Rezension über:

Klaus-Rainer Jackisch: Eisern gegen die Einheit. Margaret Thatcher und die deutsche Wiedervereinigung, Frankfurt am Main: Societäts-Verlag 2004, 360 S., ISBN 978-3-7973-0897-9, EUR 22,80
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Rezension von:
Ulrich Lappenküper
Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Lappenküper: Rezension von: Klaus-Rainer Jackisch: Eisern gegen die Einheit. Margaret Thatcher und die deutsche Wiedervereinigung, Frankfurt am Main: Societäts-Verlag 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/9203.html


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Klaus-Rainer Jackisch: Eisern gegen die Einheit

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"Es war ein typisch verregneter Samstagmorgen in der kleinen englischen Universitätsstadt Oxford. Das Thermometer hatte gerade die Sieben-Grad-Marke erreicht. Es wehte ein kräftiger Südwestwind und die Wettervorhersage der BBC versprach nichts Gutes" (12). Nein, dies ist nicht der Auftakt zu einem spannenden Krimi Agatha Christies; mit diesen Zeilen beginnt vielmehr die "bewusst populärwissenschaftlich" (11) angelegte Buchfassung der Dissertation von Klaus-Rainer Jakisch über die Deutschlandpolitik der britischen Premierministerin Margaret Thatcher 1989/90. Nach lesenswerten, wenngleich nicht immer definitiven Arbeiten über die amerikanische, sowjetische und französische Haltung zur Wiedervereinigung Deutschlands [1] liegt damit eine zweite Darstellung über die englische Perspektive vor: In seiner Studie über "Macht oder Ohnmacht der britischen Regierung in der internationalen Politik" 1989/90 kam Norbert Himmler 2001 zu dem Schluss, dass die britische Regierung es verpasst habe, eine führende Rolle bei der Gestaltung des neuen Europa zu spielen, weil Thatchers Politik dem Wunsch "nach der Bewahrung des Status quo der Nachkriegszeit" verhaftet gewesen sei. [2]

Wie Himmler konnte auch Jakisch bei seinen Forschungen keine unveröffentlichten Materialien konsultieren. Sein Werk basiert stattdessen auf über 80 Interviews mit Beobachtern und Verantwortlichen der britischen Außenpolitik, einer umfangreichen Zeitungsrecherche und der Auswertung vornehmlich britischer und deutscher Studien. Das übrige Schrifttum wurde hingegen nur selektiv gesichtet, neueste Quelleneditionen blieben mitunter ganz unberücksichtigt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass zwischen der Einreichung der Dissertation und der Veröffentlichung acht Jahre verstrichen sind.

Jakisch bestätigt den bereits von Himmler und anderen Forschern herausgearbeiteten Befund, dass Margaret Thatcher der deutschen Einheit erst nach erbittertem Abwehrkampf und nur nolens volens zugestimmt habe. Gleichwohl bewertet er den Fundamentalvorwurf, Großbritannien sei der "wahre große Gegner der Einheit" gewesen, als "im Kern [...] falsch" (10). Denn Thatchers rückwärts gerichtete Linie sei weder im Kabinett noch im Regierungsapparat, in den Parteien oder der Öffentlichkeit maßgebend gewesen. Die Intransigenz der Premierministerin erscheint Jakisch daher nur von sekundärer Bedeutung, weil die Deutschlandpolitik nicht in der Downing Street, sondern in White-Hall, im Außenministerium, gestaltet worden sei.

Dennoch liegt der Schwerpunkt seiner Ausführungen auf der Analyse der Haltung Thatchers. Nach einem skizzenhaften Rückblick auf die britische Deutschlandpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg beschreibt Jakisch Thatchers Aktionen und Reaktionen in sieben Abschnitten, deren Disposition nicht voll überzeugen kann. Zunächst nähert er sich Thatchers Deutschlandbild, schildert anschließend ihr enges politisches Verhältnis zu Michail Gorbatschow, erörtert das Ringen um die NATO-Mitgliedschaft des geeinten Deutschland, diskutiert den Kampf um die deutsche Anerkennung der polnischen Westgrenze, untersucht die Forcierung der europäischen Einigung als Folge des deutschen Einheitsprozesses, geht den Ursachen des Bruchs in der special relationship zwischen London und Washington nach und rekapituliert noch einmal die Gründe für Thatchers vergebliche Suche nach Verbündeten gegen die deutsche Einheit. In einem weniger umfangreichen zweiten Hauptkapitel wendet sich Jakisch sodann den "Ansichten der anderen" zu (205), womit er Kabinettskollegen und sonstige britische Politiker meint.

Nicht die tiefe, von Kindheitserlebnissen im Zweiten Weltkrieg und der politischen Sozialisation in ihrem Wahlkreis geschürte Germanophobie oder das höchst gespannte Verhältnis zu Helmut Kohl waren nach Jackisch für Thatchers "Feldzug gegen die Einheit" entscheidend, sondern "handfeste britische Interessen" (23): die Sorge um die Stabilität in Europa und die Angst vor deutscher Dominanz. Die Hoffnung der Premierministerin, die Wiedervereinigung mit Gorbatschow vereiteln zu können, sollte trügen. Auch François Mitterrand lehnte ihr Angebot zum "Kreuzzug gegen die deutsche Einheit" ab (189). Isoliert im Kreis der Mit- und Gegenspieler aus Washington, Moskau, Paris und Bonn, konzentrierte sich Thatcher seit Februar 1990 auf die Verzögerung des Einigungsprozesses und nahm dann seit dem Frühsommer im Bewusstsein des Scheiterns ihrer bisherigen Strategie eine "wesentlich konstruktivere Haltung" ein (26).

Wie Jakisch insbesondere aus der Memoirenliteratur glaubt herausarbeiten zu können, wurde der Obstruktionskurs der britischen Regierungschefin nur von den Mitgliedern ihres "Küchenkabinetts" mitgetragen, dem Privatsekretär für Außenpolitik, Charles Powell, dem außenpolitischen Berater Percy Cradock und dem Pressesprecher Bernhard Ingham. Demgegenüber habe das Foreign Office unter seinem im Oktober 1989 berufenen Außenminister Douglas Hurd so "aktiv an der Umsetzung der Wiedervereinigung" (229) mitgewirkt, dass es sogar als "Türöffner für den deutschen Einigungsprozess" bezeichnet werden könne (10). Entscheidende Bedeutung für diese These misst Jakisch auf Grund zweier Zeitzeugeninterviews einem Papier des Politischen Direktors im Foreign Office, John Fretwell, zu, der bereits Anfang Oktober 1989 eine Verhinderung der deutschen Einheit als unmöglich bezeichnet habe. Hurds bisweilen "sybillinisch[e]" (233) Äußerungen zur deutschen Frage interpretiert Jakisch als Ausdruck des Bemühens, den Zwist im Kabinett zu verschleiern und der Öffentlichkeit ein Bild der Einigkeit zu liefern.

Auch das Verteidigungsministerium mochte Thatchers Linie nicht folgen. Kaum anders verhielten sich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - die classe politique und die britische Öffentlichkeit. Mit ihrer von historischen Reminiszenzen bestimmten "Bunkermentalität" (313) und einer Fehleinschätzung der wichtigsten Partner manövrierte sich die Premierministerin daher zunächst in die Isolation und provozierte dann im November 1990 den eigenen Sturz.

Jakischs irrtümlicherweise so bezeichnete "erste umfassende Studie über Großbritanniens Rolle im Einheitsprozess" (9) kann nur eingeschränkt halten, was der Klappentext verspricht: "ein Stück packende Zeitgeschichte". Mit diversen Wiederholungen, breiten Quellenreferaten, einer stereotyp wirkenden Thesenbildung und mangelnder Quellenkritik wird sie die Forschung nur bedingt befruchten.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Klaus Hildebrand: Wiedervereinigung und Staatenwelt. Probleme und Perspektiven der Forschung zur deutschen Einheit 1989/90, in: VfZ 52 (2004), 193-210.

[2] Norbert Himmler: Zwischen Macht und Mittelmaß. Großbritanniens Außenpolitik und das Ende des Kalten Krieges. Akteure, Interessen und Entscheidungsprozesses der britischen Regierung 1989/90, Berlin 2001, 13 u. 263.

Ulrich Lappenküper