Rezension über:

Eftychia Stavrianopoulou: "Gruppenbild mit Dame". Untersuchungen zur rechtlichen und sozialen Stellung der Frau auf den Kykladen im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit (= HABES. Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien; Bd. 42), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 375 S., ISBN 978-3-515-08404-8, EUR 48,00
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Rezension von:
Anne Bielman Sanchez
Université de Lausanne
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Anne Bielman Sanchez: Rezension von: Eftychia Stavrianopoulou: "Gruppenbild mit Dame". Untersuchungen zur rechtlichen und sozialen Stellung der Frau auf den Kykladen im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/11022.html


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Eftychia Stavrianopoulou: "Gruppenbild mit Dame"

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Wurde in den letzten Jahren vermehrt auf epigrafischen Quellen basierende Forschung zur regionalen griechischen Sozialgeschichte betrieben, so war eine eingehende Untersuchung der Stellung und der Rolle der Frau auf den Ägäischen Inseln bis heute noch ausstehend. Die Thematik wurde lediglich punktuell, in Einzeldarstellungen oder isolierten Artikeln, bearbeitet. Dennoch schien eine zusammenfassende Synthese der Problematik gerade durch die Fülle der verfügbaren Inschriften und die verschiedenen insularspezifischen sozialen und ökonomischen Charakteristika gerechtfertigt. Das oben genannte Buch, welches aus einer Habilitationsschrift unter der Leitung der Professoren F. Gschnitzer und A. Chaniotis an der Universität Heidelberg resultiert, schließt folglich eine offensichtliche Lücke.

Der Titel des von E. Stavrianopoulou veröffentlichten Werks, "Gruppenbild mit Dame" (welcher in Anlehnung an den gleichnamigen Roman Heinrich Bölls von 1971 gewählt sein dürfte), könnte bei einer bibliografischen Recherche insofern irreleitend sein, als dass er eine Verwendung von archäologischem und ikonografischem Material - besonders von ägäischen Grafreliefs oder gestalteten Sarkophagen - vermuten lässt, was jedoch nicht der Fall ist. Tatsächlich wird die historische Analyse durch kein einziges Bild gestützt, sondern basiert ausschließlich auf literarischen Texten und insbesondere Inschriften.

Die Autorin gliedert ihre Arbeit in drei Teile: A. Frau, Familie und Recht, B. Frau, Familie und Vermögen, C. Frau, Familie und Öffentlichkeit. Mit der Wahl dieser Titel unterstreicht sie die Bedeutung der in der griechisch-römischen Antike existenziellen Verbindung zwischen einer Frau und ihrer Familie; diese wird in besonderem Maße aus den epigrafischen Dokumenten kleiner Lebensgemeinschaften der Kykladen ersichtlich.

Im ersten Teil der Arbeit wird die Problematik der Eheschließung (engyé, ekdosis, Hochzeitszeremonie, Ehestrategie), der Mitgift (spezifische Besonderheit des Mitgiftrechts auf den verschiedenen Ägäischen Inseln, das wirtschaftliche Verhältnis der Ehepartner gegenüber der Mitgift, Scheidung und ökonomische Konsequenzen für das Paar, Witwenschaft und Mitgift) und des Erbrechts (Charakteristika der verschiedenen insularen Erbschaftsrechte der Frau, Adoption von Frauen, Testierfähigkeit der Frauen) behandelt.

Der zweite Teil untersucht die Teilnahme der Frauen an finanziellen Handlungen: Darlehensgeschäfte - insbesondere anhand verschiedener Dokumente des delischen Apolloheiligtums und von Tenos - Verpachtung von Land und Besitz von Sklaven.

Der dritte Teil der Arbeit gliedert sich in zwei unterschiedliche Kapitel. Einerseits bespricht die Autorin die verschiedenen, von Frauen ausgeübten Ämter und Liturgien, wobei das Amt der Archontin, der Stephanephorie und der Strategie je in einem eigenen Unterkapitel behandelt werden. Sie interessiert sich ebenfalls für die von Frauen ausgeübten Akte des Euergetismus, wie architektonische Stiftungen oder Bauwerke, sowie für die mögliche Motivation der Wohltäterinnen. Andererseits stellt sich die Autorin Fragen zur Art der Beziehung, in welcher die Frauen zu den einzelnen Mitgliedern ihrer Familie (Eltern - insbesondere dem Vater -, Kinder, Ehemann) stehen. Die dazu aus epigrafischen Dokumenten gewonnenen Informationen sind in aufschlussreichen Tabellen (280-289) zusammengestellt, wobei für jede Insel diejenigen Frauen erfasst wurden, welche gemeinsam mit einem Mitglied ihrer Familie in einer selbst errichteten oder einer ihnen gestifteten Inschrift erwähnt werden; schließlich untersucht die Autorin exemplarisch die familiäre Situation zweier Frauen: Epikteta aus Thera (IG XII 3, 330, um 210-195 v. Chr.) und Bryto aus Amorgos (IG XII 7, 239, 240 n. Chr.). Die spezifischen epigrafischen Dokumente der Trostdekrete sind abschließend in einer Tabelle erfasst (316-317).

In ihrer Studie werden von der Autorin an die hundert epigrafische Texte kommentiert und zum Teil, manchmal nur auszugsweise, übersetzt. Von den einzelnen Gegebenheiten ausgehend, erarbeitet sie Kapitel um Kapitel allgemein gültige regionale Schlüsse zu der betreffenden Thematik. Aus den Ergebnissen der beiden ersten Teile ihres Werks zieht die Autorin die Erkenntnis, dass die Frauen der bürgerlichen Oberschicht der Kykladen über einen gewissen wirtschaftlichen Handlungsspielraum verfügten, welchen sie unter anderem ihrer Mitgift verdankten, auf die sie ein lebenslanges Verfügungsrecht hatten. Zudem galten sie innerhalb ihrer Familie als handlungsfähige Partner in finanziellen Angelegenheiten. Diese auf den Ägäischen Inseln von den Frauen ausgeübte Rolle im wirtschaftlichen Bereich führte ihrerseits zum Anspruch eines Platzes im öffentlichen Leben, da die führenden Familien verpflichtet waren, ein, ihrem Reichtum entsprechendes allgemeines Ansehen zu wahren. Trotz dieser relativen Freiheit wurden die Handlungen der Insulanerinnen stets im Hinblick auf eine Aufwertung der eigenen Familie, insbesondere der männlichen Verwandtschaft, getätigt; sie widmeten sich dabei der Erschaffung eines adäquaten Bildes der Familie im öffentlichen Raum, wobei sie oft zu Ehren ihrer männlichen Verwandtschaft ein Denkmal errichten ließen. Der während der Kaiserzeit herrschende römische Einfluss führte gemäß der Autorin zu einer Einschränkung der jeweiligen Rollen der Männer und Frauen, zum Verschwinden der von Frauen unabhängig ausgeführten Handlungen zu Gunsten von als Paar oder Familie ausgeübten Ämtern sowie zur Stärkung des traditionellen Frauenbildes als Mutter und liebende Ehefrau.

Ergänzt wird das Werk mit nützlichen Indexen und einer umfangreichen Bibliografie, welche jedoch einige Schwächen aufweist. Insbesondere fällt auf, dass die jüngsten aufgeführten Bücher aus dem Jahr 2001 datieren und es sich dabei um Werke in englischer oder deutscher Sprache handelt. Aktuelle Studien aus dem französischen Sprachraum wurden vernachlässigt; dies ist umso bedauerlicher, als zwischen 2002 und 2004 zahlreiche sehr gute französische Publikationen zum Hellenismus erschienen. Zudem leidet die historische Analyse teilweise unter dieser Ausklammerung französischsprachiger Studien, wie es das folgende Beispiel zeigt: In ihrem Kapitel über die Adoption der Frau untersucht die Autorin die Unterlagen zur Priesterin Malthake von Tenos (IG XII Suppl. 322, 323), welche auch das Amt eines Architheoros ausübte. Bezüglich dieses Amtes verweist die Autorin lediglich auf einen von 1910 datierenden Artikel P. Graindors und scheint keine Kenntnis von der maßgeblichen Studie L. Roberts über Frauen als Leiterinnen einer Theoria (CRAI 1974, 176-181) und die Unterscheidung ihrer Funktion von derjenigen der männlichen Theoren zu haben.

Es handelt sich hierbei jedoch um kleinere Schwächen, welche die eigentliche Qualität des Werkes, das eine Fülle von Dokumenten äußerst detailliert und überzeugend analysiert, in keiner Weise schmälern. Es ist anzunehmen, dass das betreffende Buch über viele Jahre die vielfältigste und nützlichste Referenz zur Sozialgeschichte der Kykladen im Hellenismus und der römischen Kaiserzeit bleiben wird.

Anne Bielman Sanchez