Rezension über:

Sylvia Krauss (Bearb.): Nachlässe im Bayerischen Hauptstaatsarchiv 1800 bis heute (= Bayerische Archivinventare; Bd. 53), München: Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns 2005, 296 S., ISBN 978-3-921635-89-6, EUR 12,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Sigrid von Moisy
Abteilung für Handschriften und Alte Drucke, Bayerische Staatsbibliothek, München
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Sigrid von Moisy: Rezension von: Sylvia Krauss (Bearb.): Nachlässe im Bayerischen Hauptstaatsarchiv 1800 bis heute, München: Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/9668.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Sylvia Krauss (Bearb.): Nachlässe im Bayerischen Hauptstaatsarchiv 1800 bis heute

Textgröße: A A A

In der Reihe "Bayerische Archivinventare" hat Sylvia Krauß erstmals ein umfassendes Verzeichnis aller Nachlassbestände, die sich in den einschlägigen Abteilungen des Bayerischen Hauptstaatsarchivs befinden, vorgelegt: Abteilung III Geheimes Hausarchiv, Abteilung IV Kriegsarchiv, Abteilung V Nachlässe und Sammlungen. Das Verzeichnis weist insgesamt 233 Bestände, meist Nachlässe bzw. Vorlässe von Einzelpersonen, aber auch 31 Familienarchive nach.

Der inhaltliche Schwerpunkt liegt bei den "Nachlässen von Herrschern, Staatsmännern, Politikern, leitenden Beamten, Militärs und politischen Publizisten" (13); vereinzelt sind aber auch andere Berufe wie Hofschauspieler, Schriftsteller, Biophysiker, Bankier usw. vertreten. Der räumliche Rahmen erstreckt sich - entsprechend dem Sammelauftrag des Bayerischen Hauptstaatsarchivs - vor allem auf das "bayerische Staatsgebiet", d. h. "Nachlässe bayerischer Persönlichkeiten bzw. von Personen, die den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in Bayern hatten" (Einleitung, 19).

Da Sammlungen zu einzelnen Personen oder Geschlechtern (Pertinenzprinzip) bzw. deren Nachlässe (Provenienzprinzip) erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts zu einem eigenen Aufgabenfeld des Archivs wurden, umspannt der zeitliche Rahmen dieser Bestände im Wesentlichen die Zeit ab dem ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Besonders reich dokumentiert sind - durch die hier wie in anderen Institutionen stark angewachsene Erwerbungstätigkeit seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs - mit zahlreichen Nachlässen bzw. Vorlässen noch lebender Persönlichkeiten die letzten sechs Jahrzehnte. Verzeichnet werden neben umfangreichen, mehr oder minder geschlossen erhaltenen Beständen auch Teilnachlässe bis hin zu Nachlasssplittern (z. B. werden für Lola Montez nur sechs Urkunden verzeichnet).

Das Verzeichnis ist alphabetisch nach den Namen der Einzelpersönlichkeiten bzw. der Familien angelegt. Angehörige ehemaliger Herrscherhäuser werden nach archivarischer Gepflogenheit unter dem Land angesetzt. Jeder Eintrag beginnt auf einer neuen Seite und ist mit einem Porträt des Nachlassers bzw. bei Familien dem Porträt eines herausragenden Familienmitglieds ausgestattet. Auf den graphisch abgesetzten Kopfteil mit Familienname in Großdruck, Vorname, Geburts- und Todestag folgt die Einzelbeschreibung der Nachlässe, gegliedert nach:

- "Beruf / Ämter": Auf eine allgemeine Berufsbezeichnung folgt in Stichworten ein Lebenslauf in nuce: Die wichtigsten Stationen der beruflichen Laufbahn werden mit Jahreszahlen und - wo nötig - mit Ortsangaben aufgezählt. Bei den Familienarchiven werden an dieser Stelle in chronologischer Abfolge die wichtigsten Familienmitglieder unter Angabe ihrer Lebensdaten und ihres Berufes angeführt.

- "Inhalt": Aufgeführt werden die im Nachlass vorkommenden Schriftgutgruppen wie persönliche Dokumente, Unterlagen zur beruflichen Tätigkeit, Korrespondenzen und Sammlungen verschiedenster Art. Doch sind die Inhaltsbeschreibungen häufig mit thematischen Angaben verknüpft und geben so dem Benützer wertvolle Informationen, die über eine Aufzählung rein formaler Gattungen weit hinausgehen. U. a. werden bei den Korrespondenzen die Namen der wichtigsten Briefpartner erwähnt.

- "Laufzeit" mit Angabe des Anfangs- und Endjahres der enthaltenen Materialien und gegebenenfalls zu älteren oder jüngeren Einzelstücken

- "Umfang", gemessen in laufenden Metern

- "Erschließung" mit Hinweis auf den derzeitigen Bearbeitungsstand, in den meisten Fällen auf ein Repertorium

- "Standort" mit Angabe der jeweiligen Abteilung, die den Nachlass verwahrt

- gegebenenfalls sehr hilfreiche Hinweise auf "weitere Bestände": Verwiesen wird hier zum einen auf verwandte Materialien im eigenen Haus, entweder in anderen Nachlässen oder in den übrigen Abteilungen des Hauptstaatsarchivs, zum anderen auf Nachlassteile in sonstigen öffentlichen oder privaten Archiven und Bibliotheken in Deutschland. Doch ist hier sichtlich keine Vollständigkeit angestrebt; so sind z. B. Materialien zu den Königen Maximilian II. und Ludwig II. von Bayern oder zu Wilhelm Freiherr von Pechmann und Georg Friedrich Ziebland in der benachbarten Bayerischen Staatsbibliothek nicht aufgeführt. Dem Benützer ist daher die zusätzliche Einsichtname in weitere Nachschlagewerke wie das Verzeichnis "Die Nachlässe in den Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland" von Ludwig Denecke und Tilo Brandis (2. Aufl. Boppard 1981) zu empfehlen.

Der Band wird ergänzt durch eine Einleitung mit allgemeinen Erläuterungen zur wissenschaftlichen Bedeutung von Nachlässen, zur Definition des Begriffes Nachlass und zu Nachlässen in Archiven generell sowie speziellen Erläuterungen zu Geschichte, Erwerbungsspektrum und Benützungsmodalitäten des Nachlassbestandes des Bayerischen Hauptstaatsarchivs und dem Erfassungsschema der Nachlässe im vorliegenden Band.

Alle im Nachlassverzeichnis vorkommenden Namen werden in einem umfangreichen Namensregister nachgewiesen, die Namen der Nachlasser ebenso wie die Namen aller in den Inhaltsbeschreibungen erwähnten Personen. Der Benützer erhält so wertvolle Hinweise vor allem auf die in den Nachlässen enthaltenen wichtigen Korrespondenzpartner. Ein Berufsregister und ein Register nach Geburtsjahren der Nachlasser, das einen raschen Überblick über den chronologischen Aufbau der Sammlung gewährte, fehlen leider.

Die von Sylvia Krauß beschriebenen Nachlässe sind auch in der zentralen Nachlassdatenbank des Bundesarchivs (http://www.bundesarchiv.de/zdn), die den gesamten Nachlassbesitz aller Archive der Bundesrepublik Deutschland erfasst, nachgewiesen. Dennoch hat der nun im Druck vorliegende Katalog seinen eigenen hohen Wert. Die Angaben zu den Personen und zu den Inhalten sind bei sehr vielen Eintragungen ausführlicher und instruktiver als in der Datenbank. Der Band gibt einen vorzüglichen und raschen Überblick über den Bestand einer bedeutenden wissenschaftlichen Institution und ist durch dessen thematische Konzentration auf das bayerische Staatsgebiet ein wertvoller Wegweiser zu den Quellenmaterialien einer speziellen Wissenschaftsdisziplin.

Eine (zumal sehr umfangreiche) Datenbank wird der Forscher wie ein Register nur punktuell abfragen können, um so eine erste Information über Standorte gesuchter Nachlässe zu erhalten. Der vorliegende, drucktechnisch sehr qualitätvoll ausgestattete Band dagegen verlockt den Historiker zum Blättern und Schmökern und damit zu einem Gang durch die bayerische Geschichte der letzten 200 Jahre, bei dem sich über das zunächst gesuchte hinaus unverhofft viel zusätzliches Material entdecken lässt.

Sigrid von Moisy