Joseph E. B. Lumbard (ed.): Islam, Fundamentalism, and the Betrayal of Tradition. Essays by Western Muslim Scholars, Bloomington, Indiana: World Wisdom 2004, XXII + 324 S., ISBN 978-0-941532-60-0, USD 19,95
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"What went wrong?" ist die Frage, die der Herausgeber Joseph E.B. Lumbard stellt, und auf die die acht Essays in diese, Band eine Antwort geben möchten. Das Buch ist, wie so viele andere, in dem Kontext verstärkter Aufmerksamkeit für die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Auseinandersetzungen und gegenseitigen Wahrnehmungen zwischen sich als westlich bezeichnenden und den islamisch geprägten Regionen nach dem 11. September 2001 entstanden. Die Fragestellungen der gegenseitigen Wahrnehmung und Darstellung, der Konzepte und Wirkungsmechanismen von "Moderne", "Terrorismus" und "Globalisierung" ebenso wie Interpretationen und Diskurse um Begriffe wie "Jihad" versuchen aufzuzeigen, welche Wechselwirkungen zu den Spannungen geführt haben, die Grund für Missverständnisse und blutige Auseinandersetzungen zwischen "dem Westen" und "der islamischen Welt" sind.
Alle Verfasser der acht Essays bezeichnen sich als westliche Muslime, die meisten von ihnen forschen und/oder lehren an amerikanischen Universitäten und stammen somit aus dem weiteren Kontext der Middle Eastern Studies. Diese gewannen in den USA vor allem ab dem 2. Weltkrieg an Bedeutung - als Area Studies sind sie ein sehr facettenreiches Fach, da hier Fachleute verschiedener Disziplinen mit unterschiedlichen Ansätzen versuchen, Prozesse der islamisch geprägten Welt besser zu fassen, vor allem mit religionswissenschaftlichen, politikwissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen und anthropologischen Ansätzen.
Diese Vielfalt der Methoden in den Middle Eastern Studies zeigt sich auch in den hier vorliegenden Essays. Mehr noch: "We have employed both traditional Islamic teachings and modern methodologies to provide in-depth analyses of Islam in the modern world." (Lumbard, Introduction, XV) Das Buch ist nach einem Vorwort von Seyyed Hossein Nasr und einer Einleitung von Joseph E. B. Lumbard in drei Abschnitte mit insgesamt 7 Essays eingeteilt: Religious Foundations, Historical Dimensions und Political Dimensions. Daran schließt sich ein Epilog von T. J. Winter an.
Leider finden sich in einigen Artikeln Verallgemeinerungen und manchmal bleiben Analysen und Lösungsvorschläge eher vage. Einen Grund für die extremistischen Strömungen in der islamischen Welt sehen alle Verfasser mehr oder weniger explizit in einem Mangel an Spiritualität und an traditioneller islamischer Bildung. Welche Formen genau aber eine Stärkung der Spiritualität und traditionellen Bildung als Alternative zur Aneignung als fremd verstandener "westlicher" Theorien annehmen soll, bleibt offen. Zwei große Richtungen seien es gewesen, die den Islam in eine falsche Richtung gelenkt hätten: die "Fundamentalisten", indem sie bei ihren Interpretationen historische Kontexte und traditionelle Methoden der Quellenauslegung außer Acht ließen, und die "Modernisten" wie Sayyid Ahmad Khan (gestorben 1898) oder Muhammad Abduh (gestorben 1905), deren Fehler es gewesen sei, westliche Theorien auf die islamische Welt anwenden zu wollen, um diese zu reformieren (siehe Lumbard, Introduction, XIII).
Fazit der Verfasser: Im eigenen intellektuellen Erbe des Islam sei die Lösung für die Zukunft zu finden. Man fordert eine Fortführung der "klassischen Tradition" und der "Ihsani-Tradition", die ein spirituelles Reinigen sei, das zu einer besseren Gesellschaft führen könne. Wenn jedoch Ibn Arabi (gestorben 1240), al-Ghazzali (gestorben 1111) und Hallaj (gestorben 922) angeführt werden, um Wege aufzuzeigen, die "authentisch islamisch" seien und eine Lösung für gegenwärtige Probleme darstellen (Lumbard 39 ff.), bleibt unklar, wie diese spirituell und intellektuell oft hoch komplexen Gedankenwelten auf eine real existierende Gesellschaft umgesetzt werden können. Und was sind die konkreten Voraussetzungen, um eine "klassische, traditionell islamische Bildung" in Gesellschaften umzusetzen, die eben nicht mehr in einem Vakuum leben, sondern schon längst in ein weltweites Netz von kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen eingespannt sind?
Auch in den Essays selbst bleiben manche Fragen offen. Zwei sollen hier näher betrachtet werden, ein islamwissenschaftlicher und ein politikwissenschaftlicher. Wenn David Dakake zu "Myth of militant Islam" zu Recht mit at-Tabari (gestorben 923) darauf hinweist, dass sich viele koranische Verse, die heute von Extremisten benutzt werden, um terroristische Anschläge zu rechtfertigen, zum einen auf ganz bestimmte Gruppen beziehen [mushrikun ("Polytheisten"), kafirun ("Ungläubige"), munafiqun ("Heuchler"), ahl al-kitab
("Schriftbesitzer")] und nicht allgemein auf "Ungläubige", und dies darüber hinaus in einem historischen Kontext anzusiedeln sei, so vermisst man doch eine theoretische Ausführung darüber, wann solche Verse historisch interpretiert werden und wann Verse allgemeingültigen Charakter haben. Dakake geht auch nicht auf die Feststellung jener extremistischen Kreise ein, die argumentieren, dass es heute in der säkularisierten, westlichen Welt keine gläubigen Christen und Juden mehr gäbe und dass daher alle unter mushrikin und kafirin subsumiert werden könnten. Ferner wird der Umgang mit anderen religiösen Gruppen außerhalb der ahl al-kitab oder atheistischen Menschen nicht thematisiert. Natürlich konnte at-Tabari darauf keine Antwort geben - aber in einem Buch, das sich als ein Wegweiser zum islamischen Verständnis heute sieht, müssen diese Themen angesprochen werden, sonst bleiben beim Leser zu viele Fragen offen.
In dem Essay von Akram Ejaz wird die islamische Sicht auf die Globalisierung thematisiert. Moral habe es nach Ejaz dabei immer nur im Kontext von Religion gegeben - da man hier von universellen Prinzipien ausgehe, nicht von partikularen und zeitgebundenen -, und "die Moderne" im "Westen", die mit der Renaissance eingesetzt habe und in der Aufklärung gipfelte, habe letztlich diese universellen Prinzipien abgeschafft und sei damit unmoralisch geworden (237, 241, 253). Eine politische Manifestation der partikularen Interessen im Westen sei auch die Demokratie, die somit in der vorhandenen Form nicht auf die islamischen Länder übertragbar sei, da man hier immer von universellen Prinzipien ausgehen müsse. Leider bleibt offen, wie ein idealer - islamischer? - Staat aussehen soll.
Lumbard und viele der im Buch vertretenen Verfasser machen nicht allein die "westliche Welt" für all die Spannungen und blutigen Auseinandersetzungen in und mit der "islamischen Welt" verantwortlich, sondern suchen vielmehr auch Fehlentwicklungen in der islamisch geprägten Welt aufzuzeigen. Eine Vielzahl von Themen und Methoden vermittelt Wissen und Einblicke in dieses Spannungsverhältnis. Es ist von Wissenschaftlern verfasst, die mit der islamischen Tradition verbunden sind, aber auch westliche Bildungen durchlaufen haben, und die somit für beide Seiten sprechen können und beide Seiten adressieren.
Dabei wird moralisches Verhalten mehr oder weniger explizit nur dann als möglich angesehen, wenn sich Verhaltensnormen im Bereich religiöser Vorgaben bewegen. Dass Moral auch durch menschliche Erfahrung gewonnen werden kann, wird nicht thematisiert oder sogar abgelehnt. Fazit des Buches ist: "In fact, were the teachings of Islam to be followed and a true Islamic revival to take place, militant extremists would no longer have an audience." (Introduction, XVII)
Anmerkung der Redaktion:
Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php
Stefanie Brinkmann