Rezension über:

Will Coster / Andrew Spicer (eds.): Sacred Space in Early Modern Europe, Cambridge: Cambridge University Press 2005, xiii + 350 S., 29 illus., 7 fig., ISBN 978-0-521-82487-3, GBP 50,00
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Rezension von:
Anna Ohlidal
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Universität Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Ute Lotz-Heumann
Empfohlene Zitierweise:
Anna Ohlidal: Rezension von: Will Coster / Andrew Spicer (eds.): Sacred Space in Early Modern Europe, Cambridge: Cambridge University Press 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/8270.html


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Will Coster / Andrew Spicer (eds.): Sacred Space in Early Modern Europe

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Die Kategorie "Raum" hat seit ihrer Wiederentdeckung durch die Geschichtswissenschaften, die zumindest für die deutsche Forschung wesentlich durch die Soziologin Martina Löw angeregt wurde, Niederschlag in zahlreichen Tagungsbänden und Monografien gefunden. Dabei stand von Anfang an auch der konfessionell geprägte bzw. sakrale Raum im Zentrum der Aufmerksamkeit. [1] Der hier anzuzeigende englische Sammelband widmet sich in fünfzehn Beiträgen ausschließlich diesem Phänomen, wobei möglichst viele Dimensionen des konfessionellen Raums für ein von Spanien bis Moldawien, von Schottland bis Rom reichendes Europa mit seiner Vielzahl kultureller und religiöser Kontexte erfasst werden sollen. Es handelt sich hier, das sei sogleich vorweggenommen, um einen Band, der sicherlich in Zukunft bei der Diskussion konfessioneller Raumfragen an vorderster Stelle zu zitieren sein wird. Coster und Spicer behaupten nicht, mit ihrem Sammelband eine umfassende Studie vorzulegen, aber der konsequent komparatistische Ansatz, der zum Teil auch von den Beiträgern aufgegriffen wird, ermöglicht einen breiten Einblick in das behandelte Phänomen.

Die geschickte Zusammenstellung des Bandes zeigt sich bereits in der Einleitung, wo die Problematik des konfessionellen Raums zunächst unter sechs Leitkategorien abgehandelt wird, denen sich die einzelnen Beiträge zuordnen lassen: "Contestation" erfasst die konfessionellen Auseinandersetzungen, die besonders häufig im städtischen Kontext vor dem Hintergrund der sich ständig in Bewegung befindlichen konfessionellen Topografie ausbrachen. Das Verhältnis zwischen dem heiligen und dem profanen Raum und die daraus folgende Abstufung von "Heiligkeit" innerhalb eines sakralen Raums werden mit dem Begriff "Liminality" bezeichnet. Unter "Subdivision" subsumieren Coster und Spicer sowohl Gender-Aspekte, die in dem Band allerdings nur am Rande angesprochen werden, als auch die Beziehungen zwischen den Lebenden und den Toten. "Polarity" als weitere erkenntnisleitende Kategorie soll keineswegs einer simplen Bipolarität das Wort reden, sondern ganz im Gegenteil auf die komplexen, multi-polaren Aspekte in der Organisation von Raum aufmerksam machen. Die Interaktion des Raumes mit einer Vielzahl anderer Faktoren wie der Zeit, den Sinnen, dem Jenseitsverständnis werden unter dem Begriff der "Dimension" thematisiert. "Meaning", die letzte Kategorie, betont noch einmal das komplexe Verhältnis zwischen dem Raum, der modifiziert und re-interpretiert werden kann, und den Botschaften, die dieser Raum aussendet, und warnt somit vor einer übereilten, eindimensionalen Interpretation. In dieses Begriffssystem fügen sich fast alle Beiträge hervorragend ein und sorgen so für eine innere Vernetzung, die bei der fortschreitenden Lektüre immer wieder erhellende Rückgriffe auf bereits Gelesenes ermöglicht.

Zunächst stellt Beat Kümin das Verhältnis von Kirche und Wirtshaus an Beispielen aus der Schweiz nuancierter dar, als es die Dichotomie von Heiligem und Profanem ermöglicht, indem er Belege für vielfältige Formen kulturellen Austausches bietet. Bridget Heal untersucht am Beispiel der Stadt Nürnberg die lutherische Einstellung zur Heiligkeit des Kirchenraums und kommt zu dem Schluss, dass die "bewahrende Kraft" des Luthertums nicht bedeutete, dass auch die Einstellungen gegenüber dem sakralen Raum unverändert blieben. Vielmehr sei von einer allmählichen Veränderung auszugehen, und zwar nicht hinsichtlich der Ausstattung, sondern hinsichtlich der Nutzung des Raumes. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Christian Grosse für das Reformiertentum, indem er aufzeigt, dass die liturgische "Konversion" der mittelalterlichen Genfer Kirchen nicht ein Prozess der Desakralisierung war, sondern eine Neuordnung der formalen Präsenz des Heiligen in der Welt. Andrew Spicer thematisiert die sich wandelnde Perzeption der Heiligkeit des Raumes in der schottischen Kirche, die eng mit den liturgischen und konfessionellen Veränderungen des frühen 17. Jahrhunderts verbunden war.

Ausgehend von der These, dass Raum nicht nur durch das Sichtbare und das Berührbare artikuliert wird, sondern auch durch den besonderen Klang des Gottesdienstes, untersucht John Craig das Audio-Moment sakraler Raumbesetzung in den englischen Pfarrkirchen zwischen 1547 und 1652. Die zunehmende Popularität des Psalmgesangs bei den Gemeinden erklärt Craig mit der machtvollen, öffentlichen Erfahrung, einen Klang zu produzieren, der nur von wenigen Geräuschen übertönt werden konnte und der von Männern und Frauen gleichermaßen produziert wurde. Anhand des Seufzens und Stöhnens der Prediger, aber auch des Publikums verdeutlicht Craig die höhere Lautstärke des frühneuzeitlichen Gottesdienstes, aber auch die stärkere Interaktion zwischen Klerikern und Gemeinde. Alle untersuchten Beispiele zeigen laut Craig, wie sehr die Gottesdienste durch die Gläubigen geformt wurden und wie sie gerade dadurch langfristig populär blieben.

Will Coster untersucht am Beispiel eines Pfarrbezirks der englischen Stadt Chester die Raumnutzung in der Kirche und fragt, wie diese in den Bestattungen reproduziert wurde: Die Nähe zum Kirchengestühl war für bestimmte soziale Gruppen wichtiger als die Nähe zum Hochaltar, so dass die Bestattungspraxis somit als Reflexion der sozialen und kommunalen Strukturen gesehen werden kann. Maria Crăciun untersucht die einzigartigen Bestattungskammern in der orthodoxen Kirche Moldaviens, die nur in fürstlichen Kirchgründungen monastischen Charakters mit Kleeblatt-Grundriss zu finden sind. Die Grabkammern dienten dazu, die Legitimität der Herrscher durch dynastische Einbindung zu konstruieren und die Verantwortlichkeit des Fürsten für die kollektive Erlösung seines Volkes zu demonstrieren.

Kritik an der Anwendung eines abstrakten Raumkonzepts auf die Frühe Neuzeit äußert Simon Ditchfield, der den Prozesscharakter des "spacing" stärker betonen möchte und versucht, dies in seinem Beitrag zur Rezeption der Sakrallandschaft des frühchristlichen Rom in den Schriften von Cesare Baronio und Antonio Bosio umzusetzen. Trevor Johnson beschäftigt sich mit den nach 1590 entstandenen karmelitischen "Wüsteneien" in Spanien. Diese Orte sollten ein Treffpunkt für das Natürliche und das Heilige sein, an dem eine heilige Person mit dem sakralen Raum verschmelzen konnte.

Alexandra Walsham untersucht den Disput um den sakralen Raum in Wales am Beispiel von Holywell, dem seit den späten 1570er Jahren im Rahmen der Neuformierung des konfessionellen Raums eine Schlüsselrolle zukam. Sie lehnt die bisherige Interpretation ab, wonach Holywell exemplarisch für den Widerstand einer einheimischen Religion gegen die zwanghafte Akkulturation stehe; vielmehr handelte es sich um einen Prozess der Anpassung, der das allmähliche Entstehen eines Reformkatholizismus zum Ziel hatte. Elizabeth Tingle analysiert den Gebrauch, den die Missionare in der Bretagne von der in Geschichte und Landschaft verkörperten Erinnerung machten, um ihre Botschaft von Reform und Erlösung im Kirchenvolk zu verankern. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass Gesten und Rituale in der Reformbewegung des 17. Jahrhunderts mindestens so bedeutend waren wie die Vermittlung zentraler Glaubensinhalte und die Verinnerlichung des Glaubens.

Amanda Eurich beschäftigt sich mit der Problematik der Sakralisierung städtischen Raums in Orange. An verschiedenen Beispielen wie Denkmälern und Prozessionen demonstriert sie, wie die Bewohner der Stadt die urbane Topografie formten und manipulierten, um so das jeweils unterschiedliche Verständnis von Glaube und Gemeinde zu artikulieren und die Überlegenheit über die jeweils andere Konfession zu demonstrieren. Eurich verdeutlicht dabei das dynamische Moment der konfessionellen Raummarkierung sowie den abschließenden Übergriff des siegreichen Katholizismus auf den bisher geteilten öffentlichen Raum.

Die abschließenden Beiträge von Howard Louthan und Duane J. Corpis führen nach Böhmen bzw. nach Augsburg. Louthan analysiert die Formierung sakralen Raums anhand von Bildersturm und Brückenbau: Während der Abschnitt über den calvinistischen Bildersturm im Prager Veitsdom 1619 zu sehr den Klischees der älteren Forschung verbunden bleibt, gelingt Louthan eine überzeugende Interpretation der Statuen auf der Prager Karlsbrücke. Religiöse und patriotische Interessen gingen hier eine effektvolle Verbindung ein und zeigten, wie weit die religiöse Kunst über den traditionellen Kirchenraum hinaus wirksam und zum Kennzeichen einer neuen böhmischen Identität geworden war. Corpis analysiert die Raumbesetzung im bikonfessionellen Augsburg des späten 17. und 18. Jahrhundert. Seine Untersuchung der Auseinandersetzungen, Aushandlungsprozesse und Dynamik bei der Markierung des städtischen Raums macht noch einmal die Stärken des Bandes sichtbar: Durch den Respekt, den die Beiträger der von den Herausgebern angeregten Fragestellung entgegenbrachten, ist ein anregendes und kohärentes, zum Vergleich über die Ländergrenzen einladendes Buch entstanden, das nicht nur neue Fragen aufwirft, sondern bereits vielfältige Antworten bietet.


Anmerkung:

[1] Vgl. z. B. Martina Löw: Raumsoziologie, Frankfurt a.M. 2001; Susanne Rau / Gerd Schwerhoff (Hg.): Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2004; Renate Dürr: Politische Kultur in der frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hildesheimer Stadt- und Landgemeinden 1550-1750, Gütersloh 2006.

Anna Ohlidal