Rezension über:

Susanne Pilhofer: Romanisierung in Kilikien? Das Zeugnis der Inschriften (= Quellen und Forschungen zur Antiken Welt; Bd. 46), München: Utz Verlag 2006, 299 S., ISBN 978-3-8316-0538-5, EUR 34,00
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Rezension von:
Kurt Tomaschitz
Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tomaschitz: Rezension von: Susanne Pilhofer: Romanisierung in Kilikien? Das Zeugnis der Inschriften, München: Utz Verlag 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/10410.html


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Susanne Pilhofer: Romanisierung in Kilikien?

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Die vorliegende Publikation, deren Text unter www.kilikien.de auch im Internet zugänglich ist, ist die erweiterte Fassung einer Abschlussarbeit aus dem Fach Geschichte. Sie ist in zwei Teile gegliedert, deren erster die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema umfasst. In der als Kapitel I gezählten Einleitung (3-7) wird die Fragestellung erläutert und daran anschließend in Kapitel II der Begriff 'Romanisierung' mit Berücksichtigung der Verhältnisse im griechischen Osten diskutiert (9-16). Kapitel III ("Kilikien: Prolegomena") gibt einen Überblick über die geografischen Voraussetzungen und die historische Entwicklung der Landschaft, die epigrafischen Quellen, um deren Auswertung es der Autorin vor allem geht, und die literarischen Nachrichten, in denen Kilikien als das Zentrum der späthellenistischen Piraterie beschrieben wird (17-32). Kapitel IV ("Begegnungen mit Rom") behandelt die Zeugnisse römischer Präsenz in Kilikien, wie sie sich in Personen, Institutionen, in der Infrastruktur und in Medien wie Münzen und Inschriften manifestiert (33-52). Kapitel V ("Die Bewohner Kilikiens") untersucht die sprachliche und kulturelle Romanisierung der einheimischen Bevölkerung anhand der Belege für die Verwendung der lateinischen Sprache, für römisches Namensformular und Bürgerrecht, weiters für Berufe, die Außenkontakte bzw. eine zumindest zeitweilige Emigration mit sich brachten (wie Händler, Athleten, Militärs und Beamte), sowie für die Götterkulte und den Kaiserkult (53-95). Kapitel VI ("Romanisierung in Kilikien") fasst schließlich die Aussagen des ersten Teils kurz zusammen (97-103).

Der zweite Teil gibt dem Leser die von der Autorin angelegte Quellensammlung an die Hand, deren Hauptteil eine Zusammenstellung von 50 inhaltlich relevanten kaiserzeitlichen Inschriften aus beiden Teilen Kilikiens bildet, die im Originaltext mit Übersetzung und kurzem, themabezogenem Kommentar wiedergegeben sind (107-174). Es folgen alphabetisch geordnete Auflistungen von in Kilikien epigrafisch bezeugten römischen Bürgern, gegebenenfalls mit ihren Frauen, und von römischen Namensformularen aus der Zeit nach der constitutio Antoniniana (175-242) sowie tabellarische Aufstellungen von römischen Bürgern mit Tribus-Angabe, von römischen Militärs und von kilikischen Soldaten außerhalb ihrer Heimatprovinz (243-248). Ein umfangreiches Literaturverzeichnis (249-272), ein nach Personen, Göttern und Orten geordnetes Register (275-295) sowie Karten des Rauhen und des Ebenen Kilikien (297-298) be- und erschließen das Werk.

Das Opus bildet einen weiteren substanziellen Beitrag zur altertumskundlichen Erforschung einer Landschaft, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten einer stark wachsenden Aufmerksamkeit erfreuen kann. Seit 1998 finden regelmäßig Kongresse zur Archäologie Kilikiens statt, der seit demselben Jahr in der in Mersin erscheinenden Zeitschrift "Olba" auch ein einschlägiges Forum zur Verfügung steht. Eine Reihe von interdisziplinären Forschungsprojekten widmet sich derzeit der Erschließung neuer Evidenz wie auch der Reevaluation schon lange bekannter, aber noch nie adäquat publizierter Denkmäler wie das amerikanische Rough Cilicia Survey Project, das britische Göksu Archaeological Project oder das deutsche Forschungsprojekt in Diokaisareia. Ein Defizit im Hinblick auf die historische Auswertung der vorhandenen Daten besteht freilich nach wie vor und Pilhofers Arbeit ist auch deshalb sehr willkommen.

Was hier vorgelegt wird, ist für eine studentische Qualifikationsarbeit zweifellos bemerkenswert und lässt sehr viel persönliches Engagement erkennen. Die Autorin kennt Kilikien und verdankt die Anregung, sich mit dieser speziellen Thematik auseinanderzusetzen, einer Bereisung der Landschaft und der Begegnung mit ihren Denkmälern. Schon die Quellensammlung ist eine für den engen zeitlichen Rahmen von vier Monaten, der für die Arbeit zur Verfügung stand (vgl. Vorwort), eine außerordentliche Leistung. Dass demgegenüber - das ist einer meiner wesentlichen Kritikpunkte - die Auswertung ziemlich kurz ausgefallen ist und oft zu stark verallgemeinernde Aussagen trifft, wird man auch unter diesen Voraussetzungen sehen müssen. Zum Anderen kommen zeitliche und räumliche Zusammenhänge in der weitgehend sachlich gegliederten Arbeit insgesamt zu kurz. Im Folgenden soll an einigen Beispielen auf diese Kritikpunkte eingegangen werden.

In der Beschreibung des Quellenbestandes finden sich durchaus richtige und wichtige Beobachtungen, die aber der Vertiefung und Differenzierung bedürften. So stimmt es, dass die großen Zentren des Ebenen Kilikien im edierten Inschriftenbestand nicht ihrer Bedeutung entsprechend vertreten sind, während sich die Situation in der Tracheia günstiger darstellt. Die westkilikischen Texte kommen dabei aber nicht etwa aus "schwach besiedeltem Bergland" (24), sondern aus dem Küstenstreifen, der durchaus nicht dünn besiedelt war, sondern eine stellenweise sogar bemerkenswerte Dichte an Kleinpoleis aufwies, wie etwa im Bereich von Korakesion, Selinus oder Anemurion. Auch die Feststellung, die meisten erhaltenen Inschriften stammten der modernen Besiedlung wegen von den Nekropolen außerhalb der Städte (24), ist zu pauschal formuliert. An manchen Orten besteht das lokale Corpus tatsächlich weitgehend aus Grabschriften, und vor allem die Nekropole von Korykos mit ihren ca. 600 Tituli bildet in dieser Hinsicht einen veritablen "Ausreißer". Ohne diesen Block wäre diese Gattung innerhalb der Tracheia allerdings unterrepräsentiert, und die Corpora von Städten wie Syedra, Laërtes, Antiocheia am Kragos und Anemurion, deren Ruinen nicht modern überbaut wurden und aus denen wichtige Zeugnisse von Pilhofers Quellensammlung stammen, beinhalten relativ wenige Grabinschriften.

Der historische Überblick in Kapitel III ist, vor allem für den Untersuchungszeitraum, zu kurz ausgefallen, hier wäre eine ausführlichere Betrachtung Kilikiens im Rahmen der römischen Geschichte für das Verständnis der folgenden Kapitel wie auch der Quellensammlung von großem Nutzen gewesen. Die für uns sehr undurchsichtigen Anfänge der provincia Cilicia im frühen 1. Jh. v. Chr., die Schaffung einer Großprovinz durch Pompeius, die Auflösung derselben in den Bürgerkriegen, die lange Phase der Klientelherrschaft in der Tracheia und die späte Einrichtung der kaiserzeitlichen Provinz unter den Flaviern schufen für die Frage der Romanisierung in Kilikien so spezielle Voraussetzungen, dass sie eine eingehendere Behandlung verdient hätten.

In Kapitel IV, in dem der Anwesenheit von Römern in Kilikien unter den Rubriken Kaiser, Soldaten und Privatleute nachgegangen wird, fehlen nach meinem Verständnis die Statthalter der Provinz, die doch jene Personengruppe bilden, die am kontinuierlichsten römische Präsenz und Macht in allen Aspekten verkörpert und auch im Inschriftenmaterial gut fassbar ist. Auch die Förderung der Urbanisierung und die Schaffung neuer Verkehrwege durch die Römer werden hier etwas gar kurz und unsystematisch abgehandelt (46-49).

Im resümierenden Kapitel VI betont Pilhofer richtigerweise, dass die Auseinandersetzung mit römischen Einflüssen in Kilikien ein sehr vielgestaltiges Ergebnis brachte, wie sich im Sprachgebrauch, in der Namensgebung, in kultischen Gewohnheiten und in der Beteiligung des Einzelnen am öffentlichen Leben zeigen lässt. "Romanisierung bedeutete in Kilikien, daß eine Gesellschaft, die von indigenen und hellenistischen Elementen geprägt war, sich unter römischem Einfluß weiter veränderte - und sicher in vielen Teilen zwar römischer wurde, aber nicht römisch" (101). Einverstanden! Und dennoch kann dies nicht das vollständige Bild der Begegnung der Einheimischen mit dem Römischen sein, denn die Isaurier-Unruhen der Spätantike lassen darauf schließen, dass ein Teil der Bevölkerung nicht oder nicht ausreichend in diesen Prozess eingebunden war und dem römisch-hellenistischen Überbau offenbar fremd, ja zunehmend feindselig gegenüberstand. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Schicht und diese Haltung sich nicht im vorhandenen Quellenmaterial spiegeln, das seine Entstehung ja gerade der Offenheit den äußeren Einflüssen gegenüber verdankt. Dennoch sollte dieser Aspekt der kaiserzeitlichen Entwicklung, der Kilikien von anderen kleinasiatischen Provinzen unterscheidet, in einer Arbeit zum gegebenen Thema nicht völlig ausgeblendet werden.

Pilhofers Buch führt in anregender Weise in sein Thema ein, stellt interessantes Material vor und setzt Markierungen für eine weiterführende Diskussion, in der methodisch und inhaltlich aber noch Vieles einzubringen sein wird, das hier nicht oder zu wenig berücksichtigt werden konnte. Die vorgebrachte Kritik, das ist mir klar, gründet auf einem Anspruch, dem die Autorin schon auf Grund der oben angesprochenen Rahmenbedingungen bei der Ausführung der Arbeit nicht ganz entsprechen konnte, dem sie aber, das zeigt das Interesse und die Kompetenz, mit denen sie zu Werke geht, zweifellos gewachsen ist. Darf man, dies sei hier als Anregung, wenn nicht als Erwartung ausgesprochen, auf eine Dissertation zu diesem Themenfeld gespannt sein?

Kurt Tomaschitz