Rezension über:

Elisabeth A. Richert: Native Religion under Roman Domination. Deities, springs and mountains in the north-west of the Iberian Peninsula (= BAR International Series; 1382), Oxford: Archaeopress 2005, 63 S., ISBN 978-1-84171-822-4, GBP 20,00
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Rezension von:
Thomas Schattner
Deutsches Archäologisches Institut, Madrid
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Schattner: Rezension von: Elisabeth A. Richert: Native Religion under Roman Domination. Deities, springs and mountains in the north-west of the Iberian Peninsula, Oxford: Archaeopress 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/12/9734.html


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Elisabeth A. Richert: Native Religion under Roman Domination

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Die anzuzeigende Arbeit ist Bestandteil ("basis") einer Edinburgher Dissertation, die selbst offenbar noch nicht erschienen ist. Thematisch gehört sie eingereiht in die über 100-jährige Forschungsgeschichte zu den einheimischen Göttern und Kulten der Pyrenäenhalbinsel, die mit José Leite de Vasconcellos' dreibändigem Werk "Religiões da Lusitânia" (I 1897, II 1899, III 1905) ihren Anfang nahm. Das Werk enthält das gesammelte Wissen der Schriftquellen zum Thema. Diese Forschung ist in ihrer Mehrzahl von Althistorikern, Epigrafikern und Linguisten, namentlich von J. M. Blázquez, getragen worden, die Archäologie hat sich erst spät und nur zögerlich dafür interessiert. Als Beispiel seien die Forschungen in Panóias aus den 60er-Jahren genannt. [1] Allerdings ist in letzter Zeit eine verstärkte Hinwendung zu erkennen, die von der Universität Zaragoza im keltiberischen östlichen Teil der Halbinsel sowie der Abt. Madrid des Deutschen Archäologischen Instituts im indogermanischen ('keltischen') westlichen Teil der Halbinsel ausgeht. [2] Angesichts der vielfältigen Facetten der Thematik und der ihr innewohnenden Problematik handelt es sich nicht zuletzt wegen des fachübergreifenden Charakters gleichwohl um eines der interessantesten Forschungsgebiete. Dieses lässt sich aufgrund der retardierenden Entwicklung des hispanischen Nordens und Westens dort besonders gut verfolgen. Insofern ist Elisabeth A. Richert zur Wahl des Themas zu gratulieren.

Der Titel der Arbeit scheint der Breite des Themas auf den ersten Blick angemessen. Bei näherer Betrachtung jedoch zeigt sich, dass die Verfasserin entsprechend althergebrachter gut althistorisch-epigrafischer Tradition sich ausschließlich auf Inschriften als Quellen stützt, die in der Regel auf Weihaltären aufgebracht sind (2). Die Fragestellung wird weiter verengt, dadurch dass weder die Inschriftträger noch die komplette Aussage der Inschriften in den Blick genommen werden, sondern allein die Götternamen, die in drei Kataloglisten erfasst werden. Die Inschriften wurden den einschlägigen Corpora des CIL, der IRG I-IV bis hin zu G. Pereira Menaut, CIRG I (1991) zuletzt G. Baños Rodríguez CIRG II (1994) und anderen Publikationen entnommen. Unter den Periodica vermisst der Rezensent den Ficheiro Epigráphico aus Coimbra (Literaturliste 60-63).

Es besteht also ein Widerspruch zwischen der Weite des im Titel angedeuteten Forschungsfeldes und der schon von der Herangehensweise her vorbestimmten Enge des Themas. Hinzukommt erschwerend, das der ganze Band nur 63 Seiten umfasst, von denen jedoch nur 16 Seiten Lauftext (2-17) enthalten. Das Herzstück der Arbeit bildet der Katalog der Inschriften, der allein die Hälfte einnimmt (18-48). In insgesamt 451 Einträgen werden die Inschriften geordnet nach: 1) inscriptions to indigenous deities (155 Einträge), 2) classical deities (258 Einträge), 3) classical deities with indigenous epithets (41 Einträge). Die Ordnung ist eingängig und entspricht üblichen Kriterien. Karten zeigen die Fundverbreitung.

Es ist bezeichnend für die in Bewegung befindliche Forschung, dass die Liste jetzt schon, das heißt ein Jahr nach Erscheinen des Bandes, nicht mehr aktuell ist, da allein das Heiligtum des deus lar Berobreus auf dem Monte do Facho durch die Grabungen seit 2003 gut 100 Neufunde von Altären geliefert hat, von denen etwa die Hälfte beschriftet sind. [3] Sie sind der Gruppe 1) der Verfasserin hinzuzurechnen, erhöhen die Zahl entsprechend und verändern das Gesamtbild der Gewichtung.

Hauptsächliches Anliegen der Arbeit ist ein Problem mit einer zeitlichen Dimension nämlich die Darstellung der Fortdauer einheimischer vorrömischer Götter und Kulte bis in die Zeit der römischen Herrschaft hinein (2). Da die vorrömischen einheimischen Kulturen des infrage stehenden Raumes keine anderen Schriftzeugnisse hinterlassen haben, wird der Umstand der Existenz einer lateinischen Inschrift auf dem Weihaltar selbst zum Datierungskriterium, da diese in römische Zeit gehören muss. Die Fortdauer ergibt sich also allein aus der Existenz der Inschrift heraus (Datierung per se römisch) im Verein mit einem einheimischen Götternamen (Datierung per se vorrömisch). Da die Arbeit weitere Untersuchungen etwa in diachroner Hinsicht nicht enthält, bleiben die sich anschließenden Fragen nach dem Anfang oder nach dem Ende der Kulte ausgeblendet. Kultkontinuität wird vorausgesetzt, die Frage nach einer etwaigen Diskontinuität bzw. Neuinstallation eines einheimischen Kultes im römischen Gewande wie im Falle des oben genannten deus lar Berobreus wird nicht gestellt. Auch wird eine Datierung der Inschriften weder selbst versucht, noch aus anderen Publikationen übernommen, sodass die Verfasserin die über 600-jährige Zeit der römischen Herrschaft als monolithischen undifferenzierten Block behandelt. Dahinter steht die Vorstellung eines statischen Götterbegriffs, der die gesamte ältere Forschung auszeichnet.

Geringe Tiefenschärfe, Ausblendung sich unmittelbar anschließender Fragen und fehlende Hinterfragung überhaupt sind kennzeichnend für die angewandte Vorgehensweise. Auch hier erweist sich der Titel als irreführend, da der Leser diese Qualitäten angesichts des Titels erwarten darf. Dass die Verfasserin im Falle des Berobreus ältere Lesungen übernimmt, mag man noch durchgehen lassen, da diese in der Forschungsliteratur bis in jüngste Zeit noch zu lesen waren. [4] Die konsequente Ausblendung weiterführender Gedanken jedoch sowie die fehlende Hinterfragung von Forschungsergebnissen mindern den Erkenntniswert der Arbeit zumal auch keine Schlüsse aus den eigenen Beobachtungen gezogen werden. Die Verfasserin begnügt sich damit, die Inschriften wie geschildert zu klassifizieren, etwaige römische Parallelen (roman equivalents) oder auch solche von außerhalb der Halbinsel (external parallels) aufzuzählen sowie die bekannten Heiligtümer des NW in einem eigenen Abschnitt kurz zu beschreiben. Da die archäologische Literatur nur ausschnitthaft herangezogen wird [5] und die dort geäußerten Meinungen nicht hinterfragt werden, entsteht keine Tiefenschärfe. Als Beispiel sei auf die lusitanisch-galläkischen Kriegerstatuen verwiesen, die die Verfasserin ohne Angabe von Gründen als Darstellungen von Kriegsgöttern interpretiert, eine Meinung, die nur selten vertreten wurde und überholt ist. [6]

So erfreulich es ist, dass auch von angelsächsischer Seite her eine Beschäftigung mit diesem Thema erfolgt, bleibt jedoch festzuhalten, dass der Erkenntniswert der Arbeit gering ist. Es steht zu hoffen, dass in der Dissertation das Problembewusstsein gesteigert wird.


Anmerkungen:

[1] Zusammengefasst im Aufsatz von G. Alföldy: Die Mysterien von Panóias (Vila Real, Portugal), in: Madrider Mitteilungen 38 (1979), 176-246.

[2] Siehe die zusammenfassende Darstellung von F. Marco Simón. Die Religion im keltischen Hispanien (1998); S. Alfayé Villa. Santuarios celtibéricos, in: Celtíberos. Tras la estela de Numancia, Ausstellungskatalog Soria 2005 (2005) 229-234 sowie die entsprechenden Berichte in Madrider Mitteilungen 46 (2005), 135-234 und 47 (2006), 169-220.

[3] S. Madrider Mitteilungen 46 (2005), 170 und 47 (2006), 185.

[4] Etwa bei J. M. Blázquez: Teónimos indígenas de Hispania: addenda y corrigenda, in: Paleohispanica 1 (2001), 64-65.

[5] So hat die Verfasserin etwa für Panóias, einem der wichtigsten und bekanntesten Heiligtümer des hispanischen NW, den zusammenfassenden Artikel von Alföldy (Anm. 1) nicht zur Kenntnis genommen.

[6] Vgl. den derzeitigen Forschungsstand in Madrider Mitteilungen 44 (2003), 1-307.

Thomas Schattner