Mark Hengerer (Hg.): Macht und Memoria. Begräbniskultur europäischer Oberschichten in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, IX + 525 S., ISBN 978-3-412-16804-9, EUR 59,90
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Das Thema der Begräbniskultur zieht seit einigen Jahren das wachsende Interesse der historischen Forschung auf sich. Bis dahin führte es eher ein Schattendasein und wurde im Kontext anderer, meist ritual- und zeremonialhistorischer Untersuchungsbereiche mit erledigt. [1] Inzwischen wird die Funeral- und Sepulchralkultur der frühen Neuzeit jedoch als eigenständiges soziales Phänomen wahrgenommen. So ist es sehr zu begrüßen, dass mit dem hier zu besprechenden Sammelband Ergebnisse der aktuellen Forschung zum Gegenstand zur Diskussion gestellt werden. 18 Einzelbeiträge verschaffen einen guten Einblick über den derzeitigen Stand der Forschung und stellen Tendenzen und Interessenschwerpunkte vor.
Der Sammelband geht auf eine in Konstanz abgehaltene Tagung aus dem Jahr 2003 zurück, die der dortige Sonderforschungsbereich 485 "Norm und Symbol. Die kulturelle Dimension sozialer und politischer Integration" ausrichtete. In der programmatischen Einleitung umreißt Mark Hengerer die inhaltliche und methodische Ausrichtung des Bandes. Dessen Titel entsprechend gelte es, Begräbniskultur vor der Folie von Macht zu untersuchen und sie daran rückzubinden. In Anlehnung an Otto Gerhard Oexle wird die Frage nach dem "Zusammenhang von Memoria und politischer Macht" als zentrale Fragestellung explizit ausgewiesen (1). Den personellen Bezugspunkt der Untersuchungen stellen europäische Oberschichten dar, die bestimmenden Anteil an der "Machtausübung frühmoderner Herrschaftszusammenhänge" besaßen (2). Dabei nehmen die vielfältigen Formen der "spezifisch ausgeformten Memoria" die Funktion einer Sonde ein, mit der "ein vertieftes Verständnis der politischen Kultur der Frühen Neuzeit [...]" gewonnen werden soll (2).
Diese spannende methodische Prämisse wird auf unterschiedlichen Wegen verfolgt. Das macht bereits die Gliederung des Sammelbandes in drei Hauptteile deutlich. Sie wenden die zentrale Fragestellung des Zusammenhanges von Macht und Memoria auf die Themenkomplexe von Statusdifferenz, Zentrum und Peripherie sowie auf die Habsburgermonarchie im speziellen Bezugsraum an. Allerdings kommt es hier zu inhaltlichen Überschneidungen, die sich angesichts der genannten übergeordneten Untersuchungskategorien kaum vermeiden lassen.
Die Repräsentation von Status stellte ein Strukturmerkmal der stratifizierten Gesellschaftsordnung der Frühen Neuzeit dar, über dessen politische Dimension nicht erst gestritten werden muss. Soziale Hierarchie und ihre Binnendifferenzierung bedurften jedoch einer Vermittlungsleistung, um wahrgenommen zu werden und damit Relevanz zu erhalten. Dafür stand den europäischen Oberschichten ein ganzes Bündel an Möglichkeiten zur Verfügung. Neben prestigeträchtigen Wohn- und Herrschaftssitzen, besonderer Kleidung und anderen Aspekten, die unter den Begriff einer herausgehobenen Lebensführung subsumiert werden können, stellte auch die Memorialkultur eine Strategie dar, mit der Rang und Ansehen angezeigt werden konnte. Davon berichtet ein Großteil der Aufsätze nicht nur des ersten thematischen Schwerpunktes. Die Errichtung prächtiger und kostspieliger Epitaphien konservierte das dynastische Andenken und bisweilen auch die Verdienste des Verstorbenen und seiner Familie. Die Memorialkultur stellte daher häufig eine Investition in das soziale Kapital der Familie dar. Allerdings war die Memorialkultur nicht nur ein Instrument der Abbildung von Prestige. Gregor Rohmann zeigt am Beispiel des Hamburgers Joachim Möller, wie Ansehen durch eine geschickte Konstruktion genealogischer Zusammenhänge gewonnen und in der schriftlich dokumentierten Memoria eines "Geschlechtsbuches" vermittelt wurde (109). Der Erinnerungskultur wohnte somit eine hochgradig kreative Dimension inne. Sie vermochte es dabei auch, Defizite der Herkunft zu überdecken, und stellte Chancen politischer Partizipation wie der Ratsfähigkeit bereit.
Wie Begräbnisse in unmittelbarer Weise auf frühneuzeitliche Politik einwirkten und damit zu einem ihrer Instrumente wurden, zeigt Olaf Mörke mit seinem Beitrag zum Begräbnis fürstlicher Statthalter und bürgerlicher Militärpersonen in der niederländischen Republik. Die Gestaltung des Begräbniszuges und die Auswahl des Begräbnisortes wurden zur Verortung politischer Positionen im Rahmen eines innerrepublikanischen Konfliktes zwischen Anhängern und Gegnern des oranischen Fürstenhauses eingesetzt.
Ewald Frie untersucht das Bestattungsverhalten der brandenburgischen Nobilität. Durch die Auswahl ihrer Bestattungsorte auf Berliner Friedhöfen suchten sie jedoch nicht die räumliche Nähe zum Potsdamer Herrscherhof. Dieser Befund steht im Gegensatz zum Ergebnis der Untersuchung Mark Hengeres für Wien. Daher spricht Ewald Frie von einem brandenburgischen "Gegenpol" zum adeligen Bestattungsverhalten in der Habsburgerstadt und weist auf die Variationsbreite memorialer Strategien hin (296).
Ronald G. Asch widmet sich den "englischen Begräbnissen und Grabstätten im Umkreis des Hofes" (253). Er berichtet über das unverhältnismäßig pompöse Bestattungsritual des Dichters und Soldaten Sir Philip Sidney. Es sollte von der einige Jahre zuvor erfolgten Hinrichtung Maria Stuarts und ihrem Begräbnis ablenken und wurde folglich zur Vermittlung einer spezifischen "politischen Botschaft" instrumentalisiert (254). Begräbniskultur enthielt somit auch Dimensionen jenseits der einschlägigen Topoi von Legitimation und sozialer Hierarchie.
Unbestreitbarer Verdienst der Herausgeber und der Autoren ist es, das junge Feld der Begräbnisforschung aus mehreren Perspektiven darzustellen. Der Sammelband bietet reichlich Anregung, eigene Überlegungen anzustellen. Die inhaltliche Ausrichtung, Begräbnisse an das Phänomen von Macht und politischer Kultur anzubinden, ist klug gewählt und erscheint nach Lektüre der Einleitung und der Einzelbeiträge überaus plausibel und gewinnbringend.
Kritisch anzumerken ist, dass sich Begräbniskultur nicht in den durch Grablegen und Epitaphen geformten Erinnerungsräumen erschöpft, auch wenn sich hierauf das Interesse der meisten Beiträge bezieht. Eine alternative Perspektive zeigen besonders Olaf Mörke und Ronald G. Asch auf, indem sie auf die Funktion von Begräbnissen als Instrumente eines zielgerichteten politischen Gestaltungswillens hinweisen. So lässt sich das Begräbnis direkt an machtpolitische Prozesse anbinden und verdeutlicht seinen hohen Stellenwert in der konkreten Gestaltung frühneuzeitlicher Herrschaft.
Historischen Wandlungsprozessen spüren die Beiträge in unterschiedlicher Intensität nach. Eine stärkere Fokussierung auf das 18. Jahrhundert mit seinen vielgestaltigen Reform- und Rationalisierungsprozessen wäre aber möglicherweise eher geeignet, politischen Wandel durch den Wandel der Begräbniskultur einzufangen. Nicht nur die Begräbnisreformen Josephs II., der einsetzende Scheintoddiskurs oder die Neuregelung der Friedhofspolitik sind ein Indiz für nachhaltige Veränderungen im Umgang mit Tod und Memoria.
Memoria, in welcher Form auch immer sie spezifische Gestalt annimmt und welcher Medien sie sich auch immer bedient, vermittelt Botschaften. Eine stärkere Anbindung an das methodische Werkzeug aus dem Fundus der politischen Kommunikationsforschung wurde hier nicht unternommen, könnte jedoch aufschlussreiche Ergebnisse zum Verständnis frühmoderner Macht- und Herrschaftsausübung produzieren.
Anmerkung:
[1] Z. B. Christina Hofmann: Das spanische Hofzeremoniell von 1500-1700, Frankfurt a. M. 1985.
Stefan Thäle