Olaf Blaschke / Hagen Schulze (Hgg.): Geschichtswissenschaft und Buchhandel in der Krisenspirale? Eine Inspektion des Feldes in historischer, internationaler und wirtschaftlicher Perspektive (= Historische Zeitschrift. Beihefte. Neue Folge; Bd. 42), München: Oldenbourg 2006, IX + 239 S., ISBN 978-3-486-66642-7, EUR 49,80
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Der Markt für historische Informationen ist im Umbruch. Neue Kommunikationskanäle wie das Internet und E-Mail haben in den vergangenen rund zehn Jahren das eingespielte Fachinformationsgefüge gehörig durcheinander gewirbelt. Davon betroffen sind unbestrittenermaßen auch geschichtswissenschaftliche Bücher. "Schlechte Zeiten für Geschichtsbücher?" betitelt Mitherausgeber Olaf Blaschke deshalb seine (kenntnisreiche und gut lesbare) Einleitung des hier anzuzeigenden Sammelbandes. Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Buch verweigert sich einfachen Antworten und nimmt stattdessen eine breite und historisch fundierte Analyse der Situation vor - und füllt damit eine Lücke in der aktuellen Debatte über die Medien und Strukturen der Geschichtsschreibung im digitalen Zeitalter.
In der Tat scheint vieles dafür zu sprechen, dass sich der Markt für historische Bücher nicht nur in einer Krise, sondern in einer eigentlichen "Krisenspirale" befindet. Auf der einen Seite lässt sich beobachten, dass "mehr und mehr Wissenschaftsverlage und -autoren in das Segment der publikumsnahen Sachbücher" streben (2), auf der anderen Seite aber erscheint eine wachsende Zahl von geschichtswissenschaftlichen Texten in Publikationen, die im Buchhandel gar nicht mehr auftauchen. Was ist passiert? Der Sammelband - entstanden aus einer Tagung im März 2004 in Trier - verfolgt bei der Analyse drei Stränge: Im ersten Teil geht es um "Historische Perspektiven" des Problems. Der zweite Block ist mit "Internationale Perspektiven" überschrieben und den Abschluss bilden fünf Beiträge, die mit "Marktperspektiven" betitelt sind. Diese Aufteilung macht Sinn, relativiert doch gerade der präzise Blick zurück die gegenwärtige Aufgeregtheit im Feld des akademischen Publikationswesens.
Das vielleicht eindrücklichste Beispiel im ersten Teil stammt von Alexandra Fritzsch. Sie zeichnet den so genannten Bücher-Streit nach, der - nomen est omen - nach Karl Bücher benannt ist und zwischen dem so genannten "Akademischen Schutzverein" und dem Börsenverein des deutschen Buchhandels geführt wurde. Auslöser des Konfliktes war die Abschaffung des Rabattes von 10 oder gar 20 Prozent, der um die Wende zum 20. Jahrhundert Akademikern vom Buchhandel gewährt wurde. Bücher verfasste 1903 eine Denkschrift in der er einige Postulate aufstellte, die auch heute noch (oder: heute wieder) aktuell sind: So plädierte er etwa für den akademischen Selbstverlag (was allerdings wenig Erfolg hatte) sowie für den Direktvertrieb wissenschaftlicher Literatur durch die Verlage (dieser Ansatz hingegen erlebt heute eine wahre Renaissance, zum Teil transparent, zum Teil versteckt). Fritzsch betont in ihrem Fazit, dass viele Autoren den Schluss gezogen hätten, der Bücher-Streit hätte zur Preisbindung geführt; sie hingegen findet es wichtiger, dass der Schutzverein "als erste Interessenvertretung wissenschaftlicher Autoren deren Bewusstsein für die eigene Position sowie juristische und wirtschaftliche Belange des Buchhandels geweckt" habe (31): "Erstmals kam mit aller Schärfe und kompromisslos der pekuniäre Wert geistiger Tätigkeit zur Sprache." (ebd.). Ohne diesen aktuellen Bezug explizit zu machen, veranschaulicht Fritzsch in ihrem Beitrag die historische Grundierung der aktuellen Diskussionen um Open Access und Berlin respektive Budapest Declaration.
Die aktuelle diskursive Formation stellt zumeist einen Konnex her zwischen der Krise des Buchhandels und dem Aufkommen des Internet. Als vor rund acht Jahrzehnten die damals neuen Medien Radio, Grammofon und Kino aufkamen, setzte ebenfalls von Verlagsseite ein Lamento ein und die Verlage reagierten auf die neue Herausforderung, indem sie statt auf Qualität lieber auf Quantität setzten. In seinem Beitrag zeigt Florian Treibel, wie damals der Markt mit einer Flut von billigen Sonderausgaben überschwemmt wurde, was die Margen gedrückt und die strukturellen Probleme der Branche erhöht habe. Auch hier: déjà vu?
Im zweiten, leider etwas knapp geratenen Teil des Bandes wird der deutsche Markt für geschichtswissenschaftliche Bücher mit denjenigen in Großbritannien und Frankreich verglichen. (Gerne hätte man in diesem Teil auch Analysen des US-Marktes und der Situation in Osteuropa gelesen. Und könnte nicht auch der spanischsprachige Buchmarkt für eine vergleichende Untersuchung einige interessante Fragen aufwerfen?)
Materialreich und sehr differenziert vergleicht Olaf Blaschke in seinem Beitrag die britische und die deutsche Marktsituation und zeigt dabei überzeugend auch die Kehrseite des hiesigen verlegerischen Dauerlamentos auf: "In Deutschland scheinen akademische Verlage vergleichsweise weniger nachfrageorientiert, sondern provokant gesagt, verlassen sie sich lieber auf die Obrigkeit sowie auf das ausgefeilte Subventionswesen [...]." (103) Sehr schön beschreibt Blaschke auch die "verdeckte Magie der Verlage" (115) und die "Bindung an das kulturelle Sakrale" (120), d. h. die Wahl des "richtigen" Verlages. Schade nur, dass Blaschke den Einfluss der Neuen Medien am Schluss seiner Analyse etwas leichtfertig abserviert und damit genau derjenigen Magie zum Opfer fällt, die er so präzise beschrieben hat.
In den "Marktperspektiven", dem dritten Teil des Buches, geht es um die ökonomischen Aspekte des wissenschaftlichen Buches (Dietrich Kerlen), die Marktfähigkeit von Wissenschaft (Andreas Fahrmeir), die Lancierung von historischen Buchreihen (Walter H. Pehle), das "Mittlere Buch" (Detlef Felken) und die Macht der Bücher im Kontext historischen Wissens (Gangolf Hübinger).
Als äußerst hilfreich im aktuellen Krisendiskurs dürften sich Fahrmeirs Thesen erweisen, die er in seinem Beitrag aufstellt: Sie bieten Hand zu einer präzisen Krisenanalyse und zeigen mögliche Auswege auf. Er bestätigt, dass der Wandel der Wissenschaftsverlage "krisenhafte Züge" trage (170), führt dies u. a. auf die beiden Konzentrationsprozesse einerseits bei Verlagen und andererseits im Buchhandel zurück und weist darauf hin, dass die Preisbindung immer mehr die großen Buchhandelsketten bevorteilt, statt den Mittel- und Kleinverlagen den Marktzugang zu erleichtern. Zu Recht weist er darauf hin, dass die aktuelle Krise nicht zuletzt durch monopolistische Distributionssysteme entstanden ist und dass im derzeitigen Strukturwandel der vermeintliche Markt für geschichtswissenschaftliche Bücher immer mehr durch staatliche Regulierungen bestimmt wird: So sind es letztlich staatliche Evaluationsrichtlinien für Forschungsprojekte, universitäre Promotionsordnungen und die Ankaufspolitik staatlicher Bibliotheken, welche Angebot und Nachfrage im historischen Büchermarkt regulieren. Sehr zum Vorteil der Verlage, wie Fahrmeir vorrechnet: Für den Vertrieb eines wissenschaftlichen Buches mit einem Ladenpreis von 70 € und einer Auflage von 500 Stück erhält der Verlag - der in der Regel zur Qualitätssicherung gar nichts mehr beiträgt - immerhin 12.600 €. Das, resümiert Fahrmeir trocken, "könnte eine Erklärung für die Höhe von Druckkostenzuschüssen sein." (174) In seiner zweiten These plädiert er für mehr Kommerzialisierung, denn dies würde die Distanz zwischen historischer Wissenschaft und Öffentlichkeit reduzieren und diese Verringerung sei wünschenswert.
Das Buch spannt einen weiten Bogen zwischen Wissenschaftsforschung, historischer Hilfswissenschaft und Medienmarktanalyse. Mit der lapidaren Aussage: "Zu viele Historiker schreiben im Karrierestau zu viele Bücher" bringt es Gangolf Hübinger am Ende des Buches (224) auf den wohl kürzestmöglichen Nenner. So möchte man dem anzuzeigenden Buch den (frommen) Wunsch mitgeben, dass es nicht nur den Weg in die Buchhandlungen finden möge, sondern dass es auch von allen Betroffenen der Krisenspirale - Verleger, Buchhändler, Historiker und vor allem auch Wissenschaftspolitiker - rezipiert werde.
Peter Haber