Aussage über Herrschaftsrepräsentation, symbolische Praktiken bei der Ausübung von Macht und politische Intention" hin zu untersuchen (20), wobei sowohl die historiografischen Quellen als auch die archäologischen Zeugnisse ausgewertet werden und die Arbeit sich "als kulturgeschichtliche Studie zur hellenistischen Monarchie" versteht (21). Damit ist auch der Althistoriker zur Stellungnahme aufgefordert, wobei er sich verständlicherweise auf die ihm vertrauteren Problemkreise konzentriert und die ihn besonders interessierenden Ergebnisse herausstellt.

Da die Metropole Syrakus bis in die Neuzeit kontinuierlich überbaut war und die archäologische Evidenz lediglich in den unter syrakusanischer Herrschaft stehenden kleineren Städten etwas zufriedenstellender ist, kommt den schriftlichen Zeugnissen eine besondere Bedeutung zu, und zwar nicht nur den in der Einleitung skizzierten literarischen Quellen (25-33) [1], sondern in besonderem Maße auch den Münzprägungen der genannten Herrscher, denen nach einem Abriss der Geschichte von Syrakus in hellenistischer Zeit [2] (34-59) das dritte Kapitel gewidmet ist (60-96).

Anhand der Münzemissionen der Herrscher lässt sich der Übergang von einer lokalen Tyrannis in ein hellenistisches Königtum gut nachvollziehen. Agathokles hatte als Usurpator begonnen und seine Stellung im Kampf mit seinen innenpolitischen Gegnern und deren Bundesgenossen auf der Insel behauptet; er hat dann den Krieg nach Afrika hinübergetragen, und er hat schließlich im Gefolge der Diadochen den Königstitel angenommen. Diese drei Perioden seiner Herrschaft spiegeln die Prägungen wider, die anfangs an die syrakusanische Münztradition des 5. und frühen 4. Jahrhunderts anknüpfen und den Einfluss des Herrschers nur andeuten, die diesen dann namentlich nennen und als siegreichen Kämpfer gegen die Karthager und Verteidiger des Griechentums gegen die Barbaren erscheinen lassen und die ihm schließlich den Königstitel beilegen. Ein Herrscherporträt zeigen in Syrakus erstmals die Prägungen Hierons II. Dieser hatte sich 275 nach Überrumpelung der Stadt zum Strategos Autokrator wählen lassen, 269 den Königstitel angenommen und schließlich nach einem kurzen Krieg gegen die Römer von 263 bis 215 als von diesen geduldeter Monarch ein Territorium im Südosten Siziliens regiert. So hat sich Hieron, dessen Name erst ab 269 und dessen Porträt erst nach dem Friedensschluss mit Rom auf den Münzen erscheint, auch nicht als siegreicher Herrscher, sondern als Garant von Frieden und Wohlstand feiern lassen und gegen Ende seines Lebens durch zusätzliche Abbildungen von Frau und Sohn die Kontinuität seiner erfolgreichen Regierung betont.

Neben die Münzen und ihre Gestaltung treten die städtebaulichen Maßnahmen in und außerhalb von Syrakus, die aufgrund literarischer und / oder archäologischer Quellen mit einem der beiden Herrscher verbunden und für Rückschlüsse auf deren jeweiliges Repräsentationssystem herangezogen werden können (97-155: "Die kulturelle Ausprägung von Macht in Syrakus"). Im Falle des Agathokles sind dies eine Palastanlage auf Ortygia, die Ausschmückung des ebenfalls hier gelegenen Athenatempels mit Gemälden, die Errichtung von Befestigungstürmen am nördlich an die Insel angrenzenden kleinen Hafen und der Ausbau des Kastells Euryalos. Hier ging es also in erster Linie um die Person des Herrschers (einschließlich seiner persönlichen Sicherheit), um sein persönliches Umfeld und um die Herausstellung seiner militärischen Sieghaftigkeit. Letztere zu betonen hatte Hieron, der sein politisches Überleben neben den Römern insbesondere der Loyalität der Besitzenden und einem ausgeklügelten Abgabensystem verdankte, nach 263 v. Chr. keinen Anlass mehr. Auf Ortygia scheint auch er gebaut und in unmittelbarer Nähe seines Palastes Getreidespeicher errichtet zu haben. Während sich Baumaßnahmen des Herrschers auf der Insel nur aufgrund literarischer Quellen vermuten lassen, kann die Schaffung eines kultischen und kulturellen Zentrums im Stadtteil Neapolis durch zahlreiche archäologische Befunde nachgewiesen und können die einzelnen Elemente dieses Bauprogramms (Theater mit darüberliegender Terrasse und anschließenden Hallenbauten, Großer Altar) ausführlich behandelt werden. Hinzukommen ein Tempel des Olympischen Zeus an der Agora, die möglicherweise insgesamt neugestaltet wurde, sowie umfangreiche Erneuerungen am Kastell Euryalos. Gebaut wurde in diesen Jahrzehnten auch in den unter der Herrschaft von Syrakus stehenden Städten im Osten der Insel (155-188: "Auswirkung der syrakusanischen Kulturpolitik in Sizilien"), doch lassen sich hier euergetische Maßnahmen der in Syrakus residierenden Herrscher nicht nachweisen. [3] Vielmehr ist an entsprechende Initiativen der einzelnen Gemeinden, speziell einer dort zu vermutenden wohlhabenden Bürgerschicht, zu denken.

Dass Agathokles angesichts der Bedrohung durch innere und äußere Gegner an den Verteidigungsanlagen von Syrakus und anderen Städten im sizilischen Osten hat bauen lassen, ist nachvollziehbar. Hierons Reich hingegen lag inmitten römischen Herrschaftsgebiets und hatte spätestens seit 241 keinen äußeren Feind mehr zu fürchten. Trotzdem wurde unter ihm nicht nur am Kastell Euryalos gebaut, sondern wurden auch entlang der neuen Grenze seines Herrschaftsgebietes Befestigungsanlagen erneuert. Könnten diese vielleicht dem Schutz des Herrschers und der ihn stützenden und von seinem System der Abgabenordnung profitierenden Schicht der Grundbesitzer gedient haben? Zwar konnte die Opposition im niederen Volk sowohl in Syrakus als auch auf dem flachen Land bis in die Anfangsjahre des Zweiten Punischen Krieges niedergehalten werden; sie brach dann aber umso ungestümer hervor und richtete sich sowohl gegen die noch lebenden Mitglieder der Herrscherfamilie als auch gegen die Oligarchen. [4]

Wenn sich die Herrscher vielleicht auch nicht allzu intensiv um die Gefühle der Mehrheit ihrer Untertanen gekümmert zu haben scheinen, auf der internationalen Bühne waren sie durchaus um Anerkennung bemüht (189-209: "Kulturelle Repräsentation der syrakusanischen Herrscher in hellenistischen Staaten und Poleis"). Schon Agathokles wurde von den übrigen hellenistischen Machthabern als sizilischer Herrscher respektiert und knüpfte dynastische Verbindungen mit ihnen an, indem er eine Tochter des ersten Ptolemäers heiratete und seine Tochter Lanassa dem Epeiroten Pyrrhos zur Frau gab. Hieron musste zwar aus innenpolitischen Gründen die Tochter eines angesehenen Syrakusaners ehelichen und seine Töchter anderen einflussreichen Mitbürgern zur Frau geben, konnte aber seinen Sohn Gelon mit der Tochter eines Epeirotenkönigs verheiraten. Andererseits war Hieron sehr viel stärker als Agathokles in der hellenistischen Welt präsent, so durch Weihungen in Delphi, Olympia und Lindos, durch mannigfache Getreidespenden und durch großzügige Hilfe beim Wiederaufbau des erdbebengeschädigten Rhodos, und unterhielt auch gute Beziehungen zu Rom, das in der Zeit seiner Herrschaft zur Vormacht des westlichen Mittelmeerraumes aufstieg.

Ein eigenes Kapitel (210-232) gilt "Hierons Prachtschiff Syrakosia", dessen Beschreibung Athenaios überliefert und um dessen Rekonstruktion sich im Anschluss an eine große Zahl von Forschern auch Lehmler bemüht hat. Dass Hieron ein Schiff hatte bauen lassen, dass infolge seiner Größe kaum einsatzfähig war, und dass er diesen Renommiertransporter für Getreide dann auch noch dem Ägypterkönig zum Geschenk gemacht hat, wird zwar allgemein geglaubt, ist dem "Geschäftsmann und Technokraten", als den M.I. Finley den Herrscher treffend bezeichnet hat, aber wohl doch nicht zuzutrauen.

In einem abschließenden Kapitel (233-240: "Die Verbindung von Kultur und Macht unter Agathokles und Hieron II.") werden die in der Untersuchung erzielten Ergebnisse zusammengefasst und einerseits die Übereinstimmungen mit der Vorgehensweise der Machthaber des hellenistischen Ostens betont, andererseits die durch die Zeitumstände bedingten Unterschiede zwischen beiden deutlich gemacht.

Lehmler hat eine Forschungslücke gefunden und umgehend geschlossen. Dazu befähigten sie ihre profunde Kenntnis der einschlägigen literarischen Quellen sowie der archäologischen Funde und Forschungen weit über den Raum Siziliens hinaus und ein beeindruckender interpretatorischer Scharfsinn. So liegt denn der besondere Reiz der vorliegenden Untersuchung in der Erfassung aller zur Verfügung stehenden Zeugnisse sowie der durchgehenden und gelungenen Verknüpfung der literarischen Überlieferung mit der archäologischen Evidenz. Die auf diesem Wege erzielten Ergebnisse haben den Althistoriker voll überzeugt, und wenn er bisweilen Bemerkungen machen zu müssen glaubte, dann sind diese nicht als Kritik zu verstehen, sondern als Beweis dafür, als wie anregend er die Lektüre empfunden hat.


Anmerkungen:

[1] Dabei hat Lehmler allerdings von Diodor eine zu hohe Meinung: Der Mann ist nur so gut wie seine Vorlagen, und die waren im Falle des Agathokles die wenig um historische Wahrheit bemühten Timaios von Tauromenion und Duris von Samos. Dass Zonaras Philinos von Akragas benutzt hat, ist hingegen vollkommen unwahrscheinlich, und auf Polybios' panegyrisches Hieron-Bild sollte man nicht allzu viel geben.

[2] Lehmler ist mit der neueren Forschungsliteratur zu beiden Herrschern durchaus vertraut, hält aber hier wie auch im weiteren Verlauf der Untersuchung an H. Berves Behauptung fest, Agathokles habe "das Strategenamt auf legale Weise erhalten" (39). Wer den Staatsstreich des Jahres 316 (den Lehmler bisweilen auch ins Jahr 317 datiert) für eine rechtmäßig durchgeführte Verfassungsänderung und eine legale Basis der 27-jährigen Herrschaft des Agathokles hält, muss auch das Ermächtigungsgesetz vom März 1933 als mit Buchstaben und Geist der Weimarer Verfassung in Einklang erklären. Damit allerdings hatte Berve nie Schwierigkeiten.

[3] Aus den in Neaiton inschriftlich nachgewiesenen "hieronischen Jünglingen" (185) kann nicht mit Sicherheit auf die Stiftung eines Theaters daselbst durch Hieron geschlossen werden.

[4] Vgl. Rez., Die Gesellschaft des hellenistischen Syrakus nach dem Ende der Monarchie, in: Politics, Administration and Society in the Hellenistic and Roman World. Proceedings of the International Colloquium, Bertinoro, 19-24 July 1997 (Löwen 2000) 489 ff.

Michael Zahrnt