Jörg Schweigard: Die Liebe zur Freiheit ruft uns an den Rhein. Aufklärung, Reform und Revolution in Mainz, Gernsbach: Casimir Katz Verlag 2005, 285 S., ISBN 978-3-925825-89-7, EUR 19,80
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Jörg Schweigard: Aufklärung und Revolutionsbegeisterung. Die katholischen Universitäten in Mainz, Heidelberg und Würzburg im Zeitalter der Französischen Revolution (1789-1792/93-1803), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2000
Eine der wichtigsten Folgen, die die Französische Revolution im linksrheinischen Deutschland zeitigte, war die Entfesselung der Mainzer Republik: jene wenigen Monate vom Herbst 1792 bis zum Frühling 1793, in denen sich unter dem Schutz des französischen Militärs in der Residenzstadt des Mainzer Kurfürsten eine Revolution im Kleinen abspielte, die - je nach politischer Couleur - als abschreckendes oder leuchtendes Beispiel überall im Alten Reich diskutiert wurde.
Nicht weniger hat die Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert verschiedene Interpretationen der Mainzer Republik diskutiert. Nachdem die rheinischen Revolutionäre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Vorzeichen des kleindeutschen Nationalismus weitgehend als eine kleine Gruppe radikaler, freiheitstrunkener "Feuerköpfe" [1] porträtiert worden waren, wollten manche sie nach dem Zweiten Weltkrieg als Ahnherren deutscher Demokratie verstehen. An unterschiedlichen Bewertungen der Ereignisse entzündete sich in den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts eine Kontroverse zwischen eher konservativen Lokalhistorikern (Hermann Weber, Franz Dumont) und dem marxistischen DDR-Historiker Heinrich Scheel. [2] Beide Interpretationen stehen heute im Wesentlichen unverändert nebeneinander. Da das Interesse der Forschung bald wieder erlahmte, ist es zu dem Versuch einer Synthese nicht gekommen. Nun hat Jörg Schweigard ein Buch über die Mainzer Republik vorgelegt, das sich sowohl an die akademische Zunft als auch an ein allgemeines Lesepublikum wendet.
Der Leser mag zunächst überrascht sein, welche Rolle in einem Buch, das laut Verlag "zehn bewegte Mainzer Jahre" umfasst, die Mainzer Universität und ihre Angehörigen spielen: Sieben von insgesamt vierzehn Kapitel beschäftigen sich ausschließlich mit Professoren und Studenten. Diese Zugangsweise ergibt sich aus Schweigards bisheriger Forschung zur deutschen Studentenbewegung in der Epoche der französischen Revolution [3] und wird von ihm dadurch begründet, dass diese Gruppen "am damaligen Prozess der Meinungsbildung besonders stark beteiligt" (14) gewesen seien.
Wie bei Scheel und Dumont, so ist auch bei Schweigard die Mainzer Republik nur aus dem 18. Jahrhundert, den Problemen und dem Denken der Aufklärung heraus verständlich. Folgerichtig beginnt er mit einer Einführung in das Universitätsmilieu dieser Zeit, beschreibt die Mainzer Verhältnisse in der Ära des letzten Kurfürsten Friedrich Karl von Erthal und dessen Versuche, die Universität zu reformieren. Besondere Erwähnung verdient das Kapitel über "Organisationsformen der Mainzer Aufklärer". Hier gelingt es Schweigard wie keinem zuvor, auf knappstem Raum das verworrene vorrevolutionäre Vereinsleben aufzuschlüsseln, Freimaurer, Illuminaten und Lesegesellschaften zueinander und auf den zum Teil in ihnen wurzelnden späteren Jakobinerklub hin in Beziehung zu setzen. Nach kurzen Exkursen zum Jakobinismus in Deutschland und der Resonanz auf die Französische Revolution in Mainz untersucht Schweigard analytisch geschickt die universitären Akteure in der Mainzer Republik, getrennt in Professoren und Studenten. Aus kurzen Lebensläufen von neun jakobinischen Professoren entsteht eine Kollektivbiografie, aus der ersichtlich wird, welche Umstände diese Männer zum Übergang ins Lager der Revolution führten, nämlich die Erfahrung, dass "ihre radikalaufklärerischen Ideen nicht erwünscht" (266) und die Möglichkeiten zur Reform begrenzt waren.
Bei Studenten ist der biografische Zugang schwieriger, weil über sie zumeist nur wenige Informationen verfügbar sind. Darüber hinaus saßen Professoren und Studenten - wie Schweigard zeigt - zwar in vielerlei Hinsicht in einem Boot (und später auch gemeinsam im Jakobinerklub), bildeten aber dennoch zwei unterschiedliche Gesellschaften. So konnten die Studenten zum Beispiel nicht Mitglied in den Vereinigungen ihrer Lehrer werden und bildeten deshalb eigene geheime Klubs und Zirkel. Trotz der genannten Schwierigkeiten gelingt es Schweigard, die Studenten, deren zahlenmäßig bedeutender Anteil am Jakobinerklub verbürgt ist, als historische Akteure lebendig werden zu lassen. Dazu greift er auf die in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreiche Quelle studentischer Stammbücher zurück (die in Form des Poesiealbums fortlebten). Mittels dieser Quelle kann er belegen, dass die Studenten der Revolutionsepoche - zumal an einer katholischen Universität - nicht so unpolitisch waren wie die ältere Forschung meinte und "dass nicht durch den Einzug der Franzosen eine plötzliche Politisierung stattfand, sondern diese vielmehr schon mehrere Jahre dauerte" (230). Mit detektivischem Spürsinn gelingt es ihm, Anspielungen aufzuschlüsseln, sowie biografische Informationen zu weitgehend unbekannten Personen zu liefern und dadurch ein kleines Panorama studentischen Lebens und Denkens zu skizzieren. Er schließt mit einem kurzen Blick auf die symbolische Wirkung, die das Mainzer Beispiel auf andere Universitäten ausübte.
Kritisch anzumerken ist, dass die Vorgeschichte - zweifellos von hoher Wichtigkeit -übermäßigen Raum erhält: auf Seite 230 von 300 befindet sich der Leser noch immer am "Vorabend der Mainzer Republik". Die Rolle der breiten Stadtbevölkerung, der Handwerker, Kaufleute und Beamten, die zumindest zahlenmäßig ab November 1792 im Jakobinerklub stark vertreten waren, wird genauso wenig thematisiert wie die der französischen Besatzung. Dass Professoren und Studenten die Meinungshoheit in Mainz besaßen (was an sich kaum zu bestreiten ist) bleibt ein Gemeinplatz, da Schweigard ihren Einfluss auf die Bevölkerung über Zeitungen, Feste, symbolische Politik usw. nicht untersucht. General Custine, der mit seinen Truppen die Mainzer Republik überhaupt erst möglich gemacht und sie über ihre ganze Dauer hinweg beeinflusst hat, erscheint erstmals in der zweiten Hälfte des Buches im Lebenslauf des Philosophieprofessors Anton Joseph Dorsch und wird nicht weiter gewürdigt. Kaum etwas erfährt der Leser über die Reden und Beschlüsse im Jakobinerklub, nichts über die umstrittene Konstituierung und Tätigkeit des rheinisch-deutschen Nationalkonvents, der als erstes deutsches Parlament gilt. Genauso wenig nimmt Schweigard Stellung zu in der Forschung umstrittenen Fragen wie der Rolle der französischen Besatzung, dem Charakter der Wahlen.
Wo Schweigard sich auf vertrautem Boden bewegt, kann er der Geschichtsschreibung der Mainzer Republik neue und wichtige Aspekte hinzufügen. Bei Dumont werden - nach der Lektüre von Schweigards Buch kaum noch nachvollziehbar - unter den Trägern der Mainzer Republik weder Professoren noch Studenten genannt. Ebenso wertvoll ist die gebündelte Darstellung des Vereinswesens der Aufklärungszeit, das bislang nur immer in seinen Teilen, nicht jedoch zusammen betrachtet wurde. Dasselbe gilt für die Kollektivbiografie jakobinischer Professoren und die anschauliche Beschreibung der Studentenschaft als selbstständiger, politisch denkender Gruppe. Zu loben ist Schweigards stetes Bemühen, allgemein verständlich und anschaulich zu schreiben sowie Begriffe klar zu definieren, was es ermöglicht, dieses Buch auch einem Laienpublikum zu empfehlen. Sehr breit ist schließlich die Quellenlage, auf die er sich stützt. Neben den offiziellen Schriften und Flugblättern zitiert er ausgiebig und teilweise erstmals aus einer Fülle von Memoiren, Reiseberichten, Briefen, fiktionalen Werken und Gedichten - der Quellenwert der Stammbücher ist bereits erwähnt worden. [4]
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die thematische Vorgabe des Untertitels "Aufklärung, Reform und Revolution in Mainz" wird von Schweigard nur unzureichend eingelöst. Sein Buch ist nicht das neue Standardwerk zur Mainzer Republik, das die Monografie von Franz Dumont ersetzen könnte. Universität, Professoren und Studenten in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt zu haben, bedeutet jedoch einen unzweifelhaften Gewinn für die Forschung, den die künftige Geschichtsschreibung der Mainzer Republik nicht unberücksichtigt lassen kann.
Anmerkungen:
[1] So Heinrich Treitschke: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 1, Leipzig 1894, 129; gleiche Wortwahl aber auch bei Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 1. Bd.: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700-1815, München 1987, 356.
[2] Heinrich Scheel: Die Mainzer Republik: Die erste bürgerlich-demokratische Republik auf deutschem Boden, 3 Bde., Berlin (Ost) 1975-1989; Franz Dumont: Die Mainzer Republik von 1792/93: Studien zur Revolutionierung in Rheinhessen und der Pfalz, Alzey 1982; zur Historiografie der Mainzer Republik vgl. Heinrich Scheel: Die Mainzer Republik im Spiegel deutscher Geschichtsschreibung, in: Die Mainzer Republik III: Die erste bürgerlich-demokratische Republik auf deutschem Boden, Berlin 1989, 295-349; Bernd Blisch/Hans-Jürgen Bömelburg: 200 Jahre Mainzer Republik. Von den Schwierigkeiten des Umgangs mit einer sperrigen Vergangenheit, in: Mainzer Geschichtsblätter 8 (1993), 7-29.
[3] Vgl. Jörg Schweigard: Aufklärung und Revolutionsbegeisterung. Die katholischen Universitäten in Mainz, Heidelberg und Würzburg im Zeitalter der Französischen Revolution (1789-1792/93-1803), Bern/Frankfurt am Main 2000; Axel Kuhn/Jörg Schweigard: Freiheit oder Tod! Die deutsche Studentenbewegung zur Zeit der Französischen Revolution, Köln 2005.
[4] Auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichtet Schweigard, viele der interessantesten Zitate finden sich aber auch in seinen beiden anderen Werken, siehe Anm. 3.
Tobias Becker