Cécile Lowenthal-Hensel / Jutta Arnold: Wilhelm Hensel. Maler und Porträtist 1794-1861. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2004, 383 S., 112 Abb., ISBN 978-3-7861-1995-1, EUR 78,00
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Cécile Lowenthal-Hensel / Sigrid Gräfin von Strachwitz: Europa im Porträt. Zeichnungen von Wilhelm Hensel 1794-1861, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2005, 2 Bde., 324 S. + 328 S., 1100 Abb., ISBN 978-3-7861-1994-4, EUR 128,00
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Wilhelm Hensels Porträts werden "über kurz oder lang einen Wert repräsentieren, ähnlich den Initialenbüchern des Mittelalters, aus denen oft Städte, Stände, Persönlichkeiten allein noch zu uns sprechen. Die Mappen Wilhelm Hensels werden dann ein Bibliothekenschatz sein trotz einem, eine Quelle voll historischer Bedeutung,...". [1] So Theodor Fontane in "Wanderungen durch die Mark Brandenburg". Fontane bewies mit seiner Feststellung Weitblick; in der Tat eröffnen Hensels über 1100 qualitätvolle Bleistiftzeichnungen ein einzigartiges Panorama der europäischen Gesellschaft zwischen 1820 und 1860. Künstlerkollegen, Literaten, Musiker, Wissenschaftler, Politiker, Adlige, Militärs und gekrönte Häupter, sie alle skizzierte Hensel. Die Porträtzeichnungen entstanden zumeist spontan, in den europäischen Salons jener Jahre oder bei den Gesellschaften im Hause Mendelssohn-Bartholdys - Hensel hatte Felix' Schwester Fanny geheiratet. Auch beschränken sich die Bildnisse nicht auf Deutschland - die Hensels reisten durch ganz Europa und Hensel zeichnete unermüdlich neue Bekanntschaften. Die Autorinnen des Bestandskataloges verweisen in ihrer Einleitung zu Recht darauf, dass dieser Corpus in Unfang und Bedeutung allenfalls noch mit den Porträtmedaillons des Bildhauers David d'Angers sowie den Bildniszeichnungen des Dresdner Malers Carl Christian Vogel von Vogelstein zu vergleichen ist (10).
Diese Dokumente des europäischen Gesellschaftslebens jener Jahrzehnte befinden sich heute größtenteils im Berliner Kupferstichkabinett sowie in dem ebenfalls zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehörenden Mendelssohn-Archiv. Bereits 1960 bezeichnete Paul Ortwin Rave eine gesammelte Publikation dieser Bestände als Forschungsdesiderat. [2] Mit den beiden hier zu besprechenden Publikationen ist dieser Wunsch nach über vierzig Jahren nun Realität geworden. Federführend war die Historikerin Cécilie Lowenthal-Hensel, Urenkelin von Wilhelm Hensel, die sich schon seit Jahrzehnten kompetent der Aufarbeitung des Henselschen Werkes widmet. [3] Im Jahre 2004 erschien eine in Kooperation mit Jutta Arnold verfasste Hensel-Monografie, welcher im vergangenen Jahr der in Zusammenarbeit mit Sigrid Gräfin von Strachwitz erstellte zweibändige Catalogue raisonné der Porträtzeichnungen folgte.
Der Katalog der Bildnisse ist alphabetisch nach den Namen der Dargestellten gegliedert - den Abschluss bildet die relativ kleine Gruppe der "Porträts von Unbekannten" (Bd. 2, 286-305). Alle Blätter sind abgebildet und obschon die Reproduktionen zumeist weniger als eine Viertelseite einnehmen, ist die Abbildungsqualität hervorragend und für die wissenschaftliche Auswertung damit endlich eine gute Aufarbeitung der überwiegend noch unerschlossenen Porträtzeichnungen Hensels vorgelegt worden. Erfreulich ist, dass in den Bildlegenden auch die häufigen Widmungen der Dargestellten an Hensel - kleine Gedichte, Zitate, Notationen etc. - aufgeschlüsselt worden sind. In den Begleittexten zum jeweiligen Blatt findet der Leser biografische Informationen zu den Porträtierten, manchmal ergänzt durch zeitgenössische Stimmen aus unterschiedlichsten Quellen. Abschließend ist jeweils vermerkt, bei welcher Gelegenheit Hensels Zeichnung entstanden ist, auch eventuelle Stiche oder Lithografien nach der Darstellung sind erwähnt. Schließlich wird jedes Bildnis um eine Kurzbibliografie ergänzt, in der Zitate nachgewiesen, weiterführende Literatur aufgelistet und frühere Ausstellungen des Blattes vermerkt sind.
Die Arbeit mit dem Katalog wird lediglich durch den konsequenten Verzicht auf Katalognummern etwas erschwert. Die Zahlen vor den Bildlegenden ergeben erst nach neuerlicher Konsultation der Einleitung Sinn - es handelt sich um die Nummern einerseits des Verzeichnisses von Hensels Frau Fanny, sowie andererseits demjenigen seines Sohnes Sebastian, der nach dem Tod des Vaters die Blätter in Mappen eingeklebt hat. Eine kunsthistorische Einordnung und stilkritische Darstellungen der Zeichnungen erfolgt nicht - solche Fragen werden geschlossen in der Biografie abgehandelt, leider gibt der Katalog hierzu keine Querverweise. Den Abschluss des zweiten Bandes bildet ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis, beide Bände enthalten zudem einen Gesamtindex, der die Suche nach einer bestimmten Person problemlos gestaltet.
Die alphabetische Anordnung der Zeichnungen nach den Dargestellten ist durchaus sinnvoll, allein schon, um die Masse des Materials zu strukturieren. Dennoch liegen auch die Nachteile für eine wissenschaftliche Auswertung auf der Hand: So ist es kaum möglich, einen Eindruck davon zu gewinnen, wen Hensel in einem bestimmten Zeitraum porträtierte, wie sich die Evolution seines zeichnerischen Stils vollzogen hat. Hier muss man abermals die Biografie zur Hand nehmen, die jedoch gerade in dieser Hinsicht Wünsche offen lässt, wie im Weiteren zu zeigen sein wird. Letztlich wäre zu überlegen ob man dieser großartigen Dokumentation der europäischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert nicht noch eine digitale Umsetzung an die Seite hätte stellen sollen, die vor allem dem wissenschaftlich ausgerichteten Benutzer eine flexible Ordnung der Darstellungen nach wechselnden Kriterien ermöglicht hätte.
Die ebenso ausführliche wie ansprechende Biografie Hensels ist traditionell anhand seines Lebensweges aufgebaut. In insgesamt 26, in sich weiter untergliederten Kapiteln, werden die Stationen von Hensels Leben nachvollzogen: seine künstlerische Ausbildung, die finanziellen Nöte des jungen Künstlers, der früh den Vater verlor, für Mutter und Geschwister aufkommen und sich zeitgleich als Maler profilieren musste, die Entwürfe für das Hoffest "Lalla Rookh" nach Thomas Moore, welche ihm 1821 die Aufmerksamkeit des Hofes brachten, seine Arbeiten an dem wieder aufgebauten Schauspielhaus in Berlin. Schließlich sein langes, durch eine fünfjährige Italienreise (1823-28) unterbrochenes und letztlich erfolgreiches Werben um Fanny Mendelsohn, künstlerische Erfolge in Berlin, Kontakte zu nationalen und internationalen Künstlergrößen. Neben den Porträtzeichnungen geht es vor allem auch um den Maler und Illustrator Hensel, der 1829 Hofmaler des preußischen Königs Friedrich Wilhelms III. und zwei Jahre später Professor für "Geschichts-Malerei" an der Akademie der Künste in Berlin wurde (152, 185). Diese höchst erfolgreiche Künstlerkarriere fand ein jähes Ende, als 1847 Hensels Frau Fanny starb. Lediglich der "privaten" Form der Porträtzeichnung blieb der Maler bis zu seinem Tode im Jahre 1861 treu.
Die Biografie ist in erster Linie eines: das spannende und beeindruckende Panorama des reichen geistig-kulturellen Lebens im Berlin der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dieses Panorama weitet sich zu einem Blick auf die europäische Gesellschaft, wenn der Leser Hensel und seine Frau bei ihren Reisen ins Ausland begleitet. Faszinierend ist daran der übernationale Charakter der kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und geistigen Elite jener Zeit: Immer wieder begegnet der Maler Personen, die er aus anderen Zusammenhängen kannte. Ein Beispiel ist der Dichter Heinrich Heine, den Hensel 1829 in Berlin porträtierte und den die Hensels 1836 in Frankreich neuerlich trafen (162, 212). Die exquisite kunsthistorische Einordnung und Würdigung von Hensels Werken kommt dabei nicht zu kurz.
Die Monografie begeistert durch eine vorzügliche Sprache, die - dabei immer kurzweilig - zahlreiche Zitate aus (teilweise bisher unveröffentlichten) Archivquellen, Briefen, Tagebuchnotizen einflicht, ohne dass man einen Bruch zwischen Darstellung und zeitgenössischen Kommentaren spürt. Zuweilen kann dieser Vorteil auch umschlagen - manches wird einfach zu detailreich ausgebreitet, das große Panorama verengt sich dann zu einer minuziösen Milieustudie. Am Ende des Bandes findet der Leser wiederum ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einen Personenindex.
Die Monografie bietet dem interessierten Laien ein weitgehend ungetrübtes Lesevergnügen, der Wissenschaftler jedoch muss stellenweise Abstriche machen, die umso ärgerlicher sind, da sie sich leicht hätten vermeiden lassen: So fehlen zu den durchweg auf hellgrauem Hintergrund ansprechend präsentierten Textabbildungen sämtliche technischen Angaben. Dieses Manko wird noch dadurch verschärft, dass es im Text keine Abbildungsverweise gibt - der Leser muss die Zusammenhänge zwischen Wort und Bild also rekonstruieren, die auch für den zweibändigen Katalog nötige (durchweg gelungene) kunsthistorische Kontextualisierung mühsam zusammensuchen. Zuordnung von Querverweisen, Anmerkungen und nicht zuletzt die wissenschaftliche Auswertung werden dadurch unnötig erschwert, die Lektüre beeinträchtigt. Häufig bieten nur die oben erwähnten Nummern der beiden Verzeichnisse einen Anhaltspunkt, um welches Blatt es sich denn nun handelt. Bei den Porträtzeichnungen kann man mittlerweile dankenswerterweise auf den Catalogue raisonné zurückgreifen und mithilfe des Namens des Dargestellten die Arbeiten problemlos zuordnen. Dies ist jedoch lästig, zumal wiederum der Katalog - wie erwähnt - zur kunsthistorischen Einordnung der Werke den Rückgriff auf die Biografie erfordert.
Was sich also bei den Bildniszeichnungen mit einiger Mühe erschließen lässt, hat für Hensels sonstiges Œuvre verheerende Folgen: Gerade die bislang nahezu unbeachteten, aber hochinteressanten Gemälde (z. T. in einem Tafelteil erstmals in Farbe abgebildet), die Illustrationen zu zeitgenössischer Literatur, welche spannende Einblicke in die für die Romantik so signifikante Zusammenarbeit der Schwesterkünste Malerei und Poesie eröffnet, die Arbeiten für das Schauspielhaus, u. a., sind so nur eingeschränkt erschlossen. Durch ein Abbildungsverzeichnis oder umfassende Bildunterschriften und Abbildungsverweise im Text hätte sich diese Problematik leicht verhindern lassen. Schade!
Insgesamt haben die drei Autorinnen dennoch eine beeindruckende Leistung vorgelegt. Wilhelm Hensel wird mit den beiden Publikationen aus dem Schattendasein einer künstlerischen Randfigur erlöst und wieder in die ihm zustehende Position als eine der Schlüsselfiguren der Berliner Kunstwelt jener Jahrzehnte gerückt. Auch ist hier Abbildungsmaterial vorgelegt, dessen künstlerische Qualität bei weitergehender Untersuchung dazu führen wird, dass Fontanes Aussage über Hensel - seine Arbeiten seien eine "Quelle voll historischer Bedeutung" - nicht länger nur auf die Porträtzeichnungen beschränkt sein wird. Trotz aller Kritik also zwei sehr lohnenswerte Ergänzungen zur deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts.
Anmerkungen:
[1] Theodor Fontane: Wilhelm Hensel. In: ders.: Sämtliche Werke. Wanderungen durch die Mark Brandenburg. 3 Bde. Bd. 2: Darmstadt 1967, 853-867, hier: 865.
[2] Paul Ortwin Rave: Die Bildnis-Sammlung Wilhelm Hensel. In: Berliner Museen 6-10, 1960, 37-44.
[3] U. a.: Cécile Lowenthal-Hensel; Lucius Grisebach; Horst Ludwig: Preußische Bildnisse des 19. Jahrhunderts: Zeichnungen von Wilhelm Hensel. Ausst.-Kat. Berlin, Nationalgalerie 1981; Cécile Lowenthal-Hensel: Wilhelm Hensel und sein zeichnerisches Werk. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 23, 1986, 57-70; dies.: Wilhelm Hensel: 1794-1861. Porträtist und Maler, Werke und Dokumente. Ausstellung zum 200. Geburtstag. Ausst.-Kat. Berlin, Mendelssohn-Archiv der Staatsbibliothek 1994-95.
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