Karl-Heinz Füssl: Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert. Bildung - Wissenschaft - Politik, Frankfurt/M.: Campus 2004, 328 S., ISBN 978-3-593-37499-4, EUR 37,90
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"Kultur, Bildung und Wissenschaft in den USA und Deutschland haben im 20. Jahrhundert stärkere gemeinsame Entwicklungslinien als oftmals angenommen", so heißt es im Klappentext der Studie "Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert" von Karl-Heinz Füssl. Herrschte im Verlauf des 20. Jahrhunderts noch häufig entweder die pauschale Annahme, Europa sei zumindest im Kultur- und Bildungsbereich den USA weit überlegen, oder aber die ebenso unreflektierte Furcht, durch den großen Einfluss der USA "amerikanisiert" zu werden, macht sich Füssl daran, in einem Längsschnitt des deutsch-amerikanischen Kulturaustauschs konkrete Wirkungsanteile sowie wechselseitige Rezeptions- und Einflussmechanismen zu bestimmen. Angesichts der einschneidenden Veränderungen, denen die Rahmenbedingungen und somit auch die Ausprägungen des Kulturaustauschs zwischen den USA und Deutschland im 20. Jahrhundert unterlagen, ergibt sich auch mit der im Untertitel genannten Einschränkung auf den Bereich "Bildung - Wissenschaft - Politik" ein ausgedehntes Untersuchungsfeld.
In sieben Kapiteln, die den Zeitraum vom späten 19. Jahrhundert bis zu den 1980er-Jahren abdecken, werden die Akteure, Inhalte und Auswirkungen der deutsch-amerikanischen Bildungsbegegnungen vorgestellt. Die Einteilung der Kapitel richtet sich dabei nach den politischen Zäsuren von 1918, 1933, 1945 und 1955, entsprechend Füssls These, dass für den Bereich des Bildungswesens besonders "die Einschnitte des Ersten und noch deutlicher des Zweiten Weltkriegs einen drastischen Wechsel der Perspektive ankündigten" (275). Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurden europäische und deutsche Impulse in den USA deutlich kritischer rezipiert als zuvor während des 19. Jahrhunderts, und mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wandelte sich die Verlaufsrichtung des Bildungsdiskurses vollends: Neue Methoden und Praktiken wanderten nun überwiegend von den USA nach Europa und somit auch in die Bundesrepublik. Auch im Bereich der auswärtigen Kultur- und Informationspolitik markierte der Zweite Weltkrieg einen Wendepunkt: Für die USA war die Propaganda der Nationalsozialisten in Lateinamerika einer der Hauptgründe, überhaupt durch staatliche Instanzen in diesem Bereich tätig zu werden; die junge Bundesrepublik stand hingegen vor der Herausforderung, sich vom "Kulturimperialismus" der vorhergehenden Jahrzehnte abzusetzen und neue Strategien für die Kulturarbeit im Ausland zu entwickeln. Mit zwei Kapiteln zur deutschsprachigen Emigration nach 1933 und zu den USA-Reisen deutscher Vertreter des Bildungs- und Sozialwesens im Rahmen von Reeducation-Programmen nach 1945 werden exemplarisch zwei Wellen deutsch-amerikanischen Kulturtransfers auf dem Bildungssektor vertiefend betrachtet.
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Akteure: Personen, Institutionen und Organisationen, die deutsch-amerikanische Bildungsbegegnungen vorantrieben, Rahmenbedingungen schufen, als Mittler zwischen den beiden Staaten fungierten, an Austauschprogrammen teilnahmen oder als Migranten mit dem Bildungs- und Wissenschaftssystem des anderen Staates auf vielfältige Weise in Berührung kamen und es veränderten. Durch die akteurszentrierte Darstellungsweise wird gezeigt, welch außerordentlich hohen Stellenwert persönliche Initiativen, Kontakte und Motivationen für das Zustandekommen von Begegnung, Austausch und Transfer hatten und wie viele öffentliche und private Institutionen oder Personen daran beteiligt waren. Die Kehrseite dieses Ansatzes ist jedoch eine gewisse Unübersichtlichkeit und mangelnde innere Geschlossenheit der einzelnen Kapitel, in denen die Vielzahl der Akteure sehr detailliert, aber nur lose miteinander verknüpft vorgestellt werden, was der Darstellung einen etwas episodenhaften Charakter verleiht. Nicht ganz nachvollziehbar ist die Entscheidung, diejenigen Akteure und Institutionen der staatlichen auswärtigen Kulturpolitik fast völlig außen vor zu lassen, die nicht explizit im Schul- oder Hochschulbereich tätig waren. Gerade die Amerikahäuser oder die Goethe-Institute waren als Stätten des Austauschs konzipiert, in denen allgemeine Kultur- und Sprachkenntnisse vermittelt wurden, die aber auch Spezialbibliotheken im Angebot hatten oder Lehrerfortbildungen organisierten. Die binationalen Deutsch-amerikanischen Institute, die gemeinsam von beiden Staaten finanziert wurden, waren bei den deutschen Behörden dementsprechend auch dem Bereich der Erwachsenenbildung zugeordnet.
Nicht alle Ergebnisse, die hier präsentiert werden, sind neu - in der Tat können einige Teilbereiche des deutsch-amerikanischen Austauschs auf dem Bildungssektor als gut erforscht gelten, nicht zuletzt durch Füssl selbst. [1] Der Wert des Bandes liegt daher in seiner Langzeitperspektive, die Verflechtungen, Kontinuitäten und Brüche stärker hervortreten lässt und nicht nur Einzelabschnitte oder das "kurze 20. Jahrhundert" in den Blick nimmt, sondern die grundlegenden Entwicklungen seit dem Kaiserreich mit einbezieht. Der ausgedehnte Untersuchungszeitraum eröffnet den Blick auf Konjunkturen und die langfristigen Wirkmechanismen äußerer Einflüsse - Füssl nennt hier beispielsweise die amerikanische Reeducation-Politik, deren Auswirkungen erst bei einer über das Ende der Besatzungszeit hinausgehenden Betrachtung sichtbar werden (19). Auch die bundesdeutschen Reformen der späten 1960er-Jahre im Bildungsbereich erweisen sich in der Langzeitperspektive als wesentlich stärker durch internationale Referenzhorizonte geprägt als dies meist gesehen wird. Der Austausch zwischen den USA und der Bundesrepublik, insbesondere die Übernahme amerikanischer Methoden und Konzepte im Wissenschafts-, Bildungs- und Sozialbereich, wirkte hier als Medium der Reformen und hatte damit, so die These Füssls, einen spezifischen Anteil an den Demokratisierungsprozessen innerhalb der westdeutschen Gesellschaft (21).
Bei einer Untersuchung, die auf knapp 300 Seiten den deutsch-amerikanischen Kulturaustausch für das gesamte 20. Jahrhundert abdecken will, können sicherlich keine analytischen Tiefenbohrungen wie bei einer Institutionengeschichte oder einer Fallstudie erwartet werden. Dennoch wäre an einigen Stellen eine Kontextualisierung, die über die kurze Skizzierung der politischen Rahmenbedingungen hinausgeht, hilfreich und wünschenswert gewesen. Auch die Fragen und Erklärungschancen, die sich aus einem transfergeschichtlichen Ansatz ergeben, werden nur in einigen wenigen Zeilen des letzten Kapitels diskutiert. Als kenntnisreicher Überblick über die Entwicklungslinien, Verflechtungen und Akteure transatlantischer Bildungspolitik ist Füssls Studie jedoch eine echte Bereicherung.
Anmerkung:
[1] Karl-Heinz Füssl: Die Umerziehung der Deutschen. Jugend und Schule unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945-1955, Paderborn 1995; Ders.: Restauration und Neubeginn. Gesellschaftliche, kulturelle und reformpädagogische Ziele der amerikanischen "Re-education" Politik nach 1945, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 6 (1997), 3-14.
Reinhild Kreis