Lukas Straumann: Nützliche Schädlinge. Angewandte Entomologie, chemische Industrie und Landwirtschaftspolitik in der Schweiz 1874-1952 (= Interferenzen. Studien zur Kulturgeschichte der Technik; Bd. 9), Zürich: Chronos Verlag 2005, 392 S., ISBN 978-3-0340-0695-8, EUR 32,00
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Die Dissertation von Lukas Straumann ist in der Schweizer Reihe "Interferenzen" erschienen, in der bereits einige anregende Studien zur Kulturgeschichte der Technik veröffentlicht worden sind. Trotz ihrer Bedeutsamkeit im Rahmen der Umweltdebatte, fand die Beschäftigung mit der historischen Dimension der Schädlingsbekämpfung bisher kaum statt. Eine Ausnahme bildet hier Nordamerika, wo seit den 1970er-Jahren eine Reihe fundierter Studien entstanden ist. In Europa, und speziell im deutschen Sprachraum, finden Aspekte der Schädlingsbekämpfung erst in den letzten Jahren zunehmend wissenschaftliche Beachtung. Trotz der begrenzten Anzahl der Arbeiten wird das Thema ausgesprochen kontrovers behandelt. Straumann bringt die Schädlingsbekämpfung, die schon mit den exaltiertesten Bedeutungen überfrachtet wurde, auf eine erfrischend sachliche Ebene zurück. In der bestechenden Aufgeräumtheit dieses Werkes liegt eine große Qualität.
Der Verfasser spürt der Frage nach, wie sich die risikobehaftete Technologie der chemischen Schädlingsbekämpfung entwickeln und etablieren konnte. Er zeichnet dabei in sechs Kapiteln einen Zeitraum nach, der vom ersten Auftreten der Reblaus in der Schweiz (1874) bis zur Insektizidkrise der 1950er-Jahre reicht. Straumann versteht seine Arbeit als "Beitrag zu einer multiperspektivischen Technikgeschichte" (20) und integriert verschiedene geschichtswissenschaftliche Ansätze. Im Zentrum der Untersuchung steht das Handeln der Akteure im Interessengeflecht aus Landwirtschaftspolitik, Wissenschaft und chemischer Industrie. Straumann schildert eindrücklich deren Ambitionen und Allianzen, die den Pestiziden zu ihrem Durchbruch verhalfen. Die Geschichte der modernen chemischen Schädlingsbekämpfung ist eng mit der Schweiz als Schauplatz verbunden. So entdeckte der bei der Basler Geigy AG beschäftigte Chemiker Paul Müller im Rahmen der Suche nach neuen Wirkstoffen 1939 die insektizide Wirkung des DDT. Vor allem dem DDT verdankte die Schweiz in der Folgezeit die führende Stellung auf dem Weltmarkt der Pestizide.
Die Arbeit ist chronologisch aufgebaut und die vorgenommene Periodisierung erscheint sehr überzeugend. In einem einführenden Kapitel kontextualisiert der Verfasser die chemische Schädlingsbekämpfung in den Prozess der Verwissenschaftlichung und Rationalisierung der Landwirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. An dieser Stelle hat die Rezensentin einen zumindest kleinen Hinweis auf historische Vorläufer vermisst. Dass die "Schweizer Pflanzenschutzforschung, [...] im Wesentlichen [...] im Jahr 1874 begann" (20), klingt doch etwas vereinfachend.
Das anschließende Kapitel widmet sich dem Auftreten der Reblaus in der Schweiz. Nach Straumann hatte das Auftreten der aus Nordamerika eingeschleppten Reblaus eine katalytische Funktion für die Entwicklung der Schädlingsbekämpfung. Es markiert den Beginn einer intensiven wissenschaftlichen Forschung und einer politischen Auseinandersetzung. Besonders herausgestellt wird hier die Rolle des Staates als fördernde und regulierende Kraft. Der Staat hatte ein volkswirtschaftliches Interesse an der Modernisierung der Landwirtschaft und musste gleichzeitig die Bedürfnisse landwirtschaftlicher Kreise befriedigen. Er wurde in der Anfangsphase der chemischen Bekämpfung zu einem wichtigen Motor der Entwicklung.
Es standen zwar bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert chemische Bekämpfungsmittel zur Verfügung, und auch privatwirtschaftliche Tendenzen machten sich in begrenztem Umfang bemerkbar, zur Entstehung einer spezialisierten Pestizidindustrie sollte es aber erst nach dem Ersten Weltkrieg kommen, wie Straumann im Kapitel 3 zeigt. Im Zusammenspiel mit der Professionalisierung der angewandten Entomologie und der Entstehung neuer Märkte, durch den Aufschwung des Obstbaus in der Schweiz, konnte sich zunächst die chemische Fabrik Dr. Maag mit der Produktion chemischer Bekämpfungsmittel kommerziellen Erfolg verschaffen. Ein wichtiger Faktor war dabei die Beschäftigung von Wissenschaftlern in den Unternehmen. Einen wichtigen Innovationsschub verschaffte der Branche erneut ein Schädling: Die massenhafte Ausbreitung des Kartoffelkäfers erweiterte das Anwendungsspektrum für Pestizide nun auch auf den Ackerbau.
Zwischen 1939 und 1945 erfuhr die chemische Schädlingsbekämpfung eine beschleunigte Popularisierung und Durchsetzung. Im Rahmen der kriegswirtschaftlichen Organisation des Bundes wurde Pflanzenschutz in die staatliche Ernährungs- und Versorgungspolitik integriert. Die Entdeckung des DDT durch Paul Müller 1939 löste einen Pestizid-Boom aus, und das DDT wurde kommerziell ein außerordentlicher Erfolg. Das ungeheuer wirksame und als ungiftige Alternative zu Arsenprodukten angepriesene DDT stieß auch weltweit auf eine enorme Nachfrage. Die Entwicklungen während des Zweiten Weltkriegs werden in Kapitel 4 geschildert.
Ab etwa 1950 wurden die ökologischen Nebenwirkungen des DDT offenbar und die chemische Industrie hatte mit einem Einbruch der Umsätze zu kämpfen. Im Kapitel 5, das schließlich diese "Insektizidkrise" schildert, wird leider allzu viel Gewicht auf unternehmensgeschichtliche Details gelegt. Hier hätte es der Abrundung der Sache gut getan, wenn auch auf die Rezeption der Krise bzw. die öffentliche Meinung eingegangen worden wäre. Da ist zwar "von einem Vertrauensverlust in die Technik der chemischen Schädlingsbekämpfung" (303) die Rede und auch von einem "Widerstand von Teilen der Bevölkerung" (296), wie dieser sich aber genau gestaltete, bleibt unerwähnt. Im abschließenden Kapitel fasst Straumann die wichtigsten Zäsuren und Entwicklungen zusammen. Er greift auch die Frage nach den Spielräumen der Beteiligten bei der Technikgestaltung auf und nennt Gründe für das Scheitern möglicher Alternativen.
Die vorliegende Arbeit bietet eine ausführliche und zugleich spannende Geschichte der Pestizide in der Schweiz. Die Untersuchung konzentriert sich auf die wirtschaftlichen und politischen Dimensionen, berücksichtigt aber auch wissenschafts- und umweltgeschichtliche Aspekte. Mit einem scharfen Blick für Konstellationen leistet Straumann einen wertvollen Beitrag zum Verständnis der Genese risikobehafteter Technologien. Der Autor verortet die Schädlingsbekämpfung vor allem in einem ökonomischen Kontext - wo sie auch hingehört -, ohne allerdings eine Unterbewertung der weit reichenden Konsequenzen und Implikationen vorzunehmen. Die Stärke der Studie liegt in dieser gelungenen Gratwanderung.
Katharina Thom