Rezension über:

Bettina Blessing: In Amt und Würden. Bedienstete der Stadt Regensburg von 1660 bis 1802/10 (= Regensburger Studien und Quellen zur Kulturgeschichte; Bd. 16), Regensburg: Universitätsverlag Regensburg GmbH 2005, 336 S., ISBN 978-3-930480-17-3, EUR 29,00
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Rezension von:
Jürgen Nemitz
Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Nemitz: Rezension von: Bettina Blessing: In Amt und Würden. Bedienstete der Stadt Regensburg von 1660 bis 1802/10, Regensburg: Universitätsverlag Regensburg GmbH 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/10383.html


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Bettina Blessing: In Amt und Würden

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Die Reichsstadt Regensburg war in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand z. T. umfangreicher Veröffentlichungen, die den gesicherten wissenschaftlichen Kenntnisstand über die einzige Reichsstadt des Bayerischen Reichskreises deutlich erweitert haben. Stellvertretend sei hier die zweibändige Stadtgeschichte Regensburgs erwähnt, die Peter Schmid im Jahre 2000 herausgegeben hat.

Nunmehr liegt eine Studie von Bettina Blessing vor, die den Bediensteten der Reichsstadt Regensburg gewidmet ist. Es handelt sich um die Druckfassung einer von Günther Lottes betreuten Gießener Dissertation. Der Betrachtungszeitraum der Arbeit umfasst die gesamte Spätphase der Reichsstadt seit Etablierung des Immerwährenden Reichstags (1663) und schließt das kurzlebige (1802/1803 bis 1810) Fürstentum Regensburg unter Carl von Dalberg ein. Im Zentrum der Fragestellung stehen bei Blessing weniger verfassungs- oder verwaltungsgeschichtliche Aspekte, sondern die sozialgeschichtlichen Dimensionen der Arbeit im Dienste der Stadt. Die Autorin lehnt sich hierbei an das Konzept der Mikrogeschichte an. Entsprechend rückt sie kleine soziale Gruppen und Individuen und ihre Beziehungsgeflechte in den Fokus der Betrachtung.

Der Begriff des "Bediensteten", den Blessing anwendet, ist weit gespannt und umfasst alle Hierarchiestufen städtischer Amtsträger, die regelmäßig eine vorgeschriebene und besoldete Aufgabe für die Stadt wahrnahmen. Diese Definition schließt die Angehörigen des Inneren Rates ein. Damit knüpft Blessings Arbeit hinsichtlich dieser Personengruppe an die ältere Studie Walter Fürnrohrs zum Regensburger Patriziat an und vertieft deren Erkenntnisse. Gleichzeitig verzichtet die Autorin weitgehend auf die zeitgenössisch durchaus geläufige Unterscheidung zwischen den (formal) gewählten Amtsinhabern (z. B. die Amtsassessoren) und den vom Inneren Rat bestallten Funktionsträgern (z. B. die Ratskonsulenten).

Als zentrale Quellengrundlage dienen die Nachweise über Gehaltsauszahlungen in den Hauptrechnungen des Regensburger Steueramtes, worin die städtischen Bediensteten jährlich mit Namen und Funktion aufscheinen. Hinzu kommen weitere serielle Quellen wie Kirchenbücher und städtische Personenverzeichnisse (Bürgeraufnahmebücher, Wahlbücher, Amtslisten u. a.). Weiterhin hat Blessing 134 einschlägige Leichenpredigten ausgewertet und nicht zuletzt auch normative Quellen sowie die zeitgenössische Chronistik herangezogen. Trotz dieser aufwändigen Materialerhebung bleiben gruppenbiografisch oder individuell verwertbare Informationen zu den Inhabern niedriger Ämter quellenmäßig eher spärlich, sodass die städtischen Eliten eindeutig im Zentrum der Arbeit stehen, wie die Autorin selbst konstatiert (23 und 25).

Nach einem Überblick zur Regensburger Stadtverfassung ist ein Hauptabschnitt den normativen Aspekten der Amtsausübung gewidmet. Hier werden Amtsordnungen als Quellen für den entindividualisierten Berufsalltag städtischer Funktionsträger gedeutet (23). Davon ausgehend skizziert Blessing "Berufsfelder städtischer Amtsträger". Die dabei im Einzelnen erläuterten Tätigkeiten sind paradigmatisch zu verstehen, da hier ausgewählte, aber keineswegs sämtliche Tätigkeiten des reichsstädtischen Dienstes vorgestellt werden.

In drei Folgekapiteln, die aus der Sicht des Rezensenten den interessantesten Teil der Arbeit darstellen, bietet Blessing die systematische Auswertung ihrer prosopografischen Datenfülle dar. Es gelingt ihr, die Ergebnisse plausibel zu vermitteln, wozu ergänzende Grafiken sinnvoll beitragen. Die gruppenbiografische Analyse beweist überzeugend, dass in Regensburg keine sozial abgeschlossenen Amtsgruppen existierten. Im Gegenteil charakterisiert Blessing die Amtsträger als "relativ offene soziale Gruppierung" (153). Die Vererbung von Ämtern war eindeutig die Ausnahme. Am ehesten lässt sich Erblichkeit noch bei den unehrlichen Berufen feststellen. Ebenso spielte die Heiratsverbindung keine zentrale Rolle für die Erlangung eines Amtes, wenngleich soziale Adäquanz der Ehepartnerin bei den Inhabern der höchsten und der niedrigsten städtischen Ämter verstärkt nachzuweisen ist: Rund vierzig Prozent der Ratsherren hatten ihrerseits einen Regensburger Ratsherrn zum Schwiegervater. Blessing fragt hier weiter, ob und wie die Stadt selbst durch Qualifikationsanforderungen die Ausbildung von Amtsdynastien unterbunden hat, indem sie inhaltliche Befähigung über soziales Kapital stellte. Bei rangniedrigen Ämtern war die Anstellung bisweilen an soziale Aspekte gebunden, wenn etwa der Rat Torwärter- und Türmerstellen verarmten Bürgern zuwies, um ihnen so eine Erwerbsquelle zu verschaffen. Im Hinblick auf die höheren Ämter betont Blessing die herausgehobene Rolle der akademischen Ausbildung, die gerade auch bei den Ratsherren ein überwiegendes Qualifikationsmerkmal darstellte. Für Pfarrer und Gymnasiallehrer war sie ohnehin unabdingbar. Bei der Vergabe städtischer Studienstipendien lässt sich allenfalls eine begrenzte Bevorzugung von Abkömmlingen der Amtselite nachweisen.

Die Analyse der Karrieremuster konzentriert sich vornehmlich auf die 144 Ratsherren, die im Untersuchungszeitraum amtierten, wenngleich auch die Pfarrer und Gymnasiallehrer hier in den Fokus rücken. Die Ämtervergabe und die Aufnahme in den Inneren bzw. Geheimen Rat unterlagen formal einem geheimen Wahlakt. Als Quellenfund hierzu wartet die Arbeit mit einer Schmähschrift aus dem Jahre 1739 auf, die mit ihren derb-erotischen Anspielungen einen deutlichen Beleg für das Interesse und die satirisch formulierte Kritik an der Vergabepraxis hoher städtischer Ämter darstellt (226-229).

Für gewöhnlich blieben die Amtsträger lebenslang im reichsstädtischen Dienst. Lediglich unter besonderen Umständen wie Ehrverlust oder massiver politischer Gegnerschaft kam es zur Entfernung aus dem Dienst. Einen eigenen Hauptabschnitt widmet Blessing dem komplexen Besoldungswesen. Es ergibt sich hier u. a. der überraschende Befund, dass der reichsstädtische Scharfrichter und gleichzeitige Wasenmeister ein Fixgehalt bezog, das dem des evangelischen Superintendenten nicht nachstand (256).

Hinsichtlich der Dalbergzeit bestätigt die Studie, dass der politische Bruch von 1802/1803 ad hoc keinen sozialen Bruch bedeutete und die reichsstädtischen Eliten ihre Position behaupten konnten, wenngleich erstmals ein Katholik ein hohes städtisches Amt erlangte. Die Frage, ob sich hier ein sozialer Wandel andeutete, ist angesichts des transienten Charakters der Dalbergzeit und mangels aussagekräftiger Quellen nicht schlüssig zu beantworten, wenngleich die Autorin dies mit Blick auf das Großherzogtum Frankfurt nicht ausschließen mag.

Das Buch ist eine detaillierte, auf breiter archivalischer Quellenarbeit beruhende gruppenbiografische Analyse zu den Funktionsträgern eines reichsstädtischen Gemeinwesens während der Spätphase des Alten Reichs. Die überwiegende Konzentration auf die städtischen Eliten ist der Quellenlage geschuldet und kann der Autorin nicht zum Vorwurf gemacht werden. Ungeachtet dessen liegt hier eine wichtige Studie zur Sozialgeschichte des "öffentlichen Dienstes" und zur Vergabepraxis städtischer Ämter in der Frühneuzeit vor. Wer sich die politische und funktionale Elite einer Reichsstadt a priori als in sich ruhendes und sich selbst reproduzierendes System vorstellt, wird durch Bettina Blessing am Regensburger Beispiel mit einer differenzierten Realität konfrontiert.

Jürgen Nemitz